Staatliche Einschränkungen werden in Deutschland in der Corona-Krise in erster Linie mit Inzidenzwerten begründet – so auch im bayerischen Berchtesgadener Land. Doch dabei gibt es einige Probleme. Die Inzidenz-Werte hängen auch davon ab, wie viel getestet wird. Auf das Problem wies selbst Landrat Bernhard Kern in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hin. In einem auf Facebook viral gehenden Video hat ein Student aus Bayerisch Gmain nun nachgerechnet, wie gravierend sich die Inzidenzen verändern, wenn man sie ins Verhältnis zur Anzahl an Tests setzt.
Patrick Schönherr studiert im achten Semester Mathematik und Physik auf Lehramt und erklärte gegenüber dem Traunsteiner Tagblatt, dass seine Rechnung auch für Nicht-Mathematiker einfach nachzuvollziehen sei, denn die mathematischen Grundlagen seien "Stoff der siebten Klasse". Es sei entscheidend, nicht nur die Zahl an positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Personen zu ermitteln. Man müsse auch die Gesamtzahl der Tests berücksichtigen und die Zahlen entsprechend normieren. Man muss also berechnen, wie hoch die Inzidenz wäre, wenn man überall gleich oft testen würde.
In seinen Berechnungen hatte Schönherr zuerst die Testquoten im Berchtesgadener Land und bundesweit ermittelt. Rechnerisch wurden in Deutschland seit Jahresbeginn 1,52 Prozent der Bevölkerung getestet, im Berchtesgadener Land waren es jedoch 2,85 Prozent. In der letzten Februarwoche war der Unterschied noch gravierender: Während in der Bundesrepublik 1,42 Prozent der Bevölkerung getestet wurden, waren es im bayerischen Landkreis 5,8 Prozent.
Danach hatte der Student sich angesehen, wie hoch der jeweilige Anteil an positiven Tests war und berechnet, wie hoch die Inzidenz wäre, wenn man überall den gleichen Anteil an Personen – beispielsweise 1,5 Prozent der Bevölkerung – testen würde. Für das Berchtesgadener Land wären die Folgen dramatisch, denn die Inzidenz in der vergangenen Woche würde nach dieser Rechnung nicht 89 betragen, sondern 29 und damit deutlich unter 50 liegen. Die Lage wäre demnach "deutlich besser als im deutschen Durchschnitt".
"Aufgrund der hohen Testzahlen stellt die aktuelle Inzidenzwertberechnung die Lage im Berchtesgadener Land stark verzerrt dar."
Normalerweise wären laut Schönherr Öffnungsschritte die nächste logische Konsequenz. Wenn sich an der Testquote oder der Berechnung der Inzidenz nichts ändert, sei in naher Zukunft aber nicht damit zu rechnen, dass der Landkreis eine Inzidenz von 50 unterschreitet. Der Student erklärte auch, dass es bei der Berechnung einige Probleme gibt, denn für die bundesweiten Daten zu den Testzahlen und der Positivenquote benutzt er die Daten des Robert Koch-Instituts (RKI). Die Behörde weist jedoch selber darauf hin, dass "die Erfassung auf der freiwilligen Mitteilung der Labore beruht". Auch Mehrfachtestungen einzelner Personen können laut RKI in den Zahlen vorhanden sein.
Zudem gebe es noch weitere Fehlerquellen wie zum Beispiel Pendler aus Salzburg oder Traunstein, die sich im Berchtesgadener Land testen lassen und dort in die Statistik mit einfließen. Auch negative Tests in Betrieben fließen nicht in die Testzahlen ein. Außerdem ist Schönherr der Meinung, dass es durch Schnelltests immer mehr negative Ergebnisse gibt, die nicht in die Statistik mit einfließen. Man müsse außerdem die Teststrategie berücksichtigen: Wenn man verstärkt Menschen mit Symptomen testet, führt dies zu einer höheren Positivenquote.
Die Bayerisch Gmainer Ministerin Michaela Kaniber, die Schönherrs Berechnungen ebenfalls mitbekommen hat, findet, dass das Thema im Landkreis zu Recht "immer wieder diskutiert wird". Sie habe Schönherrs Unterlagen mit der Bitte um Bewertung an das Bayrische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege weitergeleitet. Schönherr hofft nun, dass die Problematik "in Politik und Medien stärker thematisiert wird" und hat seine Berechnungen auch an die Oppositionsparteien im Bayerischen Landtag geschickt. An die AfD sandte er seine Unterlagen jedoch nicht, denn er möchte nicht, dass seine Berechnung "missbräuchlich verwendet" wird. Es gehe ihm ausschließlich um die korrekte Berechnung der Inzidenz und nicht um Kritik an den Corona-Maßnahmen.
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