Das Münchener Ifo-Institut schätzt die "Überschussersparnis" 2020 in seiner jüngsten Konjunkturprognose auf 100 Milliarden Euro. Da teure Urlaube und kostspieliges Essengehen wegfielen und auch die Einkaufsmöglichkeiten durch Ausgangssperren und Geschäftsschließungen beeinträchtigt waren, zeigen sich widersprüchliche Folgen der Pandemie. Viele Bürger haben erheblich mehr Geld auf dem Konto als vor einem Jahr, während andere gerade so über die Runden kommen.
Jürgen Gros, Präsident des bayerischen Genossenschaftsverbands GVB, dem Dachverband der Volks- und Raiffeisenbanken im Freistaat Bayern, sagt dem Handelsblatt: "Ich meine, dass wir auf Sicht bis Jahresmitte eine ähnliche Situation haben werden wie im ganzen vergangenen Jahr. Die Einlagen werden weiter wachsen, das zeigt sich schon in den ersten acht Wochen des neuen Jahres." Auf der anderen Seite, der Kreditnehmer-Seite, seien auch Rückgänge zu verzeichnen. Gros meint:
"Die Verbraucherkredite waren rückläufig, und die Kontenüberziehung ist sehr stark zurückgegangen. Dispokredite wurden kaum in Anspruch genommen."
Auch dafür gibt es nach Christian Nau, Geschäftsführer des Kreditbereichs beim Online-Portal Check24, einen guten Grund. Viele Banken seien bei der Kreditvergabe an weniger bonitätsstarke Kunden vorsichtiger geworden. Nau weiß:
"Manche haben Kredite nicht mehr bekommen, die sie vor der Krise noch bekommen hätten."
Konsumforscher Rolf Bürkl vom Nürnberger Marktforschungsunternehmen GfK fürchtet, dass mit einem Absinken der Inzidenzzahlen ein Nachholbedarf einsetzen werde:
"Beim Urlaub ist durchaus möglich, dass die einen oder anderen vielleicht einmal mehr in den Urlaub fahren oder sich einen aufwendigeren Urlaub leisten, weil sie die finanziellen Mittel haben und sich etwas gönnen wollen."
Dieser werde allerdings mutmaßlich teurer werden. Die schwer getroffene Tourismusindustrie wird mit großer Wahrscheinlichkeit versuchen, einen Teil ihrer immensen Umsatzverluste durch Preiserhöhungen hereinzuholen. Bei all dem zeigt sich eine weitere Spaltung der Gesellschaft durch Corona. 22.388 Euro Kaufkraft haben die Deutschen im statistischen Durchschnitt, also Kaufkraft pro Kopf und Jahr – natürlich mit lokalen Unterschieden –, etwa in Hamburg 25. 562 Euro und in Brandenburg dagegen nur 21 249 Euro im Jahr 2020. So sagen es die Daten von Statista.
Das reicht für den 8. Platz hinter Österreich in der aktuellen Studie "GfK Kaufkraft Europa 2020". Die Spitzenplätze belegen Liechtenstein, die Schweiz und Luxemburg. Für das Jahr 2020 haben die Europäer (ohne Russland) knapp 9,5 Billionen Euro zur Verfügung. Pro Kopf entspricht das einer durchschnittlichen Kaufkraft von 13.894 Euro. Gegenüber dem Vorjahr entspricht das einem Rückgang von 5,3 Prozent.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband verweist dagegen für Deutschland in seinem "Armutsbericht 2020" auf die gestiegene Armutsgefährdungsquote hierzulande. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem vergangenen August stieg diese Gefährdungsquote auf 15,9 Prozent. Es handele sich um die größte gemessene Armut seit der Wiedervereinigung vor über 30 Jahren. 2018 lag die Quote noch bei 15,5 Prozent. Der Verband befürchtet noch eine weitere Verschärfung von Armut und sozialer Ungleichheit durch die Corona-Krise und fordert eine Anhebung der finanziellen Unterstützungsleistungen für arme Menschen.
Armut wird in reichen Ländern wie Deutschland nicht über direkte Not – wie Hunger oder Obdachlosigkeit – definiert, sondern über das Haushaltseinkommen und die sich daraus ergebenden (oder fehlenden) Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe. Die Armutsgefährdungsquote gibt dabei den Anteil der Bevölkerung an, der mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss. Bei einem Einpersonenhaushalt lag diese Grenze in Deutschland im vergangenen Jahr bei 1.074 Euro im Monat.
Dagegen freuen sich die reicheren Deutschen bald auf einen ausgedehnten Urlaub. Ökonom Markus Demary vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft e. V. (IW) sagt:
"Nach der langen Pandemie wollen die Menschen bestimmt wieder gerne verreisen und mal was anderes sehen. Hier ist die Zahlungsbereitschaft vermutlich stark gestiegen."
Selbst bei höheren Preisen werde hier die Nachfrage vermutlich steigen, sagt der Fachmann für Geldpolitik und Finanzmärkte, der höhere Preise unter anderem auch noch für Friseurbesuche und Konzertkarten erwartet. Andere würden es schwerer haben, höhere Preise durchzusetzen – Kinos beispielsweise, weil denen die Streaming-Dienste Konkurrenz machen.
Ulrich Reuter, Präsident des Sparkassenverbands Bayern, sieht eine ganz andere Gefahr: die Gefahr von zu viel Geld. Denn die Banken müssen die Gelder ihrerseits anlegen, was wegen der anhaltenden Negativzinsen sehr teuer ist. Ifo-Konjunkturforscher Timo Wollmershäuser ist skeptisch, ob es tatsächlich zu zusätzlichen Konsumausgaben kommen wird. Sicher sei: Es wird eine Pleitewelle im Mittelstand geben, die durch die schleppenden Hilfszahlungen und die Corona-Absperrmaßnahmen mit verursacht wurde.
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