von Wladislaw Sankin
Immer mehr europäische Bühnen erfreuen sich des vielfältigen Opern-Repertoires des russischen Komponisten Nikolai Rimski-Korsakow. Für die russische Musik ist der Komponist von zentraler Bedeutung. Er schuf nicht nur Meisterwerke wie die maritime symphonische Dichtung "Scheherazade", den berühmten 15-Minüter "Capriccio espagnol" und "Russische Ostern". Als ausgezeichneter Musikpädagoge prägte er auch die Nachfolgegeneration der russischen Komponisten, darunter herausragende Größen wie Glasunow, Strawinsky, Prokofjew oder Mjaskowski.
Für die russische Opernmusik hat Rimski-Korsakow einen vergleichbaren Stellenwert wie etwa Wagner für die deutsche oder Verdi für die italienische Oper. Wegen seiner Vorliebe zu nationalen und folkloristischen Motiven wird er in Russland öfter als "Unser Märchenerzähler" bezeichnet. Die Verankerung in nationalen Motiven ist allerdings keineswegs ein Hindernis für die Rezeption Rimski-Korsakows in Europa, im Gegenteil. Ob "Das Märchen vom Zaren Saltan" in Brüssel, die Oper "Sadko" in Antwerpen, "Schneeflöckchen" in Paris, "Der goldene Hahn" in Duisburg oder "Die Zarenbraut" in Berlin – fast jedes Jahr ist auf den großen Bühnen eine moderne Neuauflage einer Rimski-Korsakow-Oper zu sehen.
Dass an der Oper in Frankfurt am Main diesen Sonntag eine Neuinszenierung von "Die Nacht vor Weihnachten" Premiere feiern konnte, sollte also niemanden überraschen. Gleichwohl ist es eine kleine Sensation. Denn diese Oper steht im Schatten seiner anderen Werke – auch in seiner Heimat wird sie nur recht selten aufgeführt – und wenn, dann in der Regel in einer gekürzten Kinderfassung.
Die Entscheidung für gerade diese Oper, die das Opernhaus seinen Musik- und Theaterliebhabern in diesem Jahr zu Weihnachten schenkt, ist der Oper Frankfurt jedoch ihrem Intendanten Bernd Loebe zufolge nicht schwergefallen. Ohnehin sind der Musikdirektor Sebastian Weigle und der Regisseur Christof Loy mit dem "russischen Milieu" (Loebe) bestens vertraut. Das Stück selbst hat es jedoch in sich. Buffonaden, pittoreske Szenen, Teufelstreiben, junge Liebe und schließlich das Surreale und Kosmisch-Mythologische – all das besetzt mit herrlichen Chören, malerischen Zwischenspielen und Tanzeinlagen.
Und natürlich auch – das "Weihnachtliche". Wenn der Chor das Lied zur Weihnacht anstimmt, spendet das ebenso "Trost in dieser Zeit", sagt Weigle bei der Generalprobe. Er empfiehlt: "Taschentücher nicht vergessen!" Schon die Ouvertüre umarme die Zuhörer, der Klangzauber sei überwältigend.
Die Oper erinnert auch an die Ursprünge dieses christlichen Festes. Zwar spielt die Volksorthodoxie eines Dorfes im Kleinrussland des 18. Jahrhunderts (im Gebiet Poltawa, das heute in der Ukraine liegt) eine ganz eigene Rolle. Schließlich hat der junge Schmied Wakula, der in die schöne Oksana hoffnungslos verliebt ist, mit seiner Ikonenmalerei den Zorn des Teufels auf sich gezogen. Denn darin kommt er, der Teufel, schlecht weg, worüber er sich gleich in der ersten Arie beklagt. Doch das eigentlich Weihnachtliche in Rimski-Korsakows Oper knüpft eher an vorchristliche Elemente – etwa an die Feier zur Wintersonnenwende – an, statt an die Geburt Christi.
"Der Ausbruch ins Kosmische ist bei diesem Stück sehr spürbar", sagt der Dramaturg Maximilian Enderle im Gespräch mit RT DE und beschreibt das Bühnenbild der Oper, dessen Hauptelement Kulissenwände mit Abbildungen des Sternhimmels darstellen, der durch eingebaute Lämpchen und raffinierte Lichteffekte zum Leuchten gebracht wird. Ihm zufolge sei die Wiederentdeckung dieser und anderer Opern-Raritäten des russischen Komponisten kein Zufall und hätte auch etwas mit dem heutigen Zeitgeist zu tun:
"Ich kann mir schon vorstellen, dass das Interesse an seinen Stücken wächst, auch weil die pantheistische Philosophie von Rimski-Korsakow in gewisser Weise überraschend modern ist. Dieser Pantheimus, der auch in der russischen Folklore immer wieder vorkommt, sagt, dass die Natur beseelt ist."
Sein Respekt, seine Verneigung vor der Natur stünden im Einklang mit der Umweltpolitik und mit modernen Ansätzen, die die Natur als gleichberechtigten Part sehen. Außerdem sehe Korsakow den Menschen nicht nur als ein Individuum, sondern auch als Teil eines größeren Zusammenhangs – wie etwa im Wechsel der Jahreszeiten in der "Nacht vor Weihnachten".
In dieser Oper passieren viele wundersame, seltsame Dinge, etwa der luftige Ritt des jungen Wakula auf dem Teufel in die Hauptstadt, um eine Caprice seiner Geliebten zu erfüllen. Trotz aller Schwierigkeiten nimmt aber alles schließlich ein glückliches Ende, und in der Schlussszene huldigen alle Beteiligten demjenigen, der diese fantastische Geschichte später erzählen soll – dem Schriftsteller Nikolai Gogol, nach dessen gleichnamiger Literaturvorlage der Komponist auch das Libretto schrieb. So war auch der Weg der Oper zu ihren Zuschauern voller Hindernisse.
In diese schwierige Zeit, in der neuerdings sogar das Wort "Weihnachten" von der Europäischen Kommission als unerwünscht eingestuft wird, fallen auch die kürzlich beschlossenen pandemiebedingten Auflagen, welche diese Premiere am 5. Dezember ernsthaft gefährdeten. Seit Mittwoch stand die da bereits ausverkaufte Vorstellung auf der Kippe. Telefonate mit Abonnenten, eine organisatorische Blitzaktion und die Neudisposition der Plätze machen die Aufführung nun letztlich doch noch möglich: Mit 2G-Plus-Regelung, Maskenpflicht und einer Sitzordnung im Schachbrettmuster fand die Frankfurter Erstaufführung der russischen Oper wie vorgesehen statt.
Christof Loy, Sebastian Weigle und andere Mitwirkende sowie alle, die den russischen Komponisten schätzen und mögen, sind erleichtert und sicher, dass die manch einem noch unbekannte Musik viele Zuhörer sofort in ihren Bann ziehen wird. Geplant sind insgesamt acht Vorstellungen im Dezember und Januar.
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