Ungarns Außenminister: Die Zerstörung von Nord Stream war ein Angriff auf die Souveränität Europas

In einem umfangreichen Interview mit dem chinesischen Auslandssender CGNT sprach Péter Szijjártó über die Vorteile der guten ungarisch-chinesischen Beziehungen, die Möglichkeit für Frieden in der Ukraine und über Energiesicherheit als Voraussetzung für nationale Souveränität.

Es war der bereits dritte China-Besuch des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó vergangene Woche. In dem ausführlichen Interview, das er dem Sender CGNT gab, sprach sich Szijjártó für mehr Multilateralismus und gegen die Aufteilung der Welt in Blöcke aus, gegen die westliche Kriegsrhetorik und für diplomatische Initiativen und die Wahrung der nationalen Souveränität.

Szijjártó lobte eingehend die chinesisch-ungarischen Beziehungen. Die COVID-19-Pandemie habe gezeigt, dass man sich in schwierigen Zeiten aufeinander verlassen könne. Während die Europäische Kommission nicht in der Lage gewesen sei, rechtzeitig für die Versorgung der Mitgliedsstaaten mit Impfstoffen zu sorgen, habe China seinen Xenopharm-Impfstoff zur Verfügung gestellt. Dies habe geholfen, die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 zu verringern.

China als Partner, der Osten als Chance

Auch heute profitiere die ungarische Wirtschaft von China und dem Abkommen über den Ausbau dieser Beziehungen zu einer strategischen Zusammenarbeit, so Szijjártó. Chinesische Unternehmen wie der Hersteller für Lithium-Ionen-Akkus CATL investierten viel Geld in die Verlagerung ihrer europäischen Kapazitäten nach Ungarn.

China als Risiko oder als Bedrohung zu begreifen, habe man in Ungarn stets abgelehnt, bekräftigte Szijjártó. Von einer "Entkopplung" könne daher keine Rede sein. Vielmehr sehe man China als Partner und ein Land, das enorme Möglichkeiten für eine beidseitig vorteilhafte Zusammenarbeit biete.

In dem Zusammenhang erinnerte Szijjártó daran, dass der Anteil Chinas am globalen Bruttoinlandsprodukt mittlerweile höher ist als jener der EU. Die chinesischen Investitionen in Ungarn hätten bereits Arbeitsplätze geschaffen und moderne Spitzentechnologie ins Land gebracht.

"Wir sind absolut dagegen, die Welt wieder in Blöcke aufzuteilen."

Ukraine-Krieg stört Ost-West-Verbindungen

Diese Perspektive Ungarns sei eine Lehre aus der Geschichte des Landes. Als mitteleuropäisches Land sei Ungarn bei Konflikten zwischen West und Ost bislang jedes Mal der Verlierer gewesen. "Wenn man sich dazwischen befindet, kann man kein Gewinner sein", resümierte Szijjártó. Deshalb dränge man in den internationalen Beziehungen zwischen West und Ost auf Verbundenheit und man setze sich stets für die eurasische Zusammenarbeit ein.

Durch den andauernden Krieg in der Ukraine werde diese Zusammenarbeit jedoch gestört, und man bedauere, dass die Ost-West-Verbindungen immer weiter gekappt würden, so Szijjártó. Auch wenn Ungarn Mitglied in den westlichen Bündnissen NATO und EU sei, müsse man dem Osten die Hand reichen. Für Ungarn sei früher bereits klar gewesen, dass sich Ost und West in einem Gleichgewicht befinden werden. Das Land habe deshalb großen Wert auf den Aufbau der Beziehungen zu China, Japan und Korea sowie auf die Unterstützung der Neue-Seidenstraße-Initiative gelegt.

Ausschluss Russlands aus Europa ist Illusion

Das größte Problem für einen möglichen Frieden in der Ukraine ist laut Szijjártó die extrem laute Kriegsrhetorik der transatlantischen Welt. Ein sofortiger Waffenstillstand böte hingegen die Möglichkeit, Friedensgespräche zu beginnen.

"Frieden ist immer ein Erfolg der Diplomatie. Wir sollten also Raum für Diplomatie schaffen."

Szijjártó lobte die chinesische Friedensinitiative. Friedensgespräche müssten in ein tragfähiges Friedensabkommen münden, das eine Grundlage für die künftige Sicherheitsarchitektur in Europa sein könnte, in die Russland einbezogen werden müsse. Russland aus der Zukunft Europas auszuschließen, sei eine Illusion, die niemals eintreten werde. Solange es aber Länder gebe, die glauben, dass dieser Krieg auf dem Schlachtfeld gelöst werden könne, werde dieses Vorhaben immer komplizierter.

Zur Rolle Ungarns als NATO-Mitglied sagte Szijjártó, dass Ungarn prinzipiell Befürworter der Erweiterung sei, sowohl der NATO als der Europäische Union. Eine Erweiterung habe aber Regeln zu folgen, und der Beitritt eines Kandidaten müsse die Sicherheit des Bündnisses erhöhen und nicht verringern. Da es auf keinen Fall zu einer direkten Konfrontation zwischen der NATO und Russland kommen dürfe, sei der Beitritt der Ukraine – zumindest für den Augenblick – ausgeschlossen.

Keine nationale Souveränität ohne sichere Energieversorgung 

Die Angriffe auf die russisch-deutschen Erdgasleitungen von Nord Stream 1 und 2 nannte Szijjártó einen Angriff auf die kritische Infrastruktur Europas. Die sichere Versorgung eines Landes mit Energie sei jedoch eine Frage der Souveränität.

Denn ein Land ohne sichere Energieversorgung sei nicht frei, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Damit sei der Angriff auf die Energieversorgung Europas auch ein Angriff auf die Souveränität Europas.

Die Tatsache, dass es keine umfassende, unvoreingenommene und unparteiische internationale Untersuchung der Anschläge auf Nord Stream gebe, sei ungeheuerlich, so Szijjártó, "ein Skandal".

"Wie ist es möglich, dass jemand kritische Infrastrukturen auf dem Gebiet Europas in die Luft jagt, und niemand meldet sich zu Wort, niemand verurteilt, niemand führt eine Untersuchung durch?"

Ungarn habe an der Stelle vorgesorgt. Bei seiner Versorgung mit Erdgas auf verlässliche Partner für die Lieferung und den Transit gesetzt und daher gemeinsam mit Russland, der Türkei, Bulgarien und Serbien die Erdgasleitung TurkStream gebaut. Trotz massiven Drucks habe man sich gegen die Ukraine als Transitland entschieden, was sich im Nachhinein als richtig erwiesen habe.

Den Erfolg Ungarns der letzten Jahre schreibt Szijjártó daher auch einer Politik der nationalen Interessen zu. Bei der Migrationskrise habe man nicht unbegrenzt Migranten nach Ungarn gelassen, bei der COVID-19-Pandemie habe man Impfstoffe aus dem Osten gekauft, und beim Ukraine-Krieg liefere man keine Waffen.

"Wenn man seine nationalen Interessen und seine strategischen Werte aufgibt, wenn man nicht bereit ist, dem Druck standzuhalten, wenn man nicht an seinem kulturellen Erbe, seiner Religion und seinen nationalen Besonderheiten festhält, dann ist man verloren."

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