Herr Dr. Matthias Uhl, was waren die wichtigsten Vereinbarungen der Potsdamer Konferenz?
In Potsdam zeigten sich die Siegermächte darin einig, dass Deutschland einer Denazifizierung, Demokratisierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung und Dekartellisierung unterzogen werden sollte. Damit legten sie die Grundlage für die Nachkriegsdemokratie in Deutschland. Weiterhin verfügten die Siegermächte die Aufteilung des Landes bis zu einem endgültigen Friedensvertrag in vier Besatzungszonen.
Die deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße, über deren Verbleib bis zum Abschluss des Treffens Uneinigkeit herrschte, sollten unter sowjetische beziehungsweise polnische Kontrolle gestellt werden. Zugleich wurde die Umsiedlung der dort lebenden Deutschen beschlossen – dies betraf auch deutsche Staatsangehörige, die in der Tschechoslowakei und Ungarn lebten. Darüber hinaus sah das Potsdamer Abkommen vor, dass Deutschland Reparationen an die Siegermächte als Ersatz für die erlittenen Kriegsschäden zu leisten hatte. Hinsichtlich des künftigen politischen Lebens in Deutschland beschlossen die Konferenzteilnehmer, in ihren Besatzungszonen die Gründung von Gewerkschaften und politischen Parteien zuzulassen. Ferner sollte die Bildung einer deutschen Selbstverwaltung ermöglicht werden. Alle diese Festlegungen wurden indes als vorläufig angesehen, da die Verhandlungspartner vereinbart hatten, dass die Außenminister der Besatzungsmächte einen entsprechenden Friedensvertrag mit Deutschland vorbereiten sollten.
Allerdings verhinderte der heraufziehende Kalte Krieg, dass dieser je zustande kam, sodass eine ganze Reihe strittiger Fragen erst im Zuge der deutschen Wiedervereinigung 1990 geklärt wurde. Die Konferenz von Potsdam markiert das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa und in gewisser Weise auch den Anfang des Kalten Krieges. Zugleich ist sie ein eindeutiger Beleg dafür, dass die Sowjetunion nun endgültig zur globalen Supermacht geworden war, die wesentlich den Gang der Geschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmen sollte. Insgesamt zeigte sich in Potsdam deutlich, dass trotz der wechselseitigen Freundschaftsbeteuerungen das bisherige Bündnis der Alliierten bereits 1945 starken Belastungen ausgesetzt war. Nicht nur war das sowjetische Misstrauen gegenüber dem Westen größer geworden, auch die USA und Großbritannien traten nun ihrem bisherigen Partner mit starken Vorbehalten entgegen. Die Entscheidungen, die man in Potsdam getroffen hatte – zum Teil beabsichtigt, zum Teil ohne große Voraussicht –, liefen auf eine Trennung der jeweiligen Einflusssphären in Europa und Deutschland hinaus.
Konnten die damals geschlossenen diplomatischen und politischen Kompromisse zu einer Konstante werden?
Der Kalte Krieg sorgte dafür, dass die Beschlüsse von Potsdam über mehr als 40 Jahre den Status quo in Europa und der Welt bestimmten. Die Trennung Europas in einen kapitalistischen und sozialistischen Teil sorgte lange Zeit für außenpolitische Stabilität in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Westen. Der Preis dafür war allerdings, dass sich – besonders in Deutschland – jeweils hochgerüstete Streitkräfte der Militärblöcke beider Seiten – der NATO und des Warschauer Vertrages – gegenüberstanden.
Zudem sorgte die nukleare Parität zwischen den USA und der Sowjetunion dafür, dass niemand den ernsthaften Versuch unternahm, den in Potsdam erzielten Status quo zu verändern. Letztendlich lässt sich sogar sagen, dass die in Potsdam festgelegte Übereinkunft der Oder-Neiße-Linie als deutsche Ostgrenze dafür gesorgt hat, dass Mitteleuropa bis heute von militärischen Konflikten verschont geblieben ist.
Die USA ziehen sich immer mehr zurück, Chinas Einfluss wird dagegen immer mächtiger. Hat bereits eine neue Weltordnung begonnen?
Zweifelsohne wurde die historische Nachkriegsordnung durch den Zusammenbruch des Kommunismus, den Zerfall der Sowjetunion und die Verschiebung des politischen Interesses der USA von Europa weg schwer erschüttert. Zugleich stieg China zu einer der wichtigsten wirtschaftlichen Weltmächte auf. Was dem Land jedoch zur globalen Supermacht noch fehlt, ist eine politische Idee, die für weite Teile der Welt nicht nur eine ökonomische Attraktivität entfaltet. Zweifelsohne ist wirtschaftliche Prosperität ein wichtiges Zukunftsversprechen, doch gleichzeitig muss eine Supermacht darüber hinaus auch ein gesellschaftspolitisches Modell anbieten, das zumindest in weiten Teilen der Welt auf eine bestimmte Zustimmung trifft.
Gleichzeitig ist jedoch gerade in letzter Zeit deutlich geworden, dass der "American Dream" der USA ernsthafte Risse bekommen hat und es dem Land immer schwerer fällt, seine Rolle als Supermacht auszufüllen und auch die damit verbundene Verantwortung wahrzunehmen, die über eine bloße eigene Interessenpolitik hinausgeht. Da sich die Weltgemeinschaft immer weniger bereit zeigt, eine zuweilen "irrlichtende" Supermacht wie die USA hinzunehmen, verschiebt sich die Ordnung der Welt, so wie wir sie lange kannten, zusehends.
Wie lange kann diese neue Weltordnung dauern? Was kann danach kommen?
Noch hat China die USA als globale Supermacht nicht abgelöst. Bis das "Reich der Mitte", über seinen wirtschaftlichen Einfluss hinaus, so weit sein wird, ist schwer abzuschätzen. Gelingt es China aber, ein gesellschaftlich attraktives Modell zu entwickeln, das neben den politischen und wirtschaftlichen Fragen auch auf die ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts eine Antwort findet, so wird es die USA über kurz oder lang als globalen Player ablösen. Jedoch genau zu sagen, wann das sein wird, wäre reine Spekulation. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, ob auf die globalen Probleme der Welt nicht auch eine globale politische Antwort nötig sein wird, die ohne das Denken in Kategorien von "Supermächten" auskommt.
Zur Person:
Dr. Matthias Uhl wurde am 5. Februar 1970 in Nordhausen (Thüringen) geboren. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Osteuropäische Geschichte in Halle und Moskau. 2000 promovierte er zum Thema "Stalins V-2. Der Technologietransfer der deutschen Fernlenkwaffentechnik in die Sowjetunion und der Aufbau der sowjetischen Raketenindustrie 1945 bis 1959"
Nach Tätigkeiten am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg und der Berliner Abteilung des Instituts für Zeitgeschichte ist er seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institutu (DHI) in Moskau.