"Kollektive Depressionen"? Psychologe warnt vor erneutem Lockdown

Der Sozialpsychologe Prof. Dr. Ulrich Wagner ist skeptisch, bei einer möglichen "vierten Welle" wieder in den Lockdown zu gehen. Besonders für Kinder und Jugendliche bedingt der Ausschluss aus der gesellschaftlichen Teilhabe ein großes Risiko für psychische Probleme.

Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland warnt der Sozialpsychologe Prof. Dr. Ulrich Wagner von der Universität Marburg vor einem möglichen neuen Lockdown und den Folgen für die Psyche der Menschen. Einen Lerneffekt aus den bisherigen für alle Menschen neuen Erfahrungen für zukünftige Krisen oder gar weitere Pandemien bezweifelt er:

"Ich bin sehr skeptisch, ob wir Kompetenzen erlernt haben, die in anderen Situationen helfen. Denn wir hangeln uns gerade regelrecht durch die Krise. Wir versuchen, die Corona-Regeln mehr oder weniger einzuhalten, aber dass uns dies auf eine neue Stufe menschlicher Kompetenz katapultiert, bezweifle ich sehr."

Die Frage, ob die Gesellschaft weitere Lockdowns verkraften werde, verneinte er klar:

"Nein, ich fürchte, wir können uns keinen weiteren Lockdown leisten. Wenn es zu einer massiven vierten Welle kommt und Kinder und Jugendliche erneut von der gesellschaftlichen Teilnahme ausgeschlossen werden, führt das zu erheblichen psychischen Problemen."

Im Endeffekt könnten sich einige Menschen dann komplett aus der Gesellschaft zurückziehen oder dauerhafte Depressionen erleiden: "Sollten erneut massive Einschränkungen kommen, haben wir nichts aus der Pandemie gelernt und werden sehr darunter leiden."

Wagner befürchtet, dass sogar kollektive Depressionen entstehen könnten, die letztendlich zu einer weiteren Gleichgültigkeit in der Gesellschaft beitragen könnten – und die Menschen untereinander weiter separieren und atomisieren. Abschließend betont er die Wichtigkeit eines funktionierenden sozialen Netzwerks sowie einen festen Job. Das entscheide darüber, wie man mit der Krise fertig wird:

"Manche Menschen gehen tatsächlich gestärkt aus einer solchen Krise hervor, andere werden aber gebrochen und resignieren. Das hängt sehr davon ab, wie gut das soziale Netzwerk ist und ob man eine Perspektive in seinem Leben hat, die durch die Krise nicht zerstört wurde. Wer seinen Job verloren hat und jetzt sein Haus nicht mehr abbezahlen kann, hat es schwer. "

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