"Die soziale Ungleichheit ist unerträglich hoch" – mit diesen Worten leitet die Hilfsorganisation Oxfam ihren neuesten Bericht zur globalen Vermögensverteilung ein, der am Montag unter dem Titel "Im Schatten der Profite" erschienen ist.
Demnach besitzt die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen nicht einmal ein Prozent des globalen Vermögens. Umgekehrt besitzt das reichste Prozent der Menschheit 45 Prozent des globalen Vermögens und somit doppelt so viel wie 6,9 Milliarden Menschen. Oxfam nutzt als Grundlage für die Berechnungen Daten der Schweizer Großbank Credit Suisse sowie Vermögensschätzungen des US-Magazins Forbes.
An der Spitze der Vermögenverteilung steht die Gruppe der Milliardäre, der gegenwärtig weltweit 2.153 Personen angehören. Sie verfügen insgesamt über mehr Vermögen als die unteren 60 Prozent der Weltbevölkerung, was der gigantischen Summe von 8.700.000.000.000 (8,7 Billionen) US-Dollar entspricht.
Die Kehrseite dieses "unfassbaren Reichtums" sei extreme Armut. So lebt jeder zehnte Erdbewohner, das sind also rund 736 Millionen Menschen, laut Angaben der Weltbank von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag. Die Zahl der in extremer Armut Lebenden sei zwar in den letzten Jahren gesunken, "doch die Geschwindigkeit, in der extreme Armut abnimmt, hat sich zugleich halbiert", berichtet Oxfam. Weiter heißt es:
Da die Armutsschwelle von 1,90 US-Dollar global betrachtet zu niedrig angesetzt ist, hat die Weltbank 2018 zudem neue Definitionen vorgelegt. Demnach gelten auch Menschen als arm, die in Staaten mit mittlerem Einkommen mit weniger als 5,50 US-Dollar auskommen müssen – und damit weniger Geld zur Verfügung haben als die dortigen minimalen Lebenshaltungskosten.
Laut dem neuen Schwellenwert leben weltweit 3,4 Milliarden Menschen in Armut, also fast die Hälfte der Weltbevölkerung. Das sei "ein Skandal angesichts des extremen Reichtums, der in den Händen von so wenigen Personen konzentriert ist".
Wenn der Reichtum bis zum Himmel reicht
Mit anschaulichen Beispielen verdeutlicht die Hilfsorganisation die extreme Ungleichverteilung des Wohlstands. Hätte man beispielsweise seit dem Bau der ägyptischen Pyramiden täglich 10.000 US-Dollar auf ein Konto eingezahlt, besäße man heute lediglich ein Fünftel des Durchschnittsvermögens der fünf reichsten Milliardäre.
Ein anderes Beispiel: Wenn jeder Mensch auf seinem Vermögen sitzen würde, das in 100-US-Dollarscheinen aufgestapelt ist, so säße die Mehrheit der Menschen praktisch auf dem Boden. Ein Angehöriger der Mittelschicht in einem reichen Land säße auf einem Geldstapel in der Höhe eines Stuhls. Der Geldschein-Thron der beiden reichsten Männer der Welt würde dagegen bis ins Weltall hinaufragen.
Ein Drittel des Reichtums der Milliardäre geht laut Oxfam auf Erbschaften zurück. Dadurch sei eine "neue Aristokratie" entstanden, "die die Demokratie untergräbt".
Verringerung der Ungleichheit: Bundesregierung habe Umsetzung "eindeutig verfehlt"
Die Vermögensungleichheit ist innerhalb der Europäischen Union auch in Deutschland weiterhin besonders hoch, konstatiert Oxfam. EU-weit sei sie nur in Irland und Lettland ähnlich groß. Die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung verfügte im Jahr 2017 – laut Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) – zusammen über gerade einmal 1,3 Prozent des Gesamtvermögens. Den reichsten zehn Prozent gehörten dagegen insgesamt 56 Prozent des Vermögens.
Dabei sind die Vermögen innerhalb dieser Gruppe nochmals extrem unterschiedlich konzentriert: Die fünf reichsten Menschen (oder Familien) besitzen mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung in Gänze. Und eine Besserung sei nicht in Sicht. Laut Oxfam gebe es keine Hinweise darauf, dass sich an der Ungleichheit hierzulande seit 2017 etwas geändert hätte. Auch die Einkommensungleichheit der regelmäßigen Bezüge sei in Deutschland auf einem Höchststand.
Der Bericht weist darauf hin, dass sich die Bundesregierung im Rahmen der "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung…" verpflichtet habe, die Einkommensungleichheit zu verringern. Dieses Ziel habe sie jedoch "eindeutig verfehlt". Während die Einkommen in Deutschland zwischen 2007 und 2017 im Mittel um 9,8 Prozent wuchsen, stiegen die der ärmeren 40 Prozent nur um 3,7 Prozent, führt Oxfam dazu aus.
Unbezahlte Frauenarbeit als Fundament der Weltwirtschaft
Die Hilfsorganisation legt in ihrem Bericht den Schwerpunkt auf die Situation der Frauen, denn die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen zeige sich nicht allein zwischen Ländern und Bevölkerungsgruppen, "ein eklatanter Unterschied besteht auch zwischen Frauen und Männern". So verdienten Frauen weltweit durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer. Die von ihnen verrichteten Arbeiten seien zudem häufiger prekärer Natur. Männer verfügten zugleich über 50 Prozent größere Vermögen als Frauen.
Frauen sind zudem deutlich schlechter sozial abgesichert und haben seltener Anspruch auf eine Rente – fast 65 Prozent aller Menschen, die im Rentenalter keine Bezüge bekommen, sind Frauen.
Dieses "krasse Missverhältnis" sei das Ergebnis "eines Wirtschaftssystems, in dem Frauen und Mädchen täglich 12,5 Milliarden Stunden unbezahlte Pflege-, Fürsorge- und Hausarbeit leisten, ohne dass der Wert dieser Arbeit gesellschaftlich und ökonomisch anerkannt wird". Dabei seien diese Arbeiten für das Wohlergehen "von Gesellschaften und das Funktionieren der Wirtschaft unersetzlich".
Oxfam veranschlagt für die von Frauen weltweit unentgeltlich geleistete Arbeit einen Wert von jährlich mindestens 10,8 Billionen US-Dollar pro Jahr, was der dreifachen Größe der weltweiten Technologieindustrie entspreche.
Deutschland: "Wer pflegt, verliert"
Auch in Deutschland sei die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen im Vergleich zu dessen europäischen Nachbarn "erschütternd hoch". Der sogenannte "Gender Pay Gap", der den Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern anzeigt, liege in Deutschland bei 21 Prozent.
Dies ist ein europäischer Spitzenwert, der nur knapp unter dem globalen Durchschnitt liegt, und seit Jahren weitgehend unverändert ist.
Im Laufe ihres Arbeitslebens erhielten Frauen nur etwa halb so viel Einkommen wie Männer, was sich entsprechend auf die Rente auswirkt. So sei die Durchschnittsrente von Frauen hierzulande um 53 Prozent niedriger sind als die der Männer.
In einer vergleichenden Studie zwischen OECD- Ländern liegt Deutschland mit Blick auf die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen auf dem letzten Platz.
Ein Grund für die großen Unterschiede bei der Entlohnung und der Rente sei darin zu finden, dass Frauen mehr Zeit mit unbezahlter Pflege- und Fürsorgearbeit verbringen. Ein weiterer wesentlicher Faktor sei die Geburt von Kindern:
Dieser Unterschied wird als 'Strafe der Mutterschaft' bezeichnet und ist in Deutschland ebenfalls besonders hoch. Mütter erfahren eine langfristige Verschlechterung ihres Einkommens um sage und schreibe 61 Prozent im Vergleich zu Männern, die Väter werden, und auch zu Frauen, die keine Kinder bekommen – errechnet für gleiches Ausgangsgehalt.
Der Einfluss von sogenannter Care-Arbeit auf Einkommen, Vermögen, Bildungschancen und Armutsgefährdung erfahre im Zusammenhang mit Ungleichheit zu wenig Aufmerksamkeit, sagte Ellen Ehmke, Analystin für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland. "Wir sollten den Wert dessen anerkennen."
Der direkte Zusammenhang zwischen Vermögensungleichheit und Care ist, dass Frauen viel weniger Vermögen aufbauen können über ihr Leben, weil sie einen Großteil ihrer Arbeit in unbezahlter Pflege und Fürsorge leisten", sagte Ehmke.
In ländlichen Gebieten ärmerer Länder verbrächten Frauen täglich bis zu 14 Stunden mit Pflege- und Fürsorgearbeit. "Auch Mädchen müssen dabei häufig mithelfen."
Um daran etwas zu ändern schlägt Oxfam die Einführung einer zusätzlichen Steuer in Höhe von 0,5 Prozent auf die Vermögen des reichsten Prozents der Menschheit vor. Dadurch würde innerhalb der nächsten zehn Jahre eine Summe zusammenkommen, die nötig ist, um 117 Millionen Arbeitsplätze im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegebereich zu schaffen.
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