Von 375 Gesundheitsämtern in Deutschland haben 239 die Software eingerichtet, so das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HIZ). Doch nur 84 Ämter wenden die Software auch an. 130 Ämter haben bisher noch nicht einmal die notwenigen Verträge unterzeichnet, schreibt die Welt am Sonntag.
Das Programm mit dem Namen Sormas hat das HIZ mit Förderung des Bundesgesundheitsministeriums entwickelt. Bis Ende Februar sollte bundesweit die Software zur Kontaktverfolgung in allen Gesundheitsämtern laufen. Doch daraus wird wohl nichts.
In Afrika deckt Sormas bereits 36 Millionen Menschen in 15 von 36 Bundesstaaten des Staates Nigeria ab. Dort läuft es. Die Wissenschaftler des HZI haben dort das System flächendeckend implementiert, um Daten zu Infektionskrankheiten wie Meningitis und Corona zu sammeln.
Viele deutsche Kommunen arbeiten bisher mit anderen, individuellen Programmen. Für Sormas hat etwa die Hamburger Sozialbehörde keinen Bedarf. Die Ämter seien ohnehin überlastet und könnten derzeit weder eine neue Software einführen, noch Mitarbeiter schulen.
Andere sehen den angeblichen Mehrwert der neuen Software nicht. So fehlten etwa Schnittstellen zu anderen Programmen. Auch die mangelnde Kompatibilität bereite große Probleme. Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsamtes bestätigte, dass "die Vielfalt der bestehenden Softwarelösungen die Einführung und Verknüpfung mit neuen Softwarelösungen erschwert." Die Entwicklung der fehlenden Schnittstellen zu kommerziellen Programmen sei wesentlich von den Herstellern selbst abhängig.
Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch sieht die Bundesregierung in der Verantwortung. Gegenüber der Welt am Sonntag sagte er:
"Angela Merkel und Jens Spahn bemühen bei jeder Lockdown-Verlängerung die Bedeutung der Kontaktverfolgung durch die Gesundheitsämter. Gleichzeitig agiert die Bundesregierung, als hätten diese keine Priorität."
Für den parlamentarischen Geschäftsführer der FDP im Bundestag, Marco Buschmann, ist es "eine große Enttäuschung, dass die letzten Monate nicht konsequenter genutzt wurden, Sormas voranzubringen."
Angesichts einer drohenden dritten Welle mit sogenannten Corona-Mutanten ist es deshalb eher unwahrscheinlich, dass in Nordrhein-Westfalen bis Ende Februar Sormas verwendet wird. "Der vollständige Wechsel zu dieser Software ist ein Kraftakt, der nur schrittweise gelingen kann", sagte Helmut Dedy, der Geschäftsführer des Städtetags NRW, der Rheinischen Post.
Mit Sormas sollen die Ämter Kontakte von "Infizierten" schneller und effizienter nachverfolgen können. Der Austausch von Fällen und Kontaktpersonen zwischen den einzelnen Gesundheitsämtern sollte einheitlich digitalisiert stattfinden. Damit könnte man Symptome und Quarantäne-Maßnahmen besser kontrollieren und regionale Ausbruchsgeschehen schneller in den Griff bekommen. Das wäre eine entscheidende Voraussetzung für die Lockerung der geltenden Maßnahmen.
Mehr zum Thema - Wegen Spahns Äußerung: Einzelhändler stürzt sich ins Verderben