Der Psychologe und Psychoanalytiker Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder lehrte an der Freien Universität Berlin. Im Interview kritisiert er die offizielle Darstellung der Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Maßnahmen der Bundesregierung. Insbesondere sorgt er sich um den Verlust des gesellschaftlichen Diskurses aufgrund der medialen und gesellschaftlichen Diskreditierung von Andersdenkenden. Die Errungenschaften der Achtundsechziger-Bewegung, wonach von der herrschenden Klasse vorgegebene Narrative diskutiert und hinterfragt werden sollten, sieht er aktuell grundsätzlich in Gefahr. Das Gespräch führte Felicitas Rabe.
Herr Bruder, aufgrund der Corona-Situation gibt es seit März dieses Jahres weltweit viele gesetzlich angeordnete neue Verhaltensregeln in Bezug auf den menschlichen Umgang miteinander, die unter Androhung von Bußgeldern und Strafen eingehalten werden müssen. Dies betrifft Einschränkungen des Bewegungsradius, z.B. Ausgeh- und Reiseverbote, massenhaft verordnete Quarantäne, vorgeschriebene Abstände unter Menschen, Berührungsverbote, vorgeschriebene Anzahlen von Menschen, die sich treffen dürfen, Verbote, mit wem man sich treffen darf (Großeltern in Seniorenwohnheimen), und das vorgeschriebene Tragen von Masken im Gesicht bei bestimmten Begegnungssituationen.
Gibt es in der Psychologie bislang Forschungen dazu, wie sich neue Abstandsregeln und Kontaktvorschriften auf den einzelnen Menschen oder das gesellschaftliche Zusammenleben auswirken könnten? Oder gibt es in der Vergangenheit Forschungen dazu, die man auf die heutige Situation anwenden könnte?
Nein, im strengen Sinn wissenschaftliche Forschungen gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber es gibt bereits eine ganze Reihe von Berichten von Ärzten und Psychotherapeuten über die psychischen Auswirkungen der Corona-Maßnahmen, die natürlich erst mal nur ein Zwischenergebnis darstellen. Es geht um Auswirkungen von Isolation, sozialer Distanz, Kontakteinschränkung, Wegfall von kulturellen Betätigungen, von Masken tragen, Homeoffice, Homeschooling etc. Ich kann das im Einzelnen nicht darstellen.
Zusammenfassend kann ich nennen: eine Zunahme der depressiven Symptomatik, die auch zu einer Zunahme von Fehlzeiten bei der Arbeit führen, eine Steigerung der Angst. Dazu gibt es einen gestiegenen Anteil von Suizidgedanken, auch von durchgeführten Suiziden. Menschen klagen über Einsamkeit, Isolation. Besondere Auswirkungen hat hierbei auch drohende oder aktuelle Arbeitslosigkeit und finanzielle Unsicherheit. Es wird berichtet von einer Zunahme von Selbstverletzung, Zunahme von Missbrauch von Drogen aller Art: Alkohol, Tabak, aber auch Zunahme der Internetsucht.
Letzteres betrifft besonders Jugendliche und Kinder. Jüngere Menschen sind vor allem belastet durch die Isolation von Freunden und den Wegfall von kulturellen Ereignissen. Unter den älteren Menschen stellen sich zumindest diejenigen als weniger belastet dar, deren Zustimmung zu den Maßnahmen besonders hoch ist. Kinder fallen durch Hyperaktivität, emotionale Probleme und vermehrte Verhaltensprobleme auf, insbesondere Kinder aus sozial schwächeren Familien.
Außerdem gibt es auch Meinungsumfragen dazu, was die Menschen von dem offiziellen Corona-Narrativ halten oder wie sie zu den Maßnahmen stehen. So gab es im Juli dieses Jahres zum Beispiel eine Umfrage von der Hans-Böckler-Stiftung, aus der hervorging, dass die Zustimmung zu den Maßnahmen auch von der sozialen Schicht und vom Einkommen abhängt. So ist die Zustimmung zu den Maßnahmen geringer bei Menschen mit niedrigen Einkommen, da sie durch die Einschränkungen stärker belastet werden und stärkere Einbußen erwarten als besser Situierte.
Es handelt sich um etwa 42 Prozent gegenüber 72 Prozent. Das bedeutet für mich auch – und das beobachtet man ja auch –, dass in akademischen Kreisen und bei Intellektuellen die Zustimmung deutlich höher und die Kritik geringer ist. Das ist für mich ein enttäuschendes Signal. In der gleichen Studie wird von den Befragten auch ein gewisses Misstrauen geäußert, wonach die Corona-Pandemie von den Mächtigen für ihre Zwecke genutzt würde. Auch das ist schichtabhängig, also bei der unteren Schicht häufiger vertreten.
Zunächst muss festgestellt werden, dass die Pandemie-Inszenierung vor dem Hintergrund einer völligen Überschwemmung der Realität durch das Imaginäre stattfindet. Es handelt sich um eine Szenerie durch die von jeglicher Realitätskontrolle befreite Phantasie derer, die diese Maßnahmen angeordnet haben. Es geht also bei dem Phänomen nicht allein um die Frage der Auswirkung von Maßnahmen wie Masken und Abstandregeln als solche. Sondern es geht darum, dass diese gegen jede rationale Begründung und ohne jede wissenschaftliche Diskussion und auf äußerst fragwürdiger Grundlage – was die demokratischen Regeln anlangt – durchgesetzt wurden. Sie werden kontinuierlich aufrechterhalten, obwohl ihre Sinnhaftigkeit international durch dafür ausgewiesene Experten in Frage gestellt worden ist.
Das ist der wesentliche Punkt. Die Maßnahmen werden mit vollkommen überzogenen und düstersten Prognosen in Bezug auf die Sterblichkeit begründet. Schließlich werden sie immer wieder verlängert, obgleich die veröffentlichten Zahlen über Krankheit oder Tod dies überhaupt nicht rechtfertigen. Dies hatte und hat die fatale Wirkung, Angst und Panik in der Bevölkerung zu schüren. Das Schüren von irrationaler Angst wird zum einen durch das Auftreten von Experten verstärkt, die für die Glaubwürdigkeit der Prognosen und die Richtigkeit der getroffenen Maßnahmen sorgen. Zum anderen aber auch dadurch, dass keiner der vielen diesen widersprechenden Experten und Expertinnen – in den offiziellen Medien – zu Wort kommt. Die Medien selbst wurden quasi gleichgeschaltet, Alternativmedien werden ausgeschaltet und verpönt. Kritiker werden in übler Weise diffamiert. Dieser Einsatz von Angst wird auch damit gerechtfertigt, dass die Menschen nur dadurch auch tun, was sie sollen. Die Gefährlichkeit des Virus wurde mit der ständigen Verschärfung der Maßnahmen begründet.
Angst wird hier als Disziplinierungs- und Herrschaftsmittel eingesetzt. Es geht um die Verhinderung oder Unterdrückung von unterschiedlichen Meinungen. Daher ist die Corona-Inszenierung eine besondere Zumutung für die Menschen, die in den 68er Jahren für das Recht auf die Freiheit des öffentlichen Diskurses gekämpft haben. Vor dem Hintergrund, dass die Maßnahmen in einer inszenierten Pandemie jeglicher Rationalität entbehren und nicht diskutiert werden dürfen, scheint man in mittelalterliche Zustände zurückzufallen. Der reflexhafte Gehorsam gegenüber den Corona-Maßnahmen ist somit eine Zumutung für alle Menschen, die in einer aufgeklärten Gesellschaft leben wollen. Obwohl permanent betont wird, dass wir in einer demokratischen Gesellschaft leben, wird unbedingter Gehorsam verlangt. Kulturelle Selbstverständlichkeiten, wie der Austausch von Argumenten, werden aufgegeben. Die Pandemie-Inszenierung wird abgearbeitet wie ein Roboterprogramm.
Die – psychologische – Folge sind Dekompensationserscheinungen wie der Zerfall von Beziehungen und Freundschaften. Neben der Angst sich anzustecken, die bei manchen Menschen noch vorhanden ist, gibt es bei vielen die Angst vor dem Verlust von Beziehungen, Verlust ihrer materiellen Existenz und ihres Arbeitsplatzes.
Kann man aufgrund der bisher existierenden Forschungen prognostizieren, ob die vorgeschriebenen Abstands-, Berührungs- und Vermummungsregeln bewusst oder unbewusst eine Auswirkung auf die menschliche Psyche oder auf das Verhältnis (z.B. Wohlbefinden und Vertrauen) von Menschen untereinander haben könnten?
Über die ersten Berichte von psychischen Auswirkungen der Pandemie-Politik habe ich bereits gesprochen. Ganz sicher kommt hier eine Fülle von Fragestellungen auf uns zu. Hinzu kommen die Auswirkungen der Digitalisierung, die ja durch die Corona-Maßnahmen einen enormen Durchbruch erlebt hat. Deren Folgen werden sich beispielsweise im Bereich der Bildung in dramatischer Weise zeigen. Aber die fortschreitende Digitalisierung wird sich auch auf die sozialen Beziehungen auswirken. So wird die Abhängigkeit von digitalen Medien menschliche Beziehungen nicht unbeeinflusst lassen. Auch die ökonomische Spaltung der Gesellschaft wird sich vertiefen, und wirtschaftliche Katastrophen haben sich bereits am Horizont angekündigt.
Allerdings muss man Psychologie und psychische Reaktionen immer in den Kontext der kulturellen Gegebenheiten einordnen. Das bedeutet, man muss die psychologische Wirkung der Corona-Maßnahmen in ihrem Kontext und ihrer (Irr-)Rationalität sehen. Die Pandemie-Inszenierung war bereits seit vielen Jahren vorbereitet worden. In seinem Buch Chronik einer angekündigten Krise beschreibt Paul Schreyer, wie hochrangige Vertreter aus Pharmaindustrie, Politiker aus der G7-Gruppe, Militärs, CIA-Leute und Journalisten in mit der Science-Fiction vergleichbaren Rollen-Spielen seit 1998 jahrelang die Abwehr von Pandemien und die Hysterisierung der Pandemie-Angst erprobt und daraus Handlungsstrategien entwickelt haben. Das bezeichne ich als "Fluten" des Realen durch das Imaginäre. Das ist auch der intern gebrauchte Ausdruck. Wie Paul Schreyer zitiert, wurde den Medien die Aufgabe zugewiesen, die öffentliche Diskussion mit den offiziellen, das heißt den regierungsamtlichen Verlautbarungen zu "fluten". Die Wahngebilde, die in den Pandemie-Szenarien durchgespielt worden sind, werden uns dann übergestülpt.
Wie lässt es sich psychologisch erklären, dass nicht nur diejenigen Menschen, die die offizielle Gefährlichkeit des Coronavirus anzweifeln, sondern auch diejenigen, die von der Gefährlichkeit überzeugt sind, die neuen Verhaltensregeln häufig nicht einhalten?
Ich glaube nicht, dass Verstöße gegen die Maßnahmen bei Menschen, die von der Gefährlichkeit des Virus überzeugt sind, so häufig vorkommen. Eher sehe ich eine Übererfüllung der Anordnungen, z. B. wenn die Menschen mit Mundschutz auf der Straße laufen. Vielleicht geht es aber bei Verstößen gegen die Maßnahmen nicht selten um ein Ausbrechen aus der Isolation oder um ein Ausbrechen aus dem regelgemäßen Verhalten. Vielleicht glauben junge Menschen, die Partys veranstalten, sie seien nicht so stark von der Gefährlichkeit des Virus betroffen oder sie haben alternative Kenntnisse. Das sind aber nun Spekulationen, die ich nicht durch Umfragen verifizieren kann.
Zu beobachten ist eher eine gestiegene Aggressivität unter den Menschen, vor allem dann, wenn einige die Maßnahmen nicht einhalten, beispielsweise die Maske nicht tragen oder offen Zweifel an der offiziellen Version äußern. Selbst die Menschen, die sie sich widersprüchlich verhalten, wollen keine Diskussion. Die Abwehr gegen das Nachdenken wird durch die Entscheidung für den Gehorsam aufrechterhalten. Sie ertragen den Ungehorsam anderer Menschen nicht – sei es, dass sie darauf neidisch sind, dass sich andere erlauben nicht zu gehorchen, sei es, dass sie durch diese Aggressivität das eigene Gefühl der Demütigung auf Grund ihres Gehorsams abwehren. Wir beobachten eine hohe aggressive Emotionalität, eine Wiederkehr der Blockwart-Mentalität und des Denunziantentums.
Schwer haben es aktuell diejenigen, die Abstandsregeln in Grundschulen mit Kindern auf dem Pausenhof durchsetzen sollen. Wobei teilweise für die gleichen Kinder vormittags im Schulbetrieb Abstandspflichten durchgesetzt werden, die dann nachmittags im Hortbetrieb für diese Kinder nicht mehr gelten. Wie wirken sich diese Widersprüchlichkeiten auf Lehrer, Horterzieher, Eltern und vor allem auf Kinder aus – vor dem Hintergrund eines mutmaßlich lebensgefährlichen Pandemieszenarios?
Solche Widersprüchlichkeiten sind derzeit an der Tagesordnung. Man kann sagen: anders sind viele Maßnahmen auch gar nicht durchzuführen – oder es wird absurd. Gerade im Umgang mit Kindern gab es absurde Vorstellungen, dass man sie nicht berühren dürfe, und natürlich, dass sie eine Gefahr für die Erwachsenen seien. Ziemlich sicher wirken sich diese Widersprüchlichkeiten verwirrend auf die Kinder aus, und sie können die Regeln vielleicht nur noch wie Roboter erfüllen, weil sie nicht mehr nachvollziehbar sind. Aber seien wir froh, dass es durch manche Widersprüchlichkeit doch noch Freiräume gibt.
Gibt es aktuell einen wissenschaftlichen Diskurs unter Psychologen und Psychoanalytikern über die Auswirkungen und Folgen der Maßnahmen auf den einzelnen Menschen und die Gesellschaft? Anders gefragt: Gibt es einen Diskurs über die Auswirkungen der Dialogunfähigkeit und die Spaltung in der Gesellschaft?
Ja schon, es geht um die Symptome, die sich gehäuft finden lassen, es geht auch um die Frage, dass sich die Anfragen nach Psychotherapie erweitert haben. Durch die Digitalisierung entsteht ein großer Umbruch in der Psychotherapie. Sehr viele Psychotherapien wurden nur noch über Video abgehalten, was eine absurde Situation ist. Solche Therapien haben – zumindest über einen längeren Zeitraum – einfach nicht den gleichen Wert, wie das persönliche Gespräch zwischen Anwesenden. Es gibt zudem dazu eine Reihe von auch praktischen Problemen und Störmomenten, wenn auf diese Weise die Therapie im häuslichen Rahmen stattfindet und anderes mehr. Diese Video-Therapien werden aber weiter propagiert.
Einen vertieften Diskurs über die Dialogunfähigkeit und die Spaltung in der Gesellschaft unter Psychotherapeuten kann ich derzeit weniger sehen. Ich darf hier darauf verweisen, dass die Neue Gesellschaft für Psychologie für Frühjahr 2021 einen Kongress plant, bei dem diese Themen behandelt werden.
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