Einiges wurde über die Rede von Mateusz Morawiecki, dem polnischen Ministerpräsidenten, sowohl in der polnischen als auch der deutschen Presse geschrieben. Darüber, dass die Demokratie in Europa gestärkt werden müsse, Investitionen in die Modernisierung der europäischen Technologie erforderlich sind und die Reduktion der CO2-Emissionen nicht nur ein frommer Wunsch bleiben dürfe. Die steigende Armut und damit einhergehende immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich müsse bekämpft werden, ebenso wie die Konzentration von Macht in den Händen einiger wenigen globalen Konzerne.
Und natürlich hätte Polen zu dem ehrwürdigen Kreis der Gründervater der Europäischen Union gehört, wenn es nicht diese Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Eisernen Vorhang gegeben hätte. Denn, so Morawiecki, just diese Idee entsprach „dem Willen der polnischen Exilregierung“ in London, welche mit Gründung der „Dritten Polnischen Republik“ im Dezember 1990 ihre Amtsgeschäfte wieder nach Warschau übertrug.
Das ist alles schön und gut. Und in vielerlei Hinsicht auch absolut richtig und wichtig. Wäre da nur nicht der Makel der immer wieder stattfindenden Proteste in Polen gegen die rechtskonservative Regierung des polnischen Ministerpräsidenten. Oder der Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens der EU-Kommission gegen Warschau, wegen möglicher „Gefährdung von EU-Grundwerten“. Wie diese „EU-Grundwerte“ aussehen, ist in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union definiert. Während es darin heißt, dass sich diese Grundrechte „in dem Bewusstsein des geistig-religiösen und sittlichen Erbes“ der Völker Europas gründen, nahm Morawiecki eine klare Haltung diesbezüglich ein und berief sich auf das Christentum, „ohne welche die europäische Vielfalt niemals dieses Gefühl der Allgemeingültigkeit“ erreicht hätte.
Dabei erwähnt er auch explizit die griechisch-orthodoxe Kirche, wo für ihn ganz offensichtlich die Trennlinie zwischen der „europäischen Vielfalt“ verläuft. Während also für Polen, als streng katholisches Land, das alte christliche Schisma zwischen der weströmischen- und oströmischen Kirche, zwischen Rom und Byzanz, durch die gepriesene europäische Vielfalt überbrückt wurde, scheint dies ganz offensichtlich für die byzantinische Spaltung in griechisch-orthodox und russisch-orthodox nicht zu gelten. Oder ganz salopp gesagt: das „geistig-religiöse und sittliche Erbe“ des Christentums gilt für Europa bis an die Grenzen der griechisch-orthodoxen (kurioserweise wird Serbien mit der serbisch-orthodoxen Kirche, einem „Ableger“ des russischen Patriarchats, auch dazu gezählt). Und Russland gehört demnach schlicht und ergreifend nicht dazu.
Dass die gegenwärtige polnische Regierung nicht unbedingt eine gute nachbarschaftliche Beziehung zu Moskau pflegt, zeigt sich immer mal wieder. Ob es das Innen-, Außen-, Verteidigungsministerium oder eben der Ministerpräsident selbst ist - für absurde Anschuldigungen gegenüber Russland ist sich dort niemand zu fein. Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, der im Juli im Parlament und nochmal während seiner Washingtonreise im September 2017 behauptete, dass "Russland einen offensiven Krieg, möglicherweise mit Einsatz von Nuklearwaffen vorbereitet", vergaß dabei vollkommen, dass die russische Großübung Zapad-2017 zu diesem Zeitpunkt bereits vorbei war.
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Zum Thema „europäische Sicherheitssäule“ holte dann in Straßburg Mateusz Morawiecki den großen Hammer aus der Tasche, mit welchem er in Richtung Moskau einschlagen wollte und sich dabei aber nur selbst lächerlich machte. Obwohl es durchaus im Plenarsaal des Europäischen Parlaments einige Anwesende gab, wie beispielsweise Manfred Weber, der bestimmt mit Zustimmung und größter Aufmerksamkeit den Worten des polnischen Ministerpräsidenten zuhörte. Hier einige Auszüge aus Morawieckis Rede:
„In den letzten Jahren kam es zu einer Phase außerordentlicher Verschärfung geopolitischer Bedrohungen, wie des Terrorismus oder des russischen Mischkriegs in der Ukraine, und nicht nur zu Einmischungen in den demokratischen Prozess der westlichen Länder, sondern sogar zu direkten Angriffen auf die Unionsbürger. Wir alle erinnern uns an Salisbury oder die Destabilisierung in Syrien. Russlands Aggression gegen die Ukraine erschütterte die Sicherheitsarchitektur in Mittel- und Osteuropa, war aber auch Teil eines größeren Plans zur Destabilisierung des Westens. Ein paar Jahre zuvor war Georgien das Ziel eines ähnlichen Angriffs. Dies zeigt deutlich, dass Russlands Handeln kein Zufall ist, sondern ein Element einer vorgegebenen Strategie.“
Das muss ganz nach dem Geschmack von Manfred Weber gewesen sein, dem stellvertretenden CSU-Parteivorsitzenden und engem Merkel Vertrauten in Brüssel. Niemand im Plenarsaal protestierte gegen diese infamen Anschuldigungen des polnischen Ministerpräsidenten, die nichts weiter als leere Phrasen waren.
„Angriffe auf Unionsbürger“? Damit ist wohl der ominöse Angriff auf die Skripals in Salisbury in Großbritannien gemeint. Ein Fall, der für riesigen internationalen Ärger gesorgt hat und am Ende wie ein Kartenhaus zusammengebrochen ist. „Destabilisierung in Syrien“? Als ob es den Krieg in Syrien vor der Ankunft von russischen Verbänden oder den sogenannten Islamischen Staat und dessen zahlreiche gleichgesinnte Gruppierungen nie gegeben hat. „Russlands Aggression gegen die Ukraine“? Nur weil es die ukrainische Regierung gebetsmühlenartig wiederholt und in einigen Hauptstädten der westlichen Welt nachgesprochen wird, war es deswegen noch lange nicht die russische Armee, die gegen die Bevölkerung in der Ostukraine losgezogen ist, sondern die Armee der Ukraine selbst.
Dann aber den Vorwurf zu erheben, dass das „Teil eines größeren Plans zur Destabilisierung des Westens“ wäre und somit „ein Element einer vorgegebenen Strategie“ des Kremls, ist einfach nur infam.
Und wie steht es eigentlich mit den vielgepriesenen EU-Werten im Zusammenhang mit der polnischen Performance in der Flüchtlings- beziehungsweise Asylkrise der Europäischen Union?
„Die EU kämpft mit dem Zustrom von Migranten und Flüchtlingen von verschiedenen Seiten und kann nur durch eine intelligente und flexible Herangehensweise an die Migrationsherausforderung das Gefühl der Sicherheit der europäischen Bürger wiederherstellen. Polen ist ein neues Zuhause für über 1,5 Millionen ukrainische Bürger, darunter viele, die aufgrund der russischen Aggression aus ihren Häusern geflohen sind. Sie sind nicht als Flüchtlinge bei uns registriert, aber nur, weil unsere Verfahren es ihnen viel leichter machen, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten und ihr eigenes und das Wohlergehen ihrer Familien aufzubauen, dank dem sie auch unsere Wirtschaft und die Wirtschaft der Europäischen Union unterstützen.“
Während also die EU „mit dem Zustrom von Migranten und Flüchtlingen“ kämpft, die, wie er selbst meint, einen „demografischen Druck insbesondere aus Afrika und dem Nahen Osten“ darstellen, rühmt er sich der polnischen Integrationspolitik mit 1,5 Millionen ukrainischen Bürgerinnen und Bürgern. Allerdings sind nur die wenigsten von ihnen aufgrund des Krieges im Donbass nach Polen gekommen, sondern sind aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage in der Ukraine nach Polen gegangen.
Wenn es aber um Flüchtlinge aus dem Nahen Osten oder Afrika geht, zeigt sich Morawiecki von einer ganz anderen Seite, die nichts mehr mit den vielgepriesenen christlichen Werten zu tun haben. Noch Anfang des Jahres machte er klar:
„… wir werden keine Migranten aus dem Mittleren Osten und Nordafrika in Polen akzeptieren.“
Klare Worte eines Mannes, der die EU beschuldigt, „üble Drohungen“ in Richtungen Warschau zu senden und stattdessen „seinen Traum“ darin sieht, die Europäische Union „zu transformieren, (sie) zu Re-Christianisieren“.