Mit Medikamenten die eigenen Kinder ruhigstellen: Eltern bitten Ärzte häufiger um Psycho-Medikamente

Jeder achte Kinderarzt berichtet, dass Eltern seit der Corona-Krise öfter um Medikamente gegen Verhaltensauffälligkeiten bitten. 150 niedergelassene Kinderärzte wurden dazu befragt. Das größte Problem stellte hierbei die Doppelbelastung der Eltern dar.

Valium zum Einschlafen oder Ritalin gegen ADHS – immer mehr Eltern scheinen mit ihren Kindern während der Corona-Krise überfordert zu sein und greifen auf Pillen zurück. Dies geht aus einer aktuellen Umfrage unter Kinderärzten in Deutschland hervor.

150 Kinderärzte befragt

Die Probleme mit privater Betreuung und Homeschooling in der Corona-Krise haben offenbar zu einer höheren Nachfrage nach ruhigstellenden Arzneimitteln für Kinder geführt. Jeder achte niedergelassene Mediziner berichtet, dass Eltern seit dem staatlich verordneten Lockdown häufiger von sich aus um Medikamente für ihre Kinder zur Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten oder psychischen Problemen bäten.

Besonders Praxen in sozial schwächeren Gebieten registrierten solche Anfragen. Für die Studie "Homeschooling und Gesundheit 2020" der pronova BKK waren 150 niedergelassene Kinderärzte befragt worden.

Das größte Problem für Familien in der Corona-Krise war aus ihrer Sicht die Überforderung der Eltern in Folge der Doppelbelastung durch Arbeit und Betreuung. Und die Kinder hätten stark unter Kontaktbeschränkungen, dem Fehlen von Strukturen und mangelndem körperlichen Ausgleich gelitten, so das Resümee. 85 Prozent der Kinderärzte sagten, ihre jungen Patienten hätten vor allem ihre Freunde vermisst.

80 Prozent stellten fest, dass den Kindern feste Gruppen wie in Kita, Klasse oder Sportverein fehlten. 60 Prozent der Pädiater bemängelten, dass der Nachwuchs während des Lockdowns zu wenig Sport gemacht habe.

Kinder wurden zu häufig allein gelassen

Auch die Probleme, die während der Schul- und Kitaschließungen beim Homeschooling auftraten, erreichten die Kinderarztpraxen. Neun von zehn Ärzten berichteten von überforderten Eltern, die monatelang neben ihrer Arbeit ihre Kinder betreuen und bei Schulaufgaben unterstützen mussten. Sieben von zehn Ärzten sahen die Schwierigkeit, mehreren Kindern gerecht zu werden, als Teil dieser Überforderung. Und ebenso viele Mediziner beschrieben den fehlenden Kontakt ihrer Schützlinge zu Lehrkräften als Problem. 

"Kinder wurden zu häufig allein gelassen", sagte Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, dem Tagesspiegel.

Eltern konnten die schulischen Umstellungen nicht immer auffangen, selbst wenn sie es versucht haben", so Fischbach.

Infolgedessen hätten sie zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbracht und sich auch zu wenig bewegt, stellte mehr als die Hälfte der Mediziner fest.

Der wichtigste Ratschlag der Ärzte an die Eltern, um im Homeschooling zu bestehen, lautet: Alltagsstrukturen schaffen. Das sagen drei Viertel der Pädiater. In Homeschooling-Phasen könne etwa ein Familien-Stundenplan helfen. "Dann sehen die Kinder, wann gearbeitet, gegessen oder gespielt wird", so Fischbach weiter. Eine wichtige Rolle spielten zudem klare Regeln bei der Mediennutzung.

Zu wenig regulierter Medienkonsum war aus kinderärztlicher Sicht schon vor der Corona-Krise ein Problem. Das hat sich im Shutdown nicht entschärft, im Gegenteil.

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