Ukraine muss wieder bei Gazprom kaufen - aber nur wenn es "billig, ehrlich und nicht korrupt" ist

Kiew kann wieder Gas in Russland einkaufen, wenn dieses "billig, ehrlich und nicht korrupt" ist, so der ukrainische Präsident Petro Poroschnenko. Nach dem Maidanputsch galt die völlige Abkehr von russischen Gaslieferungen noch als ukrainisches Hauptziel.

von Nyura N. Berg

Die sich plötzlich abzeichnende Wiederkehr von Energie-Einkäufen bei den Russen ist, glaubt man Poroschenko, ausschließlich hohen moralischen Überlegungen geschuldet.

Sie klopfen an: Wollen Sie vielleicht Gas bei uns kaufen? Nein danke, bei uns ist alles gut. Wenn es billig wird, wenn es ehrlich und nicht korrupt ist – bitte schön. Aber wofür brauchen wir es? Um die Tarife für unsere Menschen zu senken" – dies verkündete Poroschenko mit viel Pathos während seines letzten Besuchs in Odessa.

Er vergisst nur, zu erwähnen, dass die wahre Ursache der offenbar bevorstehenden Wiederaufnahme der Einkäufe aus Russland viel prosaischerer Natur ist. Wir kommen darauf zurück, aber zunächst sollten wir uns der Genese der Gas-Problematik und deren Rolle im Entstehen der ukrainischen Staatlichkeit erinnern.

Der Gas-Gestank: Furchtbar und schön

Gas für die Ukraine, die ihre Staatlichkeit auf die Rauchschwaden brennender Fackeln und Autoreifen gebaut hat, hat generell etwas Sakrales. Kein einziger bisheriger Präsident des Landes konnte während seiner Amtszeit dieses Thema außer Acht lassen. Und alle nutzten das damit verbundene Korruptionspotenzial mehr oder weniger unverblümt aus. Aber erst Wiktor Juschtschenko, der 2004 infolge der so genannten Orangenen Revolution an die Macht gekommen war, erhob diese Problematik zur wichtigsten Frage der Ausrichtung ukrainischer Außen- und Innenpolitik. Diese Ausrichtung trug auch das größte Konfliktpotenzial in sich.

Denn ausgerechnet er stellte die Möglichkeit eines völligen Verzichts auf russisches Gas in Aussicht, was seiner Meinung nach eine symbolische Bedeutung für das Werden der ukrainischen Staatlichkeit haben würde. Juschtschenko gab regelmäßig grobe und provozierende Erklärungen dazu ab. Aber er musste gleichzeitig Vorwürfe einer eigenen Teilnahme an den Korruptionsverbindungen des Unternehmens Rosukrenergo von sich weisen. Dabei griff er auch mal zu unparlamentarischen und aufbrausenden Ausdrücken wie:

Ich habe mit eurem stinkenden Gas nichts zu tun!

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Es ist symptomatisch, dass ein solcher Gesprächston während einer Sitzung des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung möglich wurde.

Für Premierministerin Julia Timoschenko wurde das Gas-Thema wiederum zum Verhängnis. Sie schloss ziemlich seltsame Gasverträge über Lieferungen aus Russland, woraufhin sie, schon zu Zeiten Janukowytschs als Präsident, angeklagt wurde. Der später gestürzte Präsident schickte sie ins Gefängnis, das sie aber schnell gegen ein komfortableres Krankenhauszimmer tauschte. Dieser Aufenthalt hinderte sie nicht daran, aktiv am politischen Leben teilzunehmen und vom Westen unterstützt zu werden – ungeachtet der Tatsache, dass die Korruption im Umfeld der Gasverträge offensichtlich war, was das Gericht auch bestätigte.

Es ist beachtlich, dass der Volltext des Gerichtsurteils gegen Timoschenko, zuvor auf der Homepage des Staatlichen Gesamtregisters für Gerichtsurteile zugänglich, entfernt wurde, nachdem das Urteil im April 2014 kurz nach dem Staatsstreich vom Obersten Gericht der Ukraine für nichtig erklärt worden war. Es hinderte den Präsidenten Poroschenko während seiner letzten Reise ins das Gebiet Odessa nicht daran, die damaligen Verträge "absolut verbrecherisch" zu nennen.

Poroschenko bricht und bricht mit Russland - jedes Mal endgültig

Der endgültige und unumkehrbare Bruch mit Russland ist das zentrale Thema, das im Kern der ganzen PR-Arbeit von Poroschenko zugrunde liegt. Fast täglich kommt er in seinen flammenden Reden darauf zurück – was an eine Art Schwur an die nationalistisch gesinnten Aktivisten erinnert. Das alles hindert ihn allerdings nicht daran, seine eigenen Geschäfte weiterhin auf dem Territorium der Russischen Föderation laufen zu lassen und - wie dies eine journalistische Untersuchung des ukrainischen Internet-Portals strana.ua offenlegt - eine Milliarde Rubel (etwa 14,7 Mio. Euro) an Steuern in das russische Staatsbudget zu zahlen. Poroschenko stellt sich auch dem Erholungskurs des russisch-ukrainischen Handels nicht entgegen, der in den Jahren 2014 und 2015 einen dramatischen Rückgang erfahren hat.

Die ukrainischen Radikalen handeln stets nach dem gleichen Prinzip: Sie haben sich bereits mehrmals medienwirksam an verschiedenen Blockaden des Handels mit Russland beteiligt und führen einen unerbittlichen Kampf gegen die Einfuhr russischer Waren auf das ukrainische Territorium. Das alles hindert sie allerdings nicht daran, sich mithilfe russischen Gases und russischer Kohle zu wärmen sowie den aus Russland importierten Strom immer dann zu nutzen, wenn es in eigenen Kraftwerken zu Engpässen kommt. Sie erinnern ein wenig an jene hochprinzipiellen Veganer, die auf Lederschuhe doch nicht verzichten, weil es im künstlichen Leder für die Füße zu kalt ist.

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Genau in diesem Kontext des endgültigen Bruchs mit Russland beackert Präsident Poroschenko seit Beginn seiner Präsidentschaft das Gas-Thema, indem er den nationalistisch gesinnten Teilen der Bürger verspricht, auf den russischen Treibstoff komplett zu verzichten. Dabei übt die ukrainische Regierung auf ihre westliche Partner Druck aus, damit diese ihrerseits auf Russland Druck ausüben, indem sie von Russland eine volle Auslastung des ukrainischen Gastransportsystems durch... russisches Gas fordern.

Parallel dazu geht der Krieg gegen die Projekte Nord Stream 2 und Turkish Stream weiter, welche die Ukraine als Gefahren für das eigene Gastransportnetz betrachtet. Solche einander ausschließenden Ansätze gehören zum Alltag der ukrainischen Politik und es ist nutzlos, hier nach einer Logik zu suchen.

Die Rose duftet nach Rose, ob sie nun Rose heißt oder nicht

Es ist also klar, dass russisches Gas unverzichtbar ist. Deswegen wurde entschieden, dieses umzubenennen, was der Regierung in Kiew wiederum die Möglichkeit gab, lauthals eine symbolische Absage an den feindlichen Treibstoff zu deklamieren und damit das Minimum an revolutionärer Anständigkeit zu bewahren. Man begann, das Gas bei mehreren europäischen Ländern einzukaufen, zu einem Preis, der etwa um zehn Prozent höher als ein direkter Bezug aus Russland ist. Was für eine Geschäftsidee diesem Vorgehen zugrunde liegt, ist schwer zu verstehen, aber man kann einer naiven Bevölkerung, die an Wunder glaubt, eben noch ein weiteres Mal weismachen, dass die Ukraine nun ein für alle Mal endgültig alle Bindungen zum feindlich-imperialen Russland zerrissen hat.

Poroschenko gibt inzwischen sogar zu, dass Einkäufe in Europa äußerst ungünstig und ausschließlich politisch motiviert sind. In Wirklichkeit war und ist das Gas russisch, auch wenn es beispielsweise aus der Slowakei geliefert wird. Mehr noch: Obwohl sich der Gaspreis infolge des billigen Ölpreises gleichfalls ununterbrochen im Sinkflug befindet, verteuern sich die Tarife für die ukrainische Bevölkerung ständig und sind mittlerweile um das Zehnfache höher als zur Janukowytsch-Zeit. Eine weitere Erhöhung in den Jahren 2018 bis 2020 ist bereits angekündigt. Energieexperte Walentin Semljanski zufolge sieht der Finanzplan der ukrainischen Regierung eine weitere Preissteigerung um 19 Prozent im Verhältnis zum heutigen Niveau.

Naftogas  vs. Gazprom: Niederlage kaum von Sieg zu unterscheiden

Die letzten vier Jahre, die seit der so genannten Revolution der Würde vergangen sind, haben die beiden Monopolisten - die russische Gazprom und ihr ukrainisches Vis-a-vis Naftogas - ununterbrochen mit Gerichtsprozessen verbracht. Jede Seite betrachtet die Zwischenergebnisse als eigenen Sieg und Niederlage für den Opponenten.

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Die jüngste Entscheidung des Stockholmer Schiedsgerichts war hier keine Ausnahme. Noch vor dem Termin haben die Naftogas-Manager voreilig versprochen, im Falle des Sieges die Tarife für die Bevölkerung zu senken. Und nun liegt der Beschluss endlich vor. Die ukrainische Regierung und der Gas-Monopolist selbst haben ihn als Sieg bezeichnet und dafür den Naftogas-Chef Andrej Kobolew unanständig hoch prämiert.

Experten aus dem Gas- und Ölsektor hingegen schätzen die Situation anders ein. Selbst eine oberflächliche Analyse zeigt, dass für die Ukraine nicht alles so feierlich aussieht, wie es die offiziellen Mitteilungen der Regierung und des Präsidialamtes weismachen wollen. Ja, die Ukraine wird Russland nicht zehntausende Milliarden Dollar zurückzahlen müssen, aber sie muss dennoch eine gewisse Summe zahlen und das ist nicht wenig.

Naftogas hat in seiner Klage das ganze Geld gefordert, das das Unternehmen nach dem Verständnis der ukrainischen Regierung in den Jahren nach dem Maidan zu viel gezahlt hat, als diese im Jahr 2014 den damals gültigen Vertragspreis für überteuert erklärt hat. Diese Hauptforderung hat das Stockholmer Schiedsgericht nicht bejaht, indem es die Argumente bezüglich der angeblich zu hohen Preise für unbeachtlich erklärte. Die Ukraine muss Russland hingegen zwei Milliarden US-Dollar erstatten, die sie infolge der einseitigen Preissenkung an russische Unternehmen im Geiste der revolutionären Zweckmäßigkeit zu wenig gezahlt hat.

In einer Reihe anderer Punkte wird der Gerichtsbeschluss als Sieg oder Niederlage gesehen, je nachdem, aus welchem Land der jeweilige Experte stammt. Es ist nur gerade in Bezug auf die oben zitierte Äußerung von Poroschenko ein sehr wichtiges Detail über die mögliche Wiederaufnahme der Einkäufe vonseiten der Ukraine hervorzuheben. Das Stockholmer Gericht hat es als zulässig anerkannt, dass Naftogas im Rahmen des verpflichtet ist, jährlich fünf Milliarden Kubikmeter bei Gazprom einzukaufen. Damit blieb die Regel "Nimm und zahle", die von der ukrainischen Seite angefochten wurde, erhalten, obwohl das Einkaufsvolumen drastisch gesunken war.

Naftogas hält das Urteil für einen Sieg, denn in Folge dessen muss die Ukraine um ein Zehntel weniger Gas in Russland kaufen. In Wirklichkeit besteht er für sie darin, dass die Ukraine auf diese Weise sparen kann: Russisches Gas ist billiger.

Endgültiger Bruch mit Russland wird wieder vertagt - während Poroschenko zu scheitern droht

In politischer Hinsicht ist die Wiederaufnahme der Einkäufe aber ein völliges Fiasko. Das, worüber mehrere Jahre lang alle hochrangige ukrainische Politiker und Beamter gesprochen haben, ist eine leere Hülle geblieben. Alle Gespräche über den endgültigen politischen und ökonomischen Bruch mit der Russischen Föderation im Namen der Würde und Unabhängigkeit entpuppten sich als Simulation.

Aber kehren wir zum Versprechen, Tarife "für unsere Menschen" zu senken, zurück. Wir erinnern uns: In den postmaidanen Jahren haben sie sich ins Unermessliche erhöht und werden sich weiterhin erhöhen - das sagen sogar regierungsnahe Experten voraus. Der zynische Versuch Poroschnenkos, eine gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich bei den immer ärmer werdenden Ukrainern als sorgender Vater der Nation darzustellen, ist perspektivlos.

Um diesen Schluss zu ziehen, genügt es, auf die Umfragewerte des Präsidenten zu schauen. Das Volk glaubt ihm nicht. Es versteht, dass ihm seine Nöte egal sind. Wie man es schön sagt: Die Probleme der Indianer rühren den Sheriff nicht an. Die Improvisationen über den vermeintlichen Test auf Ehrlichkeit und Nichtkorruptheit, den das Gas angeblich bestehen soll, klingen lächerlich aus dem Mund des Helden der panamischen Offshores. Das Hauptproblem besteht jetzt darin, diese erniedrigende Verpflichtung, doch wieder beim bösen Feind einzukaufen, in weitere populistische Versprechungen und Schwüre unter pathoshafter Darbietung für nervöse ukrainische Nationalisten einzuhüllen.

Eine weitere vielsagende Entwicklung: Der ukrainische Premier Wolodymyr Hrojsman kündigt indessen an, dass künftig Tarife für Wohnnebenkosten inklusive Gaskosten quartalsmäßig gesenkt werden. Das Problem dabei: Nach jeder solchen Erklärung haben sich die Tarife gewöhnlich erhöht.

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