Die durch den Putsch in Kiew 2014 an die Oberfläche gespülten ukrainischen Nationalisten und Rechtsradikalen sorgten im russischsprachigen Osten des Landes schon früh für Nervosität. Als dann die Interimsregierung Armee und Freiwilligenverbände in den Donbass schickte, von denen einige offen mit dem Nazismus sympathisierten, war Menschen wie Nikita V. klar, dass sich ihr Leben grundlegend verändern würde. Nikita stand zu diesem Zeitpunkt kurz vor seinem 25. Geburtstag und entschied sich nach den ersten Luftschlägen der ukrainischen Luftwaffe im Juni 2014, dass er den Donbass den herannahenden Truppen nicht kampflos überreichen werde.
So wie er dachten auch tausende andere Männer im Donbass. Das Problem aber war, dass sie keine ausgebildeten Soldaten waren, sondern Minenarbeiter, Bauern, Fabrikmitarbeiter und Geschäftsmänner. Und ihnen fehlten Waffen. Über diese Zeit und der aktuellen Entwicklung des Truppenabzugs und der möglicherweise bevorstehenden Wiedereingliederung der selbstausgerufenen Volksrepubliken von Donezk und Lugansk in die Ukraine, sprach RT Deutsch mit Nikita V.
Herr V., was halten Sie von dem Teilabzug der beiden Kriegsparteien an einigen Punkten der Frontlinie und der Aussicht, dass die Donezker und Lugansker Volksrepublik wieder unter die Souveränität der Ukraine zurückgeführt werden?
Für die Menschen entlang der Kontaktlinie ist das sicherlich eine begrüßenswerte Entwicklung. Sie können nach Jahren des täglichen Beschusses endlich etwas aufatmen und müssen keine Angst vor Granaten haben. Sie haben über fünf Jahre ausgeharrt und ließen sich trotz größter Lebensgefahr nicht von ihrem Zuhause vertreiben. Ihnen gebührt unser aller Respekt und ihre Präsenz hat uns, die nur wenige hundert Meter vor ihnen in den Gräben saßen und versucht haben, die Stellung zu halten, sehr viel Kraft gegeben. Sie harrten in ihren Häusern aus, obwohl sie manchmal über Monate hinweg keinen Strom und Gas hatten. Das ist wirklich bemerkenswert.
Was die eventuelle Rückkehr unserer Volksrepubliken in die Ukraine angeht, das belastet mich und viele andere der Rebellen sehr, die dem Ansturm der Ukrainer am Anfang standgehalten haben. Wir haben in den ersten Wochen unkoordiniert und mit völlig unzureichenden Waffen gekämpft. Das war die Zeit, wo wir sehr viele Tote zu beklagen hatten. Viele meiner Freunde sind bei diesen Kämpfen ums Leben gekommen, beim neuen Flughafen (Internationaler Flughafen von Donezk/Anm.), bei der Verteidigung der strategisch wichtigen Anhöhe von Saur-Mogila, in Ilowajsk, in Debaltsewo. Und wofür haben wir gekämpft und so viel Blut vergossen? Damit wir all das, was wir trotz internationaler Isolation aufgebaut haben, aufgeben und wieder in die Ukraine gehen?
Ist es nicht gerade diese Isolation, die eine politische Lösung mit der Ukraine notwendig macht?
Ich kann nur für mich sprechen. Für all das Leid, dass sie (die Ukraine) uns angetan hat, gibt es keine Entschuldigung und keine Vergebung und deshalb auch keine Rückkehr. Natürlich diskutieren wir im Freundeskreis darüber und manche sagen, eine Rückkehr könne nur dann erfolgen, wenn Kiew dem Donbass weitreichende Autonomie zugesteht. Doch die mit Abstand wichtigste Voraussetzung wäre, dass in der Ukraine wie in Deutschland eine Entnazifizierung stattfindet. Diese Verbrecher müssen strafrechtlich verfolgt und bestraft werden. Aber bisher gibt es keinerlei Anzeichen, dass Präsident Selenskij irgendetwas gegen diese Kräfte unternimmt, die selbst für ihn eine Gefahr darstellen.
Im Westen hat sich die Behauptung durchgesetzt, dass Russland die Ostukraine besetzt habe. Was sagen Sie dazu?
Auch hier spreche ich wieder nur für mich, weiß aber, dass viele andere auch so denken. Für uns in den Volksrepubliken hätte nichts Besseres passieren können, wenn russische Truppen hier einmarschiert wären. Dann wäre dieser Krieg hier schon vor langer Zeit beendet gewesen oder wäre die Front am Dnjepr und nicht vor Donezk verlaufen. Russland hätte nicht monatliche Hilfsgüter schicken müssen, sondern wir hätten mit unseren eigenen Händen wie zuvor für unser Leben sorgen können. Aber all das ist nicht passiert. Natürlich haben wir Hilfe von russischen Freiwilligen erhalten, die uns in unseren schwersten Stunden beigestanden haben.
Ich hätte es nur zu gern gesehen, wenn wir in die Russische Föderation aufgenommen worden wären. Viele Menschen hier haben gehofft, dass Präsident Putin nach der Wahl im vergangenen Jahr mehr für uns tun würde, uns vielleicht wie die Krim auch von der Ukraine befreien würde. Aber all das ist nicht geschehen. Es ist vollkommen absurd von einer russischen Besatzung zu sprechen. Im Gegenteil, viele von uns fühlen uns von Russland verraten, weil wir nicht den selben Weg wie die Krim gehen durften. Schauen Sie sich doch an, wie sich die Krim seitdem entwickelt hat. Das wäre auch hier möglich gewesen. Stattdessen drängt uns Moskau nun zurück in die Arme Kiews.
Sie haben gesagt, dass sie sich von Anfang an den Rebellen angeschlossen haben. Wann sind Sie ausgestiegen?
Das war ein paar Monate nach der Schlacht um Debaltsewo, als klar wurde, dass sich dieser Krieg zu einem festgefrorenen Konflikt entwickelt. Die ukrainische Blockade und internationale Isolation hat dazu geführt, dass sich hier eine neue Oligarchiekaste von Kriegsprofiteuren gebildet hatte. Diese Leute standen nicht für das ein, wofür wir gekämpft haben. Wir wollten ein neues Land aufbauen und uns von den alten Oligarchen befreien. Zwar ist tatsächlich einiges besser geworden als zu Zeiten der Ukraine, aber das Geschäftsmodell der Oligarchie ist gleich geblieben. Im Hintergrund ziehen sogar immer noch die selben Männer die Fäden wie zuvor, nur die Handlanger wurden ausgetauscht. Dafür war ich nicht mehr bereit, mein Leben zu geben. Wie übrigens hunderte andere Männer auch, die 2014 freiwillig an die Front gingen, um ihr Vaterland zu verteidigen.
Obwohl wir eine Regierung haben, haben wir nach wie vor verschiedene Befehlsgewalten. Das liegt an den Anfängen unserer Rebellion gegen die Ukraine, als verschiedene Kommandeure ihre eigenen Männer hatten und misstrauisch gegenüber anderen Kommandeuren waren, die eigentlich für die selbe Sache kämpften. Nehmen Sie nur das Beispiel des getöteten Präsidenten Alexander Sachartschenko: auch ihm unterstand bis zuletzt ein eigenes Bataillon.
Schauen Sie nur, was mit anderen Kommandeuren wie Motorola (Arsen Pawlow), Giwi (Michail Tolstijch) oder den Kosaken Alexej Mozgovoi passiert ist. Sie allen wurden wie Sachartschenko aus dem Weg geräumt, weil sie aufgrund ihrer Popularität bei den Menschen und eben Bataillonen, den sie vorstanden, für jene Kräfte zu gefährlich wurden, die ein Interesse am Status Quo in den Volksrepubliken haben.
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