Vergangene Woche berichtete Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU), dass sich der Zustand der deutschen Wälder rapide verschlechtert habe. 2020 und 2019 sei die Sterberate der Bäume im Vergleich zu den Vorjahren "deutlich höher geworden". Vor allem ältere Bäume über 60 Jahre seien vom Absterben bedroht.
RT DE im Gespräch mit Dr. Susanne Winter, der Programmleiterin Wald des WWF Deutschland.
Bundesagrarministerin Julia Klöckner erklärte letzte Woche, unsere Wälder seien krank. Was genau fehlt den Wäldern in Deutschland?
Susanne Winter: "Den Wäldern in Deutschland fehlt in erster Linie die Natürlichkeit, also natürliche Prozesse, um sich besser an den Klimawandel anpassen zu können. Ein Beispiel ist die Fichte, die unterhalb von 600 Metern nicht standortgerecht ist. Und so war es vor allem eine Fichte, die in den letzten zwei Jahren durch Hitze und Trockenheit abgestorben ist. Es fehlt aber auch an anderen Dingen, zum Beispiel der Nährstoffausgewogenheit im Boden, den naturnäheren Wasserkreisläufen, da sie in Deutschland stark verändert worden sind. Aber auch der Fokus auf die verschiedenen Waldökosysteme fehlt – anstatt die Holznutzung zu priorisieren."
Aus dem Bericht des Agrarministeriums geht hervor, dass die Sterberate der Bäume in den Jahren 2019 und 2020 im Vergleich zu den Vorjahren "deutlich höher geworden" sei. Was sind die Gründe dafür?
Susanne Winter: "Es sind die Wetterextreme mit Trockenheit und Hitze, gepaart mit schon vorhandenen Schäden am Ökosystem, wie eben die Zusammenstellung von nicht angepassten Baumarten, die Stoffimmissionen wie Pestizide und Stickstoff, Bodenstörung, Entwässerung und natürlich auch die sehr starke Auflichtung der Waldbestände. Und wenn dann in diese ohnehin schon labile Waldökosystemsituation Wetterextreme hineinkommen, dann führt das sehr schnell dazu, dass sehr viele Bäume absterben.
Ich nenne Trockenheit und Hitze, weil das Fehlen von Wasser ein Problem sein kann, aber auch zu große Hitze. Jedes Lebewesen hat seine Grenzen, wie viel Hitze ertragbar ist. Dieses Hitzeabsterben von Zellen beginnt ab rund 35 Grad Celsius – und diesen Wert überschreiten wir im Sommer immer öfter. Dann kommen eben immer mehr Schäden an den Bäumen, an den Blättern hinzu. Beide Faktoren, Trockenheit und Hitze, führen zum Absterben."
Welche Auswirkungen haben Baumsterben und kranke Baumbestände auf die Menschen?
Susanne Winter: "Die Menschen haben dann weniger planmäßig genutztes Holz, weil durch das Absterben sehr viel ungeplantes Holz entsteht. Was es dann schwierig macht, das Holz zu vermarkten und damit auch noch die Erlöse zu bekommen, die man sich erhofft hatte. Dadurch gibt es dann weniger Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft. Es gibt durch die vielen abgestorbenen Bäume und deren Nutzung insgesamt weniger Kohlenstoffspeicher im Wald, weniger Kühlung im Wald und auch in der Umgebung – das heißt, insgesamt haben wir weniger Klimaschutzleistung des Waldes."
Welchen Anteil hat der menschliche Einfluss – etwa die Waldbewirtschaftung, Abholzung vom Baumbeständen usw. – an der aktuellen Lage der Bäume und Wälder?
Susanne Winter: "Der Anteil des menschlichen Einflusses ist sehr groß. Zunächst in globaler Perspektive: Weltweit ist die Abholzung riesengroß. Noch vor ein paar Tausend Jahren waren etwa 50 Prozent der Landfläche der Erde mit Wäldern überzogen – jetzt haben wir nur noch 30 Prozent. Weniger Wälder bedeuten weniger Vielfalt. Dann kommt dazu, dass der Wald global, aber auch in Deutschland durch die Wetterextreme feuerfälliger geworden ist. Wir haben einen Teufelskreislauf zwischen Klimaveränderung, die menschengemacht ist, und Feuern als Folge der Klimaveränderung. Diese Feuer wiederum trocknen die Erde weiter aus, und dadurch beschleunigen sie den Klimawandel. Das wiederum hat Auswirkungen auf den Wald. Ungefähr 15 Prozent der gesamten menschlichen Emissionen kommen aus Waldzerstörung – ein immenser Anteil.
National haben wir ganz viele Einflussfaktoren: Wir haben die Wälder, ihre Waldmoore und große Moorgebiete entwässert, wir haben auch Waldmoore entwässert und wir haben die Flüsse begradigt. Früher hatten wir große Auenwälder mit Überflutungsregimen, diese sind heute nicht mehr da. Wir haben die Landschaften mit Gräben durchzogen."
"Das heißt, wir trocknen unsere eigene Landschaft systematisch aus. Das führt natürlich zur Verstärkung der wetterbedingten Trockenheitssituation. Wir haben einfach weniger Wasser im Boden."
"Zusätzlich hat die Waldbewirtschaftung selbst einen starken Einfluss. Wir haben zum Teil sehr hohe Einschläge. Wenn die Holznutzung hoch ist, führt diese dazu, dass die Wälder lichter werden. Lichte Wälder trocknen schneller aus. Wir haben die falschen Baumarten, wir haben eine Fragmentierung der Waldlandschaft. Im Norddeutschen Tiefland haben wir zum Beispiel nur noch einen Flickenteppich von einzelnen, kleineren Waldpartien.
Eng mit dem Thema ist auch der Holzverbrauch verbunden: Unser Holzverbrauch für Verpackungen, Hygieneprodukte und andere Wegwerfprodukte ist extrem hoch. Wir nutzen Holz für die Wärmeproduktion und zunehmend auch für die Stromerzeugung. Holz ist bisher so klassifiziert, dass es eine klimaneutrale Ressource sei. Das führt dazu, dass Holz immer mehr in allen Sektoren, die wir transformieren wollen, im Namen des Klimaschutzes und zur Erreichung des Pariser Abkommens verwendet wird. Das ist aber aus unserer Sicht nicht richtig. Die Nutzung von Holz ist eben nicht kohlenstofffrei. Wir setzen sehr viel Kohlenstoff über die Holznutzung frei – ob wir es direkt verbrennen, Einweg- oder andere kurzlebigen Produkte verwenden. Die erneute Bindung des Kohlenstoffes im Wald dauert hingegen Jahrzehnte und damit viel länger."
Was kann und muss getan werden, um den Zustand der Wälder zu verbessern? Welche Möglichkeiten sehen Sie, das Baumsterben aufzuhalten?
Susanne Winter: "Die wichtigste Maßnahme ist der Klimaschutz. Die Regierung müsste massiv in den Klimaschutz investieren und ihn gewährleisten. An zweiter Stelle steht die Veränderung der Landwirtschaft: Die Landwirtschaft setzt sehr viel Stickstoff und Pestizide in den Wald frei. Diese Stickstoffeinträge, aber auch die Pestizide führen dazu, dass es zu Nährstoff-Ungleichgewichten im Ökosystem kommt und dadurch eben zu einer Verringerung der Resilienz [Widerstandskraft] der Waldökosysteme.
Der Wald selbst kann durch diverse Maßnahmen geschützt werden: Wir brauchen global einen Kampf gegen illegale Holznutzung. Illegal geschlagenes Holz erreicht uns auch in Europa und Deutschland. Das heißt also, hier bräuchten wir eine ganz klare Stärkung der Einhaltung der Holzhandelsverordnung der EU, damit uns dieses kriminell geschlagene Holz nicht erreicht. Kontrollen und Strafverfolgung müssen vervielfacht werden."
"Wir brauchen einen Schutz der letzten Urwälder in Europa. Das sind unsere biodiversitätsreichen und kohlenstoffreichen Wälder. Alle alten Wälder sind Träger von Biodiversität und Kohlenstoff, und diese sollten deutlich stärker geschützt werden. Hierzu müsste die Bundesregierung die EU-Biodiversitätsstrategie jetzt schnell umsetzen."
"Zudem sollten die Wälder weniger fragmentiert werden – nicht immer noch mehr Wege hinein oder Windräder, die diese Ökosysteme verändern. Wir brauchen eine naturnahe Waldbewirtschaftung mit einer geringeren Einschlagshöhe. Auch die Einschlagstypen sollten sich verändern. Je weniger Einfluss auf das Ökosystem genommen wird, indem man Bäume entnimmt, umso besser. Mehr Totholz im Wald bedeutet zudem mehr Wasserrückhalt."
Wie schätzen Sie die Handlungen der Bundesregierung zum Schutz von Bäumen und Wäldern ein? 2019 wurde von Bund und Ländern beschlossen, Waldbesitzern und Forstwirten einen Topf von 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen.
Susanne Winter: "Das ist viel Geld. Das Geld hätte auf jeden Fall für einen Paradigmenwechsel in der Forstwirtschaft genutzt werden können. Es wäre richtig, Geld zur Verfügung zu stellen, um die Bewirtschaftung wirklich deutlich zu verändern. Die Bedingungen, die bisher an die Ausschüttung geknüpft werden, sind aber nicht genügend. Es wird zwar unter anderem eine Zertifizierung verlangt, aber es gibt unterschiedliche Zertifizierungen in Deutschland. Hier hätte man nur mit FSC und Naturland zertifizierte Wälder fördern sollen. Der große Schritt in die Nachhaltigkeit hinein, von dem Frau Klöckner gesprochen hat, ist mit einer Zertifizierung per se nicht gegeben – nicht, wenn die Zertifizierung sehr schwach ist, notwendige Veränderungen gar nicht verlangt und auch die Kontrolle zu gering ist."
Abschließend: Wie stehen Sie zu Aktionsformen wie dem Besetzen von Bäumen (z. B. Dannenröder oder Hambacher Forst), um die Abholzung zu verhindern?
Susanne Winter: "Der WWF teilt natürlich die Ziele, die mit diesen Aktionen erreicht werden sollen. Der Wald ist bei dieser Aktion eher der Sympathieträger, nämlich für den Klimaschutz, gegen die Nutzung der Kohle oder gegen den weiteren Neubau von Straßen. Die Kohlenutzung muss sowieso zur Umsetzung des Pariser Abkommens stark heruntergefahren werden und der Verkehr muss von der Straße wegverlagert werden. Das heißt also, die Ziele selbst teilen wir natürlich. Und dass die alten Wälder, die dabei im Fokus stehen, geschützt werden sollen, das sehen wir natürlich genauso. Wir sehen auch, dass diese Aktionsform in der Gesellschaft recht hohe Sympathiewerte hat. Das ist aber keine Aktionsform des WWF."
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