Westliche Medien nennen Alexei Arestowisch "Orakel von Kiew", weil er im Jahr 2019 den Einmarsch Russlands in der Ukraine vorhergesagt hatte. Nicht nur lag er bei Fristen und Frontverläufen annähernd richtig, sondern er benannte auch genau die russischen Kriegsgründe. Aus seiner Sicht war der groß angelegte Krieg unvermeidlich und für eine NATO-Perspektive der Ukraine keineswegs unerwünscht.
"Sie (die Russen) sollten es tun, bevor wir der NATO beitreten, damit wir für die NATO nicht interessant werden. Genauer gesagt, als zerstörtes Gebiet nicht interessant. Es besteht eine 99,9-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass unser Preis für den Beitritt zur NATO ein großer Krieg mit Russland ist", sagte er in einem Interview im März 2019.
Die Ukraine werde den Krieg dank westlicher Hilfen bis zum Einmarsch eines NATO-Kontingents hin nicht verlieren, war der Experte damals sicher gewesen. Kurz vor dem Einmarsch war der damalige Militäraufklärer zum Berater des Büroleiters des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij aufgestiegen und hatte seine Medienpräsenz als selbst ernannter "Informationskrieger" umfassend aufgebaut.
Nachdem er eine ukrainische Luftabwehrrakete als möglichen Grund für den Einsturz eines Hochhauses in Dnjepropetrowsk ins Spiel gebracht hatte, musste er sein Amt räumen. Seitdem kritisiert der Ex-Berater immer öfter scharf die ukrainischen Verhältnisse, die er auch als Hinderungsgrund für einen Sieg der Ukraine anprangert.
"Im achtzehnten Monat (des Krieges) muss ich feststellen, dass wir falsch kämpfen", schrieb Arestowitsch am Mittwoch auf seinem Telegram-Kanal. "Weder die Eliten noch das Volk wollen verstehen, in welch einem Zeitstrudel wir uns befinden."
"Wir brauchen eine dramatische Intensivierung von allem – Sinn, Produktion, Wirtschaft, Moral. Stattdessen besteht der Hauptfaktor darin, zu stehlen und (das Gestohlene) zu verstecken", prangert Arestowitsch Korruption und Luxusgewohnheiten seiner Landsleute an.
Sein weiteres Thema sind Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten, die in der Ukraine im Unterschied zum "tyrannischen Russland" nicht mehr gegeben seien.
"Es ist unmöglich, weder uns selbst noch anderen zu erklären, warum ein Land, das für 'Freiheit gegen Tyrannei' kämpft, seine Bürger nicht ins Ausland gehen lässt, während die Tyrannei es tut."
Sein nächstes Argument klingt schon ganz bitter, vor allem im Hinblick auf Heldensagen der deutschen Medien über tapfere Ukrainer, die ihr Land aufopferungsvoll gegen die "östlichen Barbaren" verteidigen:
"Es ist unmöglich, sich selbst oder anderen zu erklären, warum in der Tyrannei der Zustrom zu den Rekrutierungszentren gleichmäßig ist, während in der 'Freiheit' die Mitarbeiter der Rekrutierungszentren die Bürger auf der Straße ergreifen und sie zur Armee zwingen müssen."
RT DE berichtete mehrfach über zahlreiche Fälle gewaltsamer Rekrutierungsmaßnahmen in der Ukraine. In diesem Video, das im Februar aufgenommen worden war, versuchen die Rekrutierungsbeamten, einen Mann auf einem Fußgängerüberweg in Odessa festzunehmen:
Es sei auch unmöglich, irgendjemandem zu erklären, warum die "Tyrannei" im Index der wirtschaftlichen Freiheiten auf Platz 92 und die "Freiheit" auf Platz 127 steht (Daten von 2021), polemisiert Arestowisch. An dieser Stelle lässt er die Russland-Vergleiche und führt ein anderes kriegführendes Land als Beispiel an – Israel. Auch diesem komme es "im Verlauf eines schrecklichen Krieges" nicht in den Sinn, seine Grenzen zu schließen.
"Der israelische Vorsitzende des zuständigen Knesset-Ausschusses sagt nicht, dass die israelische Wirtschaft eine Gans ist, die gerupft werden muss", so Arestowitsch weiter.
Im Mai 2022 hatte der Vorsitzende des Rada-Komitees für Zoll-, Finanz- und Steuerpolitik Daniil Getmanzew die ukrainische Geschäftsleute als "Gänse, die gerupft werden müssen, damit sie nicht schreien" bezeichnet. Diese Skandal-Aussage hat Arestowisch offenbar nicht vergessen. Dann legte der Ex-Berater wieder den Finger in die Wunde der Zwangsrekrutierung:
"Israelische Wehrpflichtige werden nicht auf dem Sammelplatz mit der Pistole geschlagen oder ihnen wird versprochen, dass sie im nächsten Gebüsch erschossen werden, wenn sie nicht in die Armee eintreten."
Am Ende seines Plädoyers ließ der Experte wenig Raum für Hoffnung:
"Inzwischen haben wir zwei Fronten im Kampf gegen die Tyrannei – eine äußere und eine innere. Und wir sind dabei, darin zu ertrinken."
In einem Interview mit der Berliner Zeitung, das am 7. Oktober geführt und am Donnerstag veröffentlicht wurde, teilte Arestowitsch mit, dass er sich um einen Sitz im Parlament und das Präsidentenamt bewerben werde – sollten die nächsten Wahlen wirklich stattfinden. Im Gespräch sagte er, dass er vor Kurzem drei Wochen in den USA verbracht hatte. Dort habe er viele Gespräche über Waffenlieferungen geführt. Der Ex-Berater prangerte die Korruption im Land aufs Schärfste an und machte dafür Selenskij verantwortlich.
"Wir brauchen wirklich Wahlen. Die Leute müssen sich entscheiden: Brauchen sie wirklich diesen Kerl, oder brauchen sie einen anderen?", sagte der "Präsidentschaftskandidat" Arestowisch zum Schluss.
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