Koalitionskrise in Sachsen-Anhalt: Vom "ungeheuren Dammbruch" bis zur "Afghanistan-Koalition"

Die bundesweit erste "Kenia-Koalition" ist in der Krise. Auch nach der Entlassung von Innenminister Stahlknecht tendiert die CDU zur Ablehnung der GEZ-Gebührenerhöhung. Im Landtag würde sie gemeinsam mit der AfD eine Mehrheit bilden. SPD und Grüne sind für die Erhöhung.

In Sachsen-Anhalt ist auch nach der Entlassung von Innenminister Holger Stahlknecht am 4. Dezember und seinen Rücktritt als CDU-Landesvorsitzender am Abend desselben Tages keine Entspannung in der Koalitionskrise von CDU, SPD und Grünen in Sicht. SPD und Grüne bestehen auf der Erhöhung der Rundfunkgebühren – die CDU stellt sich nach wie vor dagegen. Eine mögliche Mehrheit für die Ablehnung der Gebührenerhöhung mit Stimmen von CDU und AfD wird von SPD, Grünen, Linken und FDP kritisiert. Die Abstimmung ist für Mitte Dezember vorgesehen.

Die bundesweit erste "Kenia-Koalition" (CDU, SPD und Grüne) droht an dem Streit um die Rundfunkgebühren zu zerbrechen. Die CDU beruft sich auf den gemeinsamen Koalitionsvertrag, in dem eine "Beitragsstabilität" vereinbart wurde. SPD und Grüne sehen die geplante Erhöhung um 86 Cent – von 17,50 Euro auf 18,36 Euro im Monat – lediglich als "Inflationsausgleich", der dem Koalitionsvertrag nicht widerspreche. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte sich im März 2020 bei einer gemeinsamen Beratung der Länder in der Frage der Gebührenerhöhung enthalten.

Für die Landtagsfraktion der CDU Sachsen-Anhalt ging es in der Frage nicht um eine Zusammenarbeit mit der AfD. Der Landtagsabgeordnete Markus Kunze hatte Anfang der Woche im Interview mit dem MDR erklärt:

"Es geht nicht um eine Kooperation mit der AfD. Als CDU-Fraktion kämpfen wir seit über zehn Jahren für Beitragsstabilität, für einen bezahlbaren öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Vor über zehn Jahren gab es noch keine AfD. Wenn man jetzt aufgrund fehlender Sachargumente versucht, uns hier in irgendeine Ecke zu drängen, ist das unfair und unredlich. Wir stehen zu unserem Koalitionsvertrag, in dem wir die Beitragsstabilität vereinbart haben. Und wir stehen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er ist richtig und wichtig. Aber aus unserer Sicht und der vieler Bürger ist er in den letzten Jahrzehnten einfach zu groß und zu teuer geworden."

Debatte um ein gemeinsames Votum von CDU und AfD

Sobald bekannt wurde, dass sowohl die CDU- als auch die AfD-Fraktion planen, gegen die Gebührenerhöhung zu stimmen, verschob sich allerdings die politische Debatte. Im Vordergrund steht nun nicht mehr die Frage des Rundfunks, sondern die Positionierung der CDU zur AfD und die Frage, ob es legitim sei, mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit im Landtag zu stellen.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle bezieht deutlich Position:

"Man darf mit Rechtsextremen nicht zusammenarbeiten. Deshalb hoffe ich, dass der Ministerpräsident die Brandmauer in seiner Partei sehr hoch halten kann."

Das Weiterbestehen der Koalition ist für sie an die Kompromissbereitschaft der CDU gebunden. In der Frage der Rundfunkerhöhungen müsse man "irgendwie etwas Gemeinsames hinbekommen" – etwa die Gebührenerhöhung an einen Forderungskatalog für weitere Verhandlungen zu knüpfen. Ob das gelingen könne, ließ sie offen: "Ich kann allerdings nicht abschätzen, inwieweit es bei der bisher sehr festgemauerten CDU Bewegung gibt. Und natürlich sitzen auch die Grünen mit am Tisch, die eigene Vorstellungen haben."

 Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) kritisiert die CDU scharf:

"Ich wundere mich, wie sehr da eine Partei vielleicht ihrem eigenen Ministerpräsidenten in den Rücken fällt. Die Unterstellung, die einigen Beteiligten gemacht wird, macht man ihnen wohl zu Recht. Denen geht es um eine gemeinsame Strategie mit der AfD. Da stellen sich einige an die Seite der Populisten, die versuchen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schlechtzureden."

Für die Grünen ist ein gemeinsames Votum von CDU und AfD gleichbedeutend mit einem Bruch der Koalition. Ihr Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sprach seine "ernsthafte Sorge" aus. Er hoffe darauf, "dass die CDU im Bund noch irgendeinen ordnenden Einfluss hat, damit die CDU in Sachsen-Anhalt in der Mitte bleibt und nicht nach rechts abdriftet".

Der Co-Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt Sebastian Striegel kritisiert die mangelnde Kompromissbereitschaft der CDU – das könne "in einer Demokratie kein Ausgangspunkt für Verhandlungen sein":

"Wir wollen, dass die Regierungsvorlage eine Mehrheit im Parlament bekommt. Aber wir sind sehr gern bereit, über Fragen zu reden, die damit verbunden werden können. […] Wir könnten als Koalition nach vorne schauen, könnten bestimmte Reform-Erfordernisse mal genauer festschreiben in einem Entschließungsantrag."

Die Linke: Ein "ungeheurer Dammbruch"

Besonders deutliche Kritik kam von der Partei Die Linke. Deren Parteivorsitzende Katja Kipping spricht von einem "ungeheuren Dammbruch":

"Der Machtkampf in Sachsen-Anhalt ist längst mehr als ein Kampf zwischen Haseloff und Stahlknecht. Es geht um die Frage, ob die CDU den Schulterschluss mit den Faschos von der AfD sucht."

Über Twitter äußerte sich auch Dietmar Bartsch (Die Linke):

Vonseiten der Oppositionsparteien (AfD, Linke, FDP) wird der Vorwurf einer offensichtlichen Handlungsunfähigkeit der Landesregierung erhoben. Sie fordern Ministerpräsident Haseloff auf, die Vertrauensfrage im Landtag zu stellen – und damit eventuell den Weg frei zu machen für Neuwahlen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD Sachsen-Anhalt Robert Farle bezeichnet die CDU als "Trümmerhaufen", in dem "hinter den Kulissen jeder jedem ein Beinchen" stelle. Er sieht Haseloff nicht mehr in der Lage dazu, die Kontrolle über die CDU-Fraktion zu halten. Er ordne die CDU dem Willen von Grünen und Linken unter. Stahlknecht hingegen habe versucht, einen eigenständigen Weg zu gehen.

Wie geht es weiter in Sachsen-Anhalt?

Auch aus der Bundes-CDU gibt es nun Stimmen, die die CDU Sachsen-Anhalt zum Einlenken auffordern. Der CDU-Vorsitzkandidat und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet schloss eine Zusammenarbeit mit der AfD deutlich aus: Die AfD sei eine "radikale Rechtspartei" und "kann niemals politischer Partner sein". Ebenso äußerte sich der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak:

"Es geht ihnen um nichts anderes als die Infragestellung der Glaubwürdigkeit der Union im Umgang mit der AfD."

Aber auch SPD und Grüne seien gefordert. Ziemiak warf diesen vor, den Koalitionsvertrag brechen zu wollen. Für die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer liegt ein Teil der Verantwortung für die Eskalation bei SPD und Grünen. Immerhin habe Ministerpräsident Haseloff Vorschläge für eine politische Lösung gemacht – zum Beispiel den Antrag auf Nichtbefassung im Landtag. Diesen hatten SPD und Grüne jedoch abgelehnt: "Die Entscheidung liegt jetzt insbesondere bei SPD und Grünen, die sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst werden müssen."

Wie die Koalitionskrise in Sachsen-Anhalt gelöst werden kann, ist noch ungeklärt. Auf tagesschau.de werden "vier Szenarien" dargestellt, "wie es jetzt in Sachsen-Anhalt weitergehen könnte":

Betont wird, dass es im Falle eines Misstrauensvotums gegen Haseloff zur Wahl eines neuen Ministerpräsidenten kommen würde. Würde dieser Anlauf in drei Wahlgängen scheitern, käme es zu Neuwahlen. Dieses Szenario gilt aber nicht als wahrscheinlich, da in Sachsen-Anhalt ohnehin für den 6. Juni 2021 Landtagswahlen angesetzt sind.

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