Mehr als 45.000 illegale Einwanderer sind im vergangenen Jahr in kleinen Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien gelangt, wie die Regierung am Sonntag mitteilte.
Zuletzt hatten etwa zwei Boote am ersten Weihnachtsfeiertag 90 Menschen über den Ärmelkanal ins Vereinigte Königreich gebracht. Damit stieg die Gesamtzahl der Migranten, die im Jahr 2022 die Reise Richtung der Insel angetreten hatten, von 28.395 im Jahr 2021 auf 45.756. Vor dem Neujahrstag wurden keine weiteren Überfahrten registriert, teilte das Verteidigungsministerium weiter mit.
Seit Beginn des Anstiegs der Überfahrten über den Ärmelkanal im Jahr 2018 waren die meisten Einwanderer aus Iran, dem Irak und einer Reihe weiterer Länder des Nahen Ostens gekommen. Zuletzt war allerdings ein signifikanter Zuwachs an Migranten aus Albanien zu beobachten, einem Land, das von der britischen Regierung als "sicher" eingestuft wird. So entfielen allein von Mai bis September 2022 auf Menschen aus Albanien rund 42 Prozent aller registrierten Ankünfte.
Den offiziellen Angaben zufolge kamen in diesen fünf Monaten 11.102 albanische Staatsangehörige mit kleinen Booten über den Ärmelkanal an. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2021 waren es insgesamt 815 albanische Migranten gewesen, die es bis nach Großbritannien geschafft hatten. In den vergangenen drei Jahren waren nach offiziellen Angaben 95 Prozent von ihnen Männer.
Auf der Insel entbrannten heftige Diskussionen über das Asylsystem und die Migrationspolitik des Landes. Britische Medien berichteten unter anderem über kriminelle albanische Banden, die demnach die Flüchtlingslager in Nordfrankreich kontrollierten und die Männer zusammen mit irakisch-kurdischen Schmugglerbanden ins Land schleusten. Die illegal Eingereisten verdienten sich dann vor allem im Drogenmilieu das Geld auf der Insel.
Großbritannien gibt derzeit täglich 5,5 Millionen Pfund (6,6 Millionen US-Dollar) für die Unterbringung von Migranten in Hotels aus, obwohl Premierminister Rishi Sunak letzten Monat erklärt hatte, dass seine Regierung bald 10.000 Menschen in nicht mehr genutzte Ferienparks, Studentenwohnheime und überschüssige Militäranlagen einquartieren werde.
Sowohl Sunak als auch seine Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss haben versprochen, die Zahl der Menschen, die den Ärmelkanal überqueren, zu reduzieren, sind aber bisher an dieser Aufgabe gescheitert. Johnsons Innenministerin Priti Patel hatte im April ein Abkommen unterzeichnet, wonach Ruanda Migranten aus dem Vereinigten Königreich aufnehmen soll, solange ihre Asylanträge bearbeitet werden. Doch das Vorhaben ist umstritten. Menschenrechtsorganisationen leiteten rechtliche Schritte ein und stoppten diesen Plan vorläufig.
Obwohl der Oberste Gerichtshof die Regelung im Dezember für rechtmäßig erklärt hatte, sind die Rechtsmittel noch nicht ausgeschöpft. Bislang haben noch keine Flüge mit Migranten das Vereinigte Königreich verlassen. Gegenüber der britischen Zeitung Daily Mail weigerte sich ein Sprecher der Regierung letzten Monat zu sagen, ob es im Jahr 2023 zu Abschiebungen nach Ruanda kommen werde.
Erst jüngst hatte London auch ein Abkommen mit Paris unterzeichnet, nach dem Frankreich mehr finanzielle Mittel aus Großbritannien erhalten soll. Das Ziel ist die Aufstockung der französischen Sicherheitskräfte an der Nordküste des Landes, von wo aus die Schmugglerboote mit Migranten nach Großbritannien absetzten. Innenministerin Suella Braverman hatte im November erklärt, dass London Paris 72,2 Millionen Euro pro Jahr für verstärkte Grenzpatrouillen auf der anderen Seite des Ärmelkanals zahlen werde. In den letzten drei Jahren waren jedoch drei derartige Abkommen unterzeichnet worden, und die Zahl der Überfahrten hat dennoch jährlich zugenommen. Nach der Unterzeichnung des Abkommens mit Frankreich räumte Sunak allerdings ein, dass der Deal das Problem nicht "auf magische Weise" lösen werde.
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