Zeigt sich im Fall Wirecard ein weiterer Beraterskandal? Immerhin sind große Namen in teils dubiosen Schritten involviert, darunter KPMG, Ernst & Young (EY) und Baker Tilly. KPMG ist zugleich in der Rolle des Sonderprüfers prominent. Der Wirtschaftsprüfer, der für die Prüfung zum Bilanzbetrug beim früheren DAX-Unternehmen Wirecard verantwortlich war, fand deutliche Vorwürfe gegen Wirecard und lenkte damit auch den Fokus auf EY.
"Im Verlauf der Untersuchung sind wir auf erhebliche Hürden und Hindernisse gestoßen, die in der mangelnden Kooperationsbereitschaft von Wirecard begründet lagen", sagte Alexander Geschonneck von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG am Donnerstag im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Dokumente seien teils mit mehrmonatiger Verspätung zur Verfügung gestellt, Interviewtermine verschoben und der Zugang zu IT-Systemen nicht ermöglicht worden.
Das Ergebnis sei trotzdem klar gewesen: Für die Geschäfte mit Drittpartnern in Asien habe Wirecard keine ausreichenden Nachweise zur Existenz von Kundenbeziehungen und daraus angeblich erzielten Umsätzen vorgelegt. Diese Geschäfte sollen bei Wirecard zuletzt mehr als die Hälfte des Umsatzes und einen Großteil des Gewinns ausgemacht haben. Es habe keine ausreichenden Nachweise zur Höhe der Umsätze, zu Kontoständen oder Zahlungseingängen gegeben, berichtete Geschonneck.
KPMG wurde im Oktober 2019 mit der Sonderprüfung beauftragt, nachdem es mehrere Berichte über Unregelmäßigkeiten bei dem Tech-Konzern gegeben hatte. Der Untersuchungsbericht brachte den Skandal erst richtig ins Rollen. Im Sommer räumte der inzwischen insolvente DAX-Konzern dann Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro ein.
Vor allem die Wirtschaftsprüfer von EY, die die Abschlüsse des Konzerns jahrelang als ordnungsgemäß bewertet hatten, gerieten aktuell unter stärkeren Druck, wie das Handelsblatt berichtet. Zu keinem Zeitpunkt habe KPMG ausreichende Prüfungsbelege für wichtige Sachverhalte von dem Unternehmen und seinem Abschlussprüfer EY erhalten, wie Geschonneck sagte. Dabei hatte EY für die Wirecard-Bilanz in den Jahren 2016 bis 2018 je uneingeschränkte Testate ausgestellt – die Wirtschaftsprüfer sollen die Existenz dieser Konten nicht ausreichend geprüft haben. Vor allem geht es dabei um Treuhandkonten in Asien, wo 1,9 Milliarden Euro Guthaben von Wirecard angeblich lagen, welche sich aber im Juni dieses Jahres als Luftbuchung erwiesen.
Wirecard unterhielt im Geschäftsjahr 2018 ein Treuhandkonto in Singapur, auf dem hohe Beträge gelegen haben sollen. Geschonneck sagte vor dem Untersuchungsausschuss, auch für dieses Konto sei von keiner Seite ein ausreichender Nachweis vorgelegt worden. Beim Prüfen der Konten in Asien habe KPMG mit Methoden eines Abschlussprüfers gearbeitet, also keine Sonderermittlungsmethoden angewendet, die den Prüfern von EY nicht offengestanden hätten.
Nun erhob die Aufsichtsbehörde APAS Vorwürfe gegen Ernst & Young (EY) und schaltete die Staatsanwaltschaft ein. Die APAS ist eine Wirtschaftsprüferaufsichtsstelle im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München sagte am Donnerstag, ein entsprechendes Schreiben der APAS liege den Strafverfolgern vor und werde geprüft. Ein Sprecher der APAS ergänzte, die berufsaufsichtlichen Ermittlungen zu Abschlussprüfungen bei Wirecard dauerten an. Zwischenstände würden nicht kommentiert. Ein Bundestagsabgeordneter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Dokumente lägen in der Geheimschutzstelle des Bundestags. Vonseiten der Generalstaatsanwaltschaft Berlin hieß es, es gebe dort keine Ermittlungen.
Ein Sprecher der Wirtschaftsprüfungsfirma EY wies jegliche Vorwürfe zurück: "Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten von Abschlussprüfern von EY im Fall Wirecard. Jede andere Information wäre eine Falschinformation und würde einer massiven Rufschädigung gleichkommen."
Dies allerdings korrigierte die Staatsanwaltschaft in München, die die Ermittlungen leitet, laut einem Bericht des Stern. Einige Darstellungen von EY seien missverständlich, und die Aussage, dass es "keinerlei Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten von Abschlussprüfern von EY im Fall Wirecard" gebe, könne die Staatsanwaltschaft München "nicht bestätigen". Dies werde zunächst geprüft.
Das einst als deutsche Technologiehoffnung gehandelte Unternehmen machte nach bisherigem Stand der Ermittlungen jahrelang Verluste. Wirecard hatte seine Bücher nach bisherigen Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft jahrelang mithilfe von Luftbuchungen geschönt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass seit 2015 Scheingewinne auswiesen wurden. Im Sommer brach das Kartenhaus zusammen, und Wirecard ging pleite. Gläubiger machten nach der Insolvenz mehr als zwölf Milliarden Euro an Forderungen geltend. Allein Banken und Investoren verloren nach ihren Berechnungen mehr als drei Milliarden Euro.
Sollte den Prüfern von EY Vorsatz und Straftaten nachgewiesen werden, ergibt sich laut Handelsblatt für die Anleger-Klägeranwälte ein aussichtsreicher Weg zu Schadenersatzforderungen wegen sittenwidriger Schädigung. Dann stünden massive Zahlungen im Raum.
"Bei EY brennt der Dachstuhl. Sie streuen Nebelkerzen", so der finanzpolitische Sprecher der Linken, Fabio De Masi. Auch der FDP-Finanzexperte Florian Toncar äußerte sich kritisch: "Die Wirtschaftsprüferaufsicht APAS sieht offenbar schwerwiegende Verstöße im Zusammenhang mit der Abschlussprüfung. Das muss in jedem Fall aufhorchen lassen." Der Grünen-Finanzexperte Danyal Bayaz sagte zu Stern und Capital: "Die Staatsanwaltschaft ist gut beraten, die Anzeige der APAS sehr genau zu prüfen. Vom Ausgang können auch etwaige Schadensersatzansprüche von Anlegern betroffen sein."
KPMG und der Mauritius-Fonds
Doch auch die bekannte und spätestens seit dem Beraterskandal im Verteidigungsministerium berüchtigte Wirtschaftsprüfungs- und Beratergesellschaft KPMG geriet im Rahmen der Ermittlungen die Kritik. Offenbar beriet und prüfte das Unternehmen selbst den Fonds EMIF 1A mit Sitz in der Steueroase Mauritius, der laut einem Bericht des Handelsblatt eine entscheidende Rolle "bei der wohl dubiosesten Transaktion der Wirecard-Geschichte" spielt. Dabei ging es um den Kauf einer indischen Firmengruppe um das Unternehmen Hermes I Tickets im Wert von über 320 Millionen Euro. Jedoch wurden diese bereits wenige Wochen zuvor für nur 35 Millionen Euro von EMIF 1A gekauft. Die Ermittlungen dazu sind nicht abgeschlossen, doch besteht der Verdacht, dass Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und andere Manager mithilfe des Fonds einen dreistelligen Millionenbetrag auf Kosten des Konzernvermögens zu eigenen Gunsten umgeleitet haben könnten.
KPMG war im Juli 2016 als Bilanzprüfer des Mauritius-Fonds tätig, verschwieg dies allerdings im Zuge seiner Sonderprüfung der Wirecard-Bilanzen. Zudem beriet KPMG den Fonds auch, wie Dokumente vom Februar 2016 zeigen, die im ehemaligen Privatbüro von Marsalek in dessen Gründerzeitvilla in München gefunden und zunächst laut Ermittlern kaum beachtet wurden, weil das Indien-Geschäft nicht relevant erschien. Trotz der Tätigkeit von KPMG Indien für den Fonds will KPMG keinerlei Kenntnis über dessen wirtschaftlich Berechtigte haben.
KPMG beriet zudem die indischen Unternehmen Hermes und Orbit aus dem EMIF-Universum, wie ein Dokument vom Januar 2016 zeigt. Dieses bezieht sich womöglich auf den verdächtigen Wirecard-Partner Goomo, zu dem der für das Projekt zuständige KPMG-Mitarbeiter laut Recherchen der Financial Times einige Monate später wechselte und das im Jahr 2017 eine Finanzierung über 50 Millionen Dollar von EMIF 1A sowie ein Darlehen über elf Millionen Euro von der Wirecard Bank erhalten und nie zurückgezahlt haben soll.
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