DGB-Chef Hoffmann: "Viel zu viele Menschen sind ärmer geworden"

Deutschland komme gut durch die Krise, heißt es oft. Doch das trifft längst nicht für alle Menschen zu. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes läutet die Alarmglocken. Er verwies dabei einerseits auf den Niedriglohnsektor, andererseits auf die steigenden Mieten

Der Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) beklagt eine Vergrößerung des sozialen Gefälles in Deutschland durch die Folgen der Corona-Pandemie. "Viel zu viele Menschen sind in der Pandemie noch ärmer geworden – auch durch Kurzarbeit", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Geringe Löhne, schmerzhafte Einkommenseinbußen und steigende Wohnkosten brächten viele Menschen in Deutschland in eine schwierige Lage.

"In Deutschland arbeiten sieben Millionen Menschen im Niedriglohnbereich", sagte Hoffmann. Seit Monaten sei Kurzarbeit auch in Branchen mit eher geringen Einkommen weit verbreitet, etwa in der Hotellerie und dem Gastgewerbe. "Aber erst nach vier Monaten wird das Kurzarbeitergeld von 60 auf 70 Prozent und nach sieben Monaten auf 80 Prozent vom Einkommen aufgestockt", erläutert der Gewerkschaftler. "Wenn man aber schon bei 100 Prozent den Euro dreimal umdrehen muss, weil der Lohn so gering ist, wie soll man dann so lange mit 60 Prozent davon auskommen?"

Zuletzt waren im September 2,2 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit, im April waren es knapp sechs Millionen Menschen. Für November und Dezember mit erst teilweisem und dann erweitertem Lockdown wird wieder ein Anstieg erwartet.

Nach Einschätzung von Hoffmann geraten viele Menschen von mehreren Seiten her in eine finanzielle Klemme. Der DGB-Chef erinnerte an die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt in den vergangenen Jahren, "die die Mieten erheblich ansteigen ließ". 

"Bezahlbarer Wohnraum ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Selbst Menschen, die gar nicht arbeitslos sind, geraten so in die Armutsfalle", gibt Hoffmann zu bedenken.  

Laut Statistischem Bundesamt lebten im vergangenen Jahr rund 11,4 Millionen Personen in Haushalten, die von hohen Wohnkosten finanziell überlastet waren – knapp 14 Prozent der Bevölkerung. Eine Überbelastung bei Wohnkosten gibt es laut der Behörde, wenn ein Haushalt mehr als 40 Prozent des Netto-Einkommens für das Wohnen ausgibt. Im Schnitt wendete die Bevölkerung in Deutschland im vergangenen Jahr rund 26 Prozent des Haushaltseinkommens für Miete und Nebenkosten beziehungsweise den Unterhalt von Wohneigentum auf.

In der Corona-Krise bremste Lohnzurückhaltung zudem den Anstieg der Tarifverdienste. Nach Berechnungen der Statistikbehörde lagen die Gehälter im Jahresschnitt 2020 um 2,1 Prozent höher als 2019 – der geringste Zuwachs seit 2016.

Dennoch gilt nach Ansicht von Hoffmann: "Deutschlands Arbeitnehmer kommen dort relativ gut durch die Krise, wo Tarifverträge gelten oder wo wir starke Betriebs- und Personalräte haben." Viele Menschen arbeiteten nicht unter den Bedingungen einer funktionierenden Sozialpartnerschaft mit Gewerkschaften im Rücken. "In der Gastronomie hatten wir beispielsweise jahrelang das Problem, dass sich die Arbeitgeber systematisch jeglicher sozialen Verantwortung entzogen haben", kritisiert Hoffmann. "Die daraus resultierenden Probleme verschärfen sich jetzt in der Krise."

In vielen Industriebetrieben dagegen sei die Produktion problemlos weitergelaufen. "Für viele Betriebe konnten wir eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds auf bis zu 90 Prozent in Tarifverträgen regeln." Auch im Bereich der Ausbildung hätten Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsame Anstrengungen unternommen. Der Arbeitgeberverband BDA, das Handwerk und die einzelnen Unternehmen dürften jetzt nicht nachlassen bei den Bemühungen, Jugendliche auch in der Krise in Ausbildung zu bringen.

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(dpa/rt)