Sogenannte Corona-Verfahren haben in der deutschen Justiz nun bereits seit mehreren Monaten Konjunktur – und zwar mit steigender Tendenz, wie das Burda-Magazin Focus berichtet. Gemeint sind etwa Verstöße gegen die Maskenpflicht, das Nichtbeachten von Abstandsregeln oder Kontaktbeschränkungen. Juristisch handelt es sich hierbei um Ordnungswidrigkeiten, die mit Bußgeldern bestraft werden. Die Höhe der Bußgelder schwankt dabei von Bundesland zu Bundesland und unterliegt zudem nicht selten einem Ermessensspielraum. Legen Betroffene gegen den Bußgeldbescheid Widerspruch ein, landet die Sache vor Gericht.
Hier kommt es dann bedingt durch die hohe Zahl der Verfahren zu Verzögerungen bei der Bearbeitung der Fälle. So habe es in München im Jahr 2020 insgesamt 97 solcher Fälle gegeben, für 2021 sind es bereits 93. Für Berlin teilte die Vizesprecherin der Berliner Strafgerichte Inga Wahlen dem Focus mit, es seien in diesem Jahr bereits 291 Verfahren zum Infektionsschutzgesetz eingegangen. Im gesamten Vorjahr waren es 310 gewesen. Der Amtsrichter Thorsten Schleif aus dem nordrhein-westfälischen Dinslaken ruft nun zum Widerstand gegen behördlich verhängte Strafen auf. Dem Focus sagte er:
"Viele scheinen vergessen zu haben, dass der Bürger der alleinige Souverän dieses Landes ist. Regierung, Gesetzgebung und Rechtsprechung sind nur die Diener dieses Souveräns."
Es sei beachtlich, mit welcher Ruhe die Bürger "die vielen und großen Verfehlungen aller drei Staatsgewalten ertragen, die der Regierung und der Parlamente ebenso wie die der Gerichte", so Schleif weiter. Er sei zwar für die "konsequente Anwendung des Strafrechts gegenüber Straftätern", doch falle es ihm "sehr schwer", etwa ein Pärchen mit einem Räuber gleichzusetzen, nur weil es sein Eis weniger als 50 Meter von der Eisdiele entfernt gegessen hat, was nach den Corona-Regeln illegal war. Viele Richter seien hier über das Ziel hinausgeschossen. Schleif führt aus:
"Zu Beginn der Krise war die Rechtsprechung beherrscht von Angst. Deshalb sind viele Richter über das Ziel hinausgeschossen und haben oftmals voreilig Corona-Verordnungen mit den entsprechenden Bußgeldbestimmungen abgesegnet."
Doch je länger die Krise andauere, desto mehr stellten auch die Richter fest, dass "viele der Horrorszenarien, die wir im Frühling des letzten Jahres noch befürchtet haben, nicht eintreten werden". Daher neigten sie jetzt dazu, ein Bußgeldverfahren einzustellen oder zumindest das Bußgeld deutlich herabzusetzen. Ein Widerspruch gegen ein Corona-Bußgeld hätte demnach eher gute Aussichten auf Erfolg. Grundsätzlich gelte:
"Jeder Bürger hat das garantierte Recht, die Gerichte anzurufen, wenn seine durch das Grundgesetz geschützten Freiheiten – mitunter in offensichtlich rechtswidriger Weise – durch die öffentliche Gewalt eingeschränkt werden."
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