Das von Jeff Bezos gegründete E-Commerce-Imperium biete der US-amerikanischen Arbeiterklasse eine bessere Möglichkeit, als sich in immer teureren Städten durchzuschlagen, schrieb der Anlageberater Conor Sen am Freitag in einem Beitrag für Bloomberg. Namensgeber des Finanznachrichtenmediums ist der Milliardär, ehemalige New Yorker Bürgermeister und gescheiterte US-Präsidentschaftskandidat Mike Bloomberg.
"Nennen wir sie 'Fabrikstädte'", schlägt Sen vor, offenbar im Bestreben, die mit dem Konzept der "Unternehmensstädte" verbundenen Probleme zu vermeiden. Im späten 19. Jahrhundert waren diese bei den neuen Megakonzernen – Eisenbahnen, Stahlwerke und dergleichen – sehr beliebt. Viele dieser Wohngemeinschaften hielten die Arbeiter jedoch wie Gefangene, bezahlten sie mit Scheinen, die nur in den firmeneigenen Geschäften eingelöst werden konnten, und setzten Gruppen privater Sicherheitsdienste und Detekteien ein, um jeden Versuch einer gewerkschaftlichen Organisierung zu unterbinden.
Amazons "Fabrikstädte" hingegen – so schreibt Sen weiter – zeichnen sich angeblich durch steigende Löhne, massive Arbeitsplatzschaffung und das Potenzial für eine "höhere Erfolgswahrscheinlichkeit" bei der "Lösung von Ungleichheit" aus als "Hochkosten-Metropolen". Er ist der Meinung, dass diese gefördert werden sollten, und bezeichnet diese "Bezosvilles" an einer Stelle sogar als die "Zukunft eines großen Teils der Arbeiterklasse".
Der Autor wartet bis zum Schluss seines Lobliedes, um die "neuen Probleme" anzuerkennen, die "angegangen werden müssen" – kleine Details wie "angemessene Mengen an Wohnraum, Schulen und Gesundheitseinrichtungen".
Sen ist bekannt für seine der herrschenden Klasse wohlgesonnenen Äußerungen, zu denen kürzlich auch ein Aufruf an die US-Amerikaner gehörte, die Idee der "Build-to-Rent"-Gemeinschaften anzunehmen, anstatt sich um das einst übliche Ideal des Eigenheims zu bemühen. Viele Nutzer der sozialen Medien konnten jedoch nicht umhin zu bemerken, dass es eines Finanziers bedurfte, der für ein Nachrichtenorgan eines Milliardärs schreibt, um überhaupt etwas Nettes über Amazons stille Eroberung der wachsenden Räume zwischen den US-Städten zu schreiben – und über die Menschen, die diese Räume ein Zuhause nennen. Ein Kommentator twitterte:
"Zwei von zwei Milliardären sind sich einig."
Andere regten sich darüber auf, dass Amazon, das in der COVID-19-Pandemie – die Millionen von Menschen das Leben kostete – Milliarden von US-Dollar verdiente und legendär für seine engen Zeitpläne ist, die Arbeiter zwingen, sich in Plastikflaschen zu erleichtern, als Freund der Arbeiterklasse präsentiert wird.
Einige sahen das Unternehmen auf dem Weg zu "The Warehouse", einer dystopischen, aber zunehmend realistischen Darstellung des modernen US-amerikanischen Megakapitalismus, wie er von einer Amazon-ähnlichen Firma namens "Cloud" praktiziert wird. Wiederum andere führten ihre kulturellen Bezüge auf die Ära der ursprünglichen "Unternehmensstädte" zurück.
Amazon hat vor Kurzem eine Erhöhung des Einstiegslohns – von 17 US-Dollar pro Stunde auf etwa 18 US-Dollar pro Stunde – angekündigt, um Arbeitnehmer anzuziehen, die die Pandemie ausgesessen haben und nun Arbeit brauchen. Berichten zufolge plant das Unternehmen die Einstellung weiterer 125.000 Mitarbeiter in den USA und setzt ungewöhnlich großzügige Vergünstigungen wie saftige Antrittsprämien und Studienbeihilfen ein, um die Arbeitssuchenden davon zu überzeugen, dass es eine bessere Wahl ist als Walmart oder andere Megahändler.
Amazons Ruf als Gewerkschaftszerstörer – der in einem denkwürdigen Fall Berichten zufolge so weit ging, dass die Ampelschaltung vor einem Lagerhaus geändert wurde, um die Beschäftigten daran zu hindern, über ihre Organisationsbemühungen zu diskutieren – sowie die unheimliche Kontrolle des Aussehens der Beschäftigten und die schlampigen Versuche, die Geschichten der Beschäftigten über das "Pinkeln in Flaschen" zu widerlegen, haben das Unternehmen jedoch zu einer ausgesprochen unsympathischen Erscheinung im Klassenkampf gemacht.
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