Nach über einem Jahr in der Corona-Krise macht sich die Müdigkeit der Bürger in Deutschland bezüglich der ergriffenen staatlichen Maßnahmen immer bemerkbarer. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zeigte sich besorgt über diese Entwicklung und stellte in einem Interview am Freitag fest, dass die "drastischen Maßnahmen" der Bundes- und Landesregierungen zu einem "Auseinandergehen von Politik und Bürgern" führen.
Kretschmers Parteikollege und Gesundheitsminister Jens Spahn hätte deshalb am Samstag zusammen mit RKI-Chef Lothar Wieler die Möglichkeit gehabt, dieses "Auseinandergehen" bei einer Online-Diskussionsrunde mit Bürgern anzusprechen. Statt einer neuen Strategie, um aus dieser "immer stärker werdenden Spirale" herauszukommen, von der der sächsische Ministerpräsident sprach, präsentierte Spahn lediglich mehr vom vermeintlich Bewährten, dessen Wirksamkeit von vielen Experten und Studien angezweifelt wird.
Die Zahlen von positiven Corona-Labortestbefunden steigen, der Inzidenz- und R-Wert steigt, also könne es nur den erneuten Weg in einen harten Lockdown von "zehn bis 14 Tagen" geben, so Spahn am Samstag. Nötig sei ein Lockdown ähnlich wie an Ostern im vergangenen Jahr, sagte der Minister. Er selbst würde auch lieber Ostern im größeren Kreis der Familie verbringen. "Aber es geht halt dieses Jahr noch nicht." Erst wenn es gelänge, die dritte Welle zu brechen, bevor sie im April zu groß werde, sei anschließend an Öffnungsschritten wie beispielsweise in Tübingen zu denken, so der CDU-Politiker.
"Wenn wir die Zahlen nehmen, auch die Entwicklungen heute, brauchen wir eigentlich noch mal 10, 14 Tage mindestens richtiges Runterfahren unserer Kontakte, unserer Mobilität", ergänzte Spahn
An der Online-Veranstaltung nahm auch Tübingens Pandemiebeauftragte Lisa Federle teil. Sie sagte, dass die Kosten für das Testen auf "Corona-Infektionen" aus ihrer Sicht mittelfristig auf die Bürger übertragen werden müssten. Das bundesweit beachtete Modellprojekt in der Universitätsstadt sei sehr aufwendig und teuer. Jeder Test an einer der neun Teststationen in Tübingen koste den Steuerzahler 15 Euro. Daher müsse man die Verantwortung für die Selbsttests "schon in die Hände der Bevölkerung geben".
Tübingen testet seit knapp zwei Wochen, ob mehr Öffnungsschritte mit möglichst flächendeckendem Testen umsetzbar sind, ohne dass die Zahl der positiven Corona-Laborbefunde deutlich zunimmt. Menschen können in der Stadt kostenlose Tests machen, das Ergebnis wird bescheinigt. Mit dem Zertifikat können die als gesund getesteten Personen zum Beispiel in Modeläden einkaufen, zum Friseur oder auch in Theater und Museen gehen.
Auch in Tübingen stiegen die Corona-Zahlen zwar wieder, räumte Federle in der Videokonferenz ein. Trotz der zahlreichen Tests sei der Anstieg aber nicht stärker als im Landesvergleich.
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(rt/dpa)