Es bleiben nur wenige Tage bis zum CDU-Wahltag, und Friedrich Merz liegt laut Umfragewerten als Kandidat knapp vor seinen Rivalen Armin Laschet und Norbert Röttgen. Sehr gut möglich, dass die CDU-Delegierten am 16. Januar digital über den nächsten Kanzler abstimmen.
Im Unterschied zu NRW-Ministerpräsident Laschet, aber auch Röttgen, der drei Jahre Umweltminister war, verfügt Merz nicht über Regierungserfahrung, dafür aber sehr wohl über solche als Mitglied in diversen Aufsichtsräten. Zu nennen ist vor allem seine Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender beim weltweit größten Vermögensverwalter BlackRock, die er erst Ende März 2020 beendete. Als Aufsichtsratschef des BlackRock Deutschland stellte er Kontakte des Finanzkonzerns, der mit einem Vermögen von rund acht Billionen US-Dollar über immense ökonomische und politische Macht verfügt, zu Behörden und Regierungen her.
Diese Tatsachen werden in der aktuellen Berichterstattung über Merz allerdings gerne unterschlagen, unbekannt sind sie dennoch nicht. Was weniger bekannt ist, ist die Tatsache, dass Merz auch aktuell einen Lobbyposten innehat. Nach dem Scheitern seiner ersten Kandidatur für den Parteivorsitz wurde er Anfang 2019 zum (einzigen) Vizepräsidenten des CDU-nahen "Wirtschaftsrat der CDU" gewählt.
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Wie Lobbycontrol berichtet, ist der Wirtschaftsrat – anders, als der Name vermuten lässt – kein Parteigremium, sondern ein unternehmerischer Berufsverband.
"Als solcher dient er Unternehmen als Lobbyforum, das privilegierte Zugänge zur Politik herstellt."
Die zahlreichen Veranstaltungen des Wirtschaftsrats zögen regelmäßig Unions-Größen aller Ebenen an – Verkehrsminister Andreas Scheuer bezeichnete die große Jahrestagung als "Pflichtprogramm" in seinem Kalender. Auffällig sei auch: Die Präsidentin des Wirtschaftsrats sitzt qua Amt als ständiger Gast im CDU-Bundesvorstand – obwohl das Parteistatut nur Parteifunktionäre als Mitglieder vorsieht.
Mitglieder des Wirtschaftsrates, zu dem 12.000 Unternehmen zählen, erarbeiten in diversen Fachkommissionen politische Positionen, die sie auch in die politischen Entscheidungsprozesse einbringen. Lobbypedia zählt politische Entscheidungen auf, die der "Wirtschaftsrat der CDU e. V." – so heißt das Gremium offiziell – zu seinen Erfolgen zählt: etwa bei der Einführung der Schuldenbremse für die öffentlichen Haushalte, der Entschärfung des Klimaschutzplans 2050 oder der Senkung des Arbeitslosenbeitrags. "Zudem sprach er sich gegen eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes aus. Mit Verweis auf die Pandemie lehnte er sowohl die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns als auch die Einführung der Grundrente zum Jahr 2021 ab", so Lobbypedia.
Diese einseitige Einbindung von Wirtschaftslobbyisten und damit auch großen Arbeitgebern kann nach Meinung eines Kommentators im Handelsblatt für die CDU mit ihren Regierungsplänen nach hinten losgehen. "Der Vorsitzende einer Volkspartei und ihr möglicher Kanzlerkandidat muss bei einer breiten Mehrheit der Bürger anschlussfähig sein. CDU-Politiker oder Wirtschaftsvertreter, die von einem Kanzler Merz träumen, laufen Gefahr, nach der Wahl mit einer rot-rot-grünen Koalition und einer grünen Kanzlerin aufzuwachen." Er sieht Laschet als Figur, die diese Einseitigkeit überwinden kann:
"An seinem Kabinettstisch sitzen mit Karl-Josef Laumann der Chef des Arbeitnehmerflügels und mit Hendrik Wüst der Vorsitzende des nordrhein-westfälischen CDU-Wirtschaftsflügels. Laschet bindet beide Seiten ein."
In seinem Artikel weist Lobbycontrol auch auf die zahlreichen Nebeneinkünfte von Merz hin, mit denen er im Bundestag zu den Spitzenverdienern zählte – Tatsachen, die nach seinem Ausscheiden als Abgeordnete vor elf Jahren in Vergessenheit gerieten. Er habe sich dagegen gesperrt, seine Nebeneinkünfte offenzulegen, und vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Transparenzpflichten geklagt – erfolglos. Die Lobbywächter schlussfolgern:
"Mit Merz kandidiert also ein Top-Lobbyist für den Parteivorsitz – ein Mann, der nicht nur 'aus der Wirtschaft' kommt, sondern ganz klar Unternehmensinteressen verpflichtet ist. (…) Gerade im Jahr der Bundestagswahl braucht es Parteivorsitzende, die klar für das Gemeinwohl stehen."
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