Der übermäßige Einsatz von Antibiotika während der COVID-19-Pandemie könnte zu einem Anstieg einer hochgradig arzneimittelresistenten Geschlechtskrankheit führen – einer "Supergonorrhö". Hiervor warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) angesichts des jüngsten Anstiegs von Fällen dieser Krankheit.
Obwohl sich naturgemäß kein Antibiotikum, also kein Mittel gegen krankheitserregende Bakterien, als wirksam im Kampf gegen das Coronavirus erwies, wurden die Medikamente unter anderem in der Frühphase der Pandemie in großem Umfang verabreicht. Eine Studie der Cambridge-Universität zeigt, dass mehr als 70 Prozent der COVID-19-Patienten in den USA im Zeitraum zwischen März und April damit behandelt wurden. Obwohl Antibiotika in Krankenhäusern bei Vireninfekten zur Vorbeugung sogenannter Nebeninfektionen legitim eingesetzt werden, stellten die Forscher fest, dass die Medikamente noch immer übermäßig bei COVID-Fällen Verwendung finden. Sie stellten ein "signifikantes Missverhältnis" fest zwischen bakteriellen Nebeninfektionen und Patienten, die Antibiotika erhalten.
Der übermäßige Einsatz dieser Medikamente birgt das Risiko, eine neue Welle von antibiotikaresistenten Infektionen auszulösen, wie zum Beispiel eine sogenannte Supergonorrhoe, eine widerstandsfähigere und medikamentenresistentere Version der sexuell übertragbaren Infektion, gab ein Sprecher der WHO gegenüber The Sun bekannt.
"Übermäßiger Gebrauch von Antibiotika kann die Entstehung von Resistenzen gegen antimikrobielle Mittel bei Gonorrhoe anheizen", so der WHO-Vertreter. Als Beispiel führte er an, dass Azithromycin, ein gängiges Antibiotikum zur Behandlung von Atemwegserkrankungen, auch unzähligen COVID-19-Patienten in der Frühphase der Gesundheitskrise verabreicht wurde:
"Eine solche Situation kann die Entstehung von Resistenzen bei Gonorrhö fördern, einschließlich eines Gonorrhoe-'Superbugs' (Supertripper) oder einer Gonorrhoe mit hoher Resistenz gegen aktuelle Antibiotika, die zu ihrer Behandlung empfohlen werden."
Neben derartigen unmittelbaren Auswirkungen institutioneller Gegebenheiten gibt es aber auch mittelbare, die zum selbigen Ergebnis führen. So wies der WHO-Sprecher auf Unterbrechungen von Dienstleistungen von Abteilungen und Praxen für die Behandlung von Geschlechtskrankheiten während der Pandemie hin:
"Das bedeutet, dass mehr Fälle von Geschlechtskrankheiten nicht richtig diagnostiziert werden und infolgedessen mehr Menschen sich selbst medikamentieren."
Kevin Cox, Vorstandsvorsitzender des britischen Biotechnologie-Unternehmens Biotaspheric, warnte gar, dass das Phänomen die Krankheit bald gänzlich unbehandelbar machen könnte. Gegenüber The Sun mahnte er an, dass neue Ansätze dringend benötigt werden, zumal die Infizierten ihre Krankheit weitergeben und somit die Verbreitung ihrer medikamentenresistenten Stämme beschleunigen.
Die WHO warnte bereits zuvor an anderer Stelle, dass die Resistenz der Gonorrhoe gegen antimikrobielle Mittel in den vergangenen Jahren rapide zugenommen und die Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt hat, noch bevor das Coronavirus Ende vergangenen Jahres die Weltbühne betrat. Obwohl der Löwenanteil der jährlich weltweit rund 90 Millionen Gonorrhö-Fälle in Afrika gemeldet wird, verzeichnete auch Europa einen Anstieg der Krankheit. In den Jahren zwischen 2017 und 2018 immerhin 22 Prozent, wie neueste Daten aus dem Europäischen Zentrum für Krankheitsprävention und Kontrolle zeigen. In den USA gab es nach offiziellen Zahlen im gleichen Zeitraum einen geringeren Anstieg von etwa 5 Prozent.
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