Die Ukraine hatte auf der Halbinsel Krim große Mengen an Waffen und Militärtechnik stationiert. Nach der Abspaltung der Krim und dem darauf folgenden Anschluss an Russland im März 2014 war etwa die Hälfte der dortigen ukrainischen Militärangehörigen in die russische Armee übergetreten. Die russische Regierung hat seither nur die Hälfte der auf der Krim vorhandenen Technik an die Ukraine übergeben. Am 16. Juni 2014 stoppte sie diesen Prozess bis zur "Normalisierung der Situation im Donezkbecken".
Unter russischer Kontrolle verblieben unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 2.000 und 3.500 Einheiten der Kampf- und Versorgungstechnik, darunter 17 Schiffe. Die Ukraine hat Russland seither immer wieder vorgeworfen, ihre Militärtechnik in Beschlag genommen zu haben. Nun brachte der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, das Thema der Übergabe wieder aufs Tapet.
Wir sind bereit, diesen Prozess fortzusetzen", sagte Putin letzte Woche bei einem Treffen mit leitenden Mitarbeitern russischer Printmedien in Moskau.
Er räumte zugleich ein, dass die in Rede stehende Technik schon zu großen Teilen überholt und veraltet ist. Er habe nichts dagegen, dass ukrainische Militärs der Entsorgung alter Munition auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim beiwohnten. Dem Präsidenten zufolge sind beachtliche, auf der Krim eingelagerte Munitionsvorräte nicht mehr transportierbar. Eine Verbringung wäre zu gefährlich, deshalb sollten die Bestände vor Ort vernichtet werden.
Wir möchten ukrainische Militärs einladen, bei der Vernichtung dieser Munition mitzumachen", sagte Putin.
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Diese "Geste des guten Willens", wie sie der Kremlsprecher Dmitri Peskow nannte, bereitet Kiew nun Kopfzerbrechen. Das sagte der ehemalige Oberbefehlshaber der ukrainischen Marine in den Jahren 2014 bis 2016, Sergei Gaiduk, im ukrainischen Fernsehen:
Im Jahre 2014 ist es uns gelungen, 35 Kampf- und Versorgungsschiffe, über 3.000 Einheiten der Militärtechnik, 92 Militärjets und Hubschrauber zurückzuholen. Aber ein Teil der Technik ist nach dem Anhalten der Übergabe auf der Krim geblieben. Das sind 17 Kampf- und Versorgungschiffe und über 2.000 Einheiten der Technik, Munition und weiterer materialtechnischer Bestände", so Gaiduk.
Ukrainisches Militär: Erst Kosten und Nutzen abwägen
Warum dies "Kopfzerbrechen" bereiten kann, vermittelt bereits der optische Eindruck beim Betrachten der Videos zu diesen Beständen, die im russischen Fernsehen in diesen Tagen laufen. Es handelt sich zu großen Teilen um ausgemusterte Technik, die bereits vor 2014 über Jahre hinweg nicht gewartet worden war. Mehrere Schiffe waren in einem so desolaten Zustand, dass sie noch vor der Übergabe an die Ukraine versenkt wurden. Die anderen waren allerdings noch im Jahre 2013 bei Militärübungen im Einsatz.
Dennoch: Die Gefahr, dass manche der verbliebenen Schiffe irgendwann von alleine auf Meeresgrund laufen, sei groß, berichtet die Korrespondentin des russischen Fernsehkanals Zvezda, die Zutritt zur ukrainischen Korvette "Ternopil" erlangte. Außerdem sei es zu teuer, die im Militärhafen Sewastopol vor Anker liegenden Schiffe zu bewachen und sie nähmen den russischen Schiffen Platz weg.
Igor Woronenko, der derzeitige Chef des Generalstabs der Ukraine, sagte, diese Frage bedürfe "gründlicher Überprüfung". Es erscheint durchaus komplex, zu berechnen, ob sich das ganze Vorhaben für die Ukraine überhaupt lohnen würde.
Rückgabe hätte viele Vorteile für Kiew
Die russische Zeitung Nesawissimaja Gaseta wies am Mittwoch in einem ausführlichen Artikel darauf hin, dass die Rückgabe für die ukrainischen Streitkräfte im Idealfall große militärische und wirtschaftliche Vorteile bringe: Die Ukraine verfüge über zahlreiche Werften, etwa in Nikolajew, Cherson und Kiew, die in kurzer Zeit die auf der Krim verbliebenen 17 Schiffe reparieren könnten - zumal das Schiffsbauwerk Leninskaja Kusniza dem Präsidenten Petro Poroschenko gehöre. Auf diese Weise könnte auch er aus der Übergabe der Schiffe noch Gewinne erzielen.
Unter den zu übergebenden Schiffen befindet sich auch das Steuerschiff "Slawutitsch", das sich derzeit in Sewastopol befindet. Dabei handelt es sich um ein Aufklärungsschiff mit einer Wasserverdrängung von mehr als 5.000 Tonnen. Dieses war im Juli 1988 in Nikolajew auf Kiel gelegt und im August 1992 in Betrieb genommen worden. In der ukrainischen Kriegsflotte wurde "Slawutitsch" für den Einsatz von Kampfschwimmern gegen Diversanten verwendet.
Dieses Schiff ist für die Ukraine und die USA wertvoller als alle übrigen 16 Schiffe in Sewastopol zusammen. In Nikolajew könnte man es innerhalb von drei bis vier Monaten reparieren und mit neusten amerikanischen funkelektronischen und hydroakustischen Anlagen ausstatten, so die Nesawissimaja Gaseta. Rund 50 US-Spezialisten könnten dorthin entsandt werden, "Slawutitsch" würde elf Monate im Jahr vor der Küste der Krim Dienst tun und notwendige Informationen sammeln. Die Amerikaner selbst könnten sich das nicht leisten, weil die maximale Aufenthaltsdauer ihrer Schiffe im Schwarzen Meer gemäß dem Vertrag von Montreux aus dem Jahr 1936 nur 21 Tage beträgt.
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Nesawissimaja Gaseta spinnt das Szenario weiter, wonach die Ukraine die alte Technik zurückbekommt und kommt zu dem Schluss, dass dies der Ukraine viele Vorteile brächte, selbst wenn die restlichen Schiffe nicht mehr repariert, sondern nur noch anderweitig verwertet werden könnten. Sie könnten dann auch als Ersatzteillager, darunter auch für andere ehemalige Ostblockstaaten, schwimmende Kaserne, Altmetallspender oder gar als gute Zielschiffe dienen, weil es Schiffe ähnlichen Typs in der russischen Flotte gibt. Außerdem könnte die Technik im Positionskrieg in der Ostukraine benutzt werden.
Spekulationen über Moskaus Interesse
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welches Interesse Moskau verfolgt, die Kampftechnik einer Regierung zurückzugeben, die nicht müde wird, Russland als Ursprung des Bösen auf Erden zu kennzeichnen. Es könnte auch ein taktischer Zug sein, mutmaßt die russische Zeitung. Eine solche Menge an Militärtechnik kann nur aufgrund eines Regierungsabkommens übergeben werden. In einem solchen Abkommen müsste die Krim erwähnt werden. Sollte Kiew aber ein Abkommen unterzeichnen, in dem die Krim als russisches Territorium bezeichnet wird, könnte dies gravierende Folgewirkungen haben.
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Doch wenn die Krim im Dokument als "besetztes" beziehungsweise undefinierbares Territorium bezeichnet werden sollte, würde ein solches Abkommen kaum den russischen Interessen entsprechen. Sollte es doch zu Verhandlungen über die Rückgabe kommen, wird die ukrainische Seite mit großer Wahrscheinlichkeit auf ihrer Sicht bezüglich der Krim-Zugehörigkeit bestehen. Der ukrainische Premierminister Wladimir Hroisman setzte schon ein Zeichen, indem er sagte, dass Russland die Technik zusammen mit der ganzen Halbinsel zurückgeben soll.
Solange keine offizielle Entscheidung aus Kiew vorliegt, wird das russische Angebot in ukrainischen Medien heftig diskutiert. Gefragt sind insbesondere ehemalige hohe Amtsträger der Armee sowie Militärexperten. So warnte der stellvertretende Leiter des Generalstabes in den Jahren 2006 bis 2010, Generalleutnant Igor Romanenko, die Technik könnte, wie nach dem Zweiten Weltkrieg von den Deutschen und Italienern, nun von den Russen mit Sprengstoff bestückt sein. Daher müsste die übergebende Technik noch auf der Krim untersucht werden, um derartige Fälle zu verhindern.
Übergabe der Militärfahrzeuge an die Ukraine auf der Krim in April 2014: