Menschenrechtsanwalt: Aufklärung schwerer Verbrechen nur mithilfe von WikiLeaks möglich

Seit 2002 befasst sich die Menschenrechtsorganisation Reprieve sowohl mit Fällen von außergerichtlich Gefangenen als auch mit Tötungen durch US-Drohnen. Die juristische Aufklärung unfassbarer Verbrechen wäre ohne WikiLeaks kaum möglich gewesen, so der Mitbegründer.

Während viele um die weltweiten Menschenrechte besorgten Personen des öffentlichen Lebens, wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dieser Tage vor allem auf weißrussische oder russische Oppositionelle blicken, erhielt der Prozess um die Auslieferung des seit Jahren seiner Rechte beraubten Julian Assange weit weniger Aufmerksamkeit.

Dabei handelte er nach Ansicht seiner Befürworter im Sinne einer demokratischen Wählerschaft, die sich für die Außenpolitik der jeweiligen Regierungen interessiert. Zwar verweisen Vertreter von britischen und US-Behörden auf Gesetze, wonach die Veröffentlichungen von WikiLeaks nicht im öffentlichen Interesse seien, wie zum Beispiel den Official Secrets Act (1989) im Vereinigten Königreich.

Doch veröffentlichte Assange über die Plattform WikiLeaks Dokumente, aus denen nicht nur der Öffentlichkeit bis dahin unbekannte Aspekte wie Folter, geheime Überstellungen, "Tötungslisten" und Drohnenmorde durch westliche Regierungen publik wurden, sondern anhand derer auch juristische Fragen geklärt werden konnten. In der gemeinnützigen Organisation Reprieve befassen sich internationale Anwälte mit der Aufklärung extremer Menschenrechtsverletzungen, ohne jegliche Vorauswahl anhand ihrer Herkunft. Neben mehreren im Namen des Krieges gegen den Terror außergerichtlich inhaftierten, gefolterten und getöteten Menschen setzen sie sich auch für von der Todesstrafe bedrohte Jugendliche in Saudi-Arabien ein, die sich beispielsweise lediglich weigerten, für ihre Regierung Demonstranten auszuspähen.

Clive Stafford Smith, Bürgerrechtsanwalt und Mitbegründer von Reprieve, vertrat seit 2002 mit seinen Kollegen von Reprieve etwa 87 Gefangene, die von den USA in Guantanamo Bay und anderen geheimen Haftanstalten auf der ganzen Welt inhaftiert waren. Seither wurden umfassende Untersuchungen über die Mittäterschaft auch westlicher Staaten an geheimen US-Haftanstalten, Überstellungen und Verschwindenlassen durchgeführt. In den letzten zehn Jahren habe sich die Organisation parallel dazu mit den außergerichtlichen Tötungen der USA, insbesondere durch Drohnen, im und um den Afghanistan-Konflikt herum befasst.

Seine Motivation dafür sei gewesen, dass es den Anschein hatte, dass die US-Drohnenkampagnen die Sicherheit der US-Amerikaner nicht verbesserten, sondern verschlechterten, da sie grauenhaft schlecht gehandhabt wurden. Mitunter hatten bezahlte Informanten falsche Informationen über unschuldige Menschen gegeben, die dann von den US-Drohnen ermordet wurden, wie er vor Gericht im Auslieferungsverfahren USA gegen Assange in dieser Woche erklärte. Stafford Smith betonte, dass die juristische Aufklärung ohne die von WikiLeaks offengelegten Dokumente kaum möglich gewesen wäre.

Nicht nur hinsichtlich der Zusammenarbeit der pakistanischen und der US-amerikanischen Regierung bei den Drohnenmorden hatte WikiLeaks bedeutende Erkenntnisse geliefert, um den Bruch von internationalem Recht und die Heuchelei von Regierungsmitgliedern nachzuweisen. Auch konnte Stafford Smith ein US-Attentatsprogramm in Syrien untersuchen, weil die "Tötungsliste" mit 669 Namen von WikiLeaks veröffentlicht wurde. Darunter waren auch der amerikanische Journalist Bilal Abdul Kareem und Ahmad Zaidan von Al Jazeera. Die Waffen zur Ermordung von US-Zielen seien dabei teils nach Pornostars benannt worden, was laut Smith eine wahrhaft imperiale Haltung beim Morden reflektiert.

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Auch im Fall Younous Chekkouri hatten die Ermittler WikiLeaks-Publikationen genutzt, um die britische Beteiligung an der geheimen Überstellung und Folter von Binyam Mohamed aufzudecken.

WikiLeaks-Dokumente hatten weiterhin dazu beigetragen, als "feindliche Kämpfer" deklarierte Gefangene zu befreien, die illegal in Guantanamo Bay festgehalten wurden, nachdem ihre Geständnisse durch Folter erzwungen worden waren.

Dabei seien heftige Foltermethoden, die seine Regierung an den von ihm vertretenen Ex-Häftlingen angewendet hatte, zwar von Regierungsmitgliedern wie Donald Rumsfeld als "keine große Sache" bezeichnet worden, sie seien jedoch mit jenen vergleichbar, die bei der spanischen Inquisition praktiziert worden waren, wie dem Aufhängen der Verdächtigen an den Handgelenken.

"Ungeachtet dessen, was wir alle über Mittelamerika in den 1970er-Jahren wissen, hätte ich nie geglaubt, dass meine Regierung tun würde, was sie getan hat. Wir sprechen hier von Straftaten, von Folter, Entführung, Überstellungen, Festhalten von Menschen ohne Rechtsstaatlichkeit und Mord," so der US-amerikanische und britische Doppelbürger.

Zum 11. September dieses Jahres schrieb Stafford Smith auf Twitter:

20 Minuten vor dem 19. Jahrestag des Einschlags des ersten Flugzeugs auf das World Trade Center und unserem Sturz in die Folter. Traurig, dass ein furchtbares Vergehen, bei dem viele Menschen von Verrückten ermordet wurden, als Krieg (Erhebung der Täter) bezeichnet und dazu benutzt wurde, alle Prinzipien, die uns am Herzen liegen, zu untergraben.

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