Der Druck aus den USA, Julian Assange auszuliefern und dort strafrechtlich zu verfolgen, stellt eine ernste Bedrohung für Journalisten dar. Doch die Gegner von jeglichem investigativen Journalismus stellen Politik über Prinzipien – und sogar über ihre eigenen Interessen. Darauf wies der Whistleblower Edward Snowden am Dienstag in einem Interview mit dem Podcaster Joe Rogan hin:
Ich glaube, es hängt viel davon ab, dass die Menschen vergessen, was Prinzipien sind und warum sie wichtig sind.
Man kann Julian Assange hassen, man kann ihn für eine Marionette Russlands halten, man kann ihn für den schlimmsten Menschen auf Erden halten – eine Reinkarnation von Hitler oder Stalin – und trotzdem erkennen, dass es einem selbst schadet, ihn zu verurteilen.
Es schadet Ihrer Gesellschaft. Es schadet der Zukunft Ihrer Kinder. In der heutigen Welt, in der alles parteiisch geworden ist, vergessen die Menschen das.
Auch wenn Assange 2016 bei einem großen Teil der US-amerikanischen Gesellschaft "in Ungnade fiel", weil seine Webseite WikiLeaks E-Mails von Hillary Clinton, der damaligen Hoffnungsträgerin der US-Demokraten auf die Präsidentschaft, veröffentlichte, so habe sein aktueller Auslieferungsprozess "nichts damit zu tun". Der Whistleblower fuhr fort:
Die US-Regierung [...] versucht, diesen Kerl ausliefern zu lassen und ihn für den Rest seines Lebens ins Gefängnis zu stecken – für die beste Arbeit, die WikiLeaks jemals geleistet hat, [...] wozu die Kriegsprotokolle aus dem Irak und Afghanistan, Akten von Häftlingen aus Guantanamo Bay zählen. Dinge, bei denen es um explizite Kriegsverbrechen und um Machtmissbrauch geht.
Snowden erinnerte daran, dass Assanges Arbeit mit WikiLeaks keine politische Partei verschonte.
Assange droht eine Anklage mit 18 Anklagepunkten und bis zu insgesamt 175 Jahren Haft in einem US-Gefängnis, wobei die meisten Anklagepunkte mit "Spionage" im Zusammenhang mit seiner Rolle bei der Sicherung von Geheimlecks durch die Armeeanalytikerin Chelsea Manning stehen. Sein Fall markiert jedoch einen klaren Bruch mit einem amerikanischen Präzedenzfall, der Journalisten und Verleger traditionell von deren Quellen unterscheidet. Das ist eine höchst "gefährliche" Entwicklung, die laut Snowden Auswirkungen auf die Medien insgesamt haben könnte. Er erklärte:
So missbräuchlich diese Vorwürfe des Spionagegesetzes in den letzten 50 Jahren auch gelaufen sind, hatte die Regierung eine Art stille Übereinkunft. Sie hat nie die Presse angeklagt [...] sie klagten immer ihre Quellen an.
Mit dem Fall Julian Assange brechen sie diese Vereinbarung. Assange ist nicht die Quelle, er ist lediglich ein Verleger. Er leitet eine Presseorganisation.
Sie können Julian Assange, den Chefredakteur und Herausgeber von Wikileaks, nicht nach dem Spionagegesetz verurteilen, ohne die New York Times, die Washington Post, CBS, ABC, NBC, CNN, Fox – oder wen auch immer – der gleichen Art von Anklage zu unterwerfen.
Die Auslieferungsanhörung des WikiLeaks-Gründers wurde letzte Woche in London – nach einer längeren Pause aufgrund des Coronavirus-Ausbruchs – wiederaufgenommen. Assange verbleibt in Erwartung einer Entscheidung im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo er rund 16 Monate unter Bedingungen verbringen musste, die sogar der diesbezügliche UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer als "Folter" bezeichnet hat.
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