Erste internationale Konferenz von "Freie Linke" in Prag – Berichte aus den Ländern

Auf der internationalen Konferenz der Freien Linken berichteten die Delegierten über die sozialen Bewegungen und Proteste in ihren Ländern. Sie analysierten die politische und wirtschaftliche Lage aus antikapitalistischer Perspektive und die Rolle linker Kräfte in den Protestbewegungen.

Anfang September fand in Prag das erste internationale Vernetzungstreffen von Freien Linken aus Europa statt, die sich explizit als linker Widerstand in den Protesten gegen die Coronapolitik engagieren. Die große Mehrheit parlamentarischer und außerparlamentarischer Linker hat sich dem Corona Narrativ der europäischen Regierungen und der Mainstream-Medien nicht nur angeschlossen, viele Linke haben aktiv dazu beigetragen, dass Menschen aus dem linken Spektrum keinerlei Kritik an Regierungsmaßnahmen jeglicher Art üben durften.

Den Coronamaßnahmen gegenüber offen kritische Linke wurden von ihren eigenen "Genossen" besonders diffamiert: Sie wurden von Menschen, mit denen sie zuvor persönlich und politisch eng verbunden waren, angeprangert, sich mit ihrer "coronakritischen" Haltung als Rechte oder zumindest als "rechts-offen" zu outen. Mit dieser Zuschreibung wurden sie aus ihren linken Zusammenhängen ausgeschlossen. Es ging so weit, dass man fast "automatisch" ein politisch Rechter war, wenn man nur wagte, die Coronamaßnahmen der Regierung infrage zu stellen.

In dieser Situation gab es in verschiedenen europäischen Ländern trotzdem linke Aktivisten, sowohl außerparlamentarisch als auch organisiert, die das ganze Pandemiegeschehen und die damit einhergehende Politik aus explizit linker Perspektive kritisierten. Sie ordneten die Corona-Angstpolitik in einen kapitalismuskritischen Kontext ein, mit einer besonderen Expertise über das Vorgehen des "Kapitals" in Krisen- und Aufstandssituationen.

Die Freien Linken wurden im Januar 2021 in Deutschland gegründet. Schnell weitete sich das Netzwerk auf Österreich, die Schweiz, die Niederlande, Luxemburg und Italien aus. Anfang September trafen sich Delegationen aus diesen Ländern und aus unterschiedlichen linken Strömungen zum ersten Mal persönlich. Auf der Konferenz gab es neben Vorträgen mit Analysen zur sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage aus linker Perspektive auch Berichte über die Entwicklung von Repression und Widerstand aus den einzelnen Ländern.

Die folgenden kurzen Länderberichte geben nicht die umfassende Darstellung und Diskussion der Konferenzteilnehmer über die politische Lage und den Protest in ihren Ländern wieder. Es handelt sich vielmehr um kurze Einblicke und Beispiele über die behandelten Themen und Aspekte der Landesdelegierten und die sich daraus ergebenden Diskussionspunkte.  

Berichte und Diskussionspunkte aus den Niederlanden

Der Politikwissenschaftler und Publizist Kees van der Pijl berichtete über die politische Situation und den Widerstand in den Niederlanden. Mittlerweile würden dort 67 Prozent der Bevölkerung den Massenprotest der niederländischen Bauern unterstützen. Dazu müsse man wissen, dass der US-Milliardär Bill Gates nicht nur in die Pharmaindustrie, sondern insbesondere auch in die niederländische Nahrungsmittelproduktion investiere.

Aus Sicht von Kees van der Pijl ist die Corona-Protestbewegung nur der Vorläufer dieser großen Widerstandsbewegung gewesen. Bei Corona-Protesten hätte es nur deshalb viel weniger Teilnehmer gegeben, weil die Mehrheit der Bevölkerung die Propaganda und Lügen hinsichtlich der COVID-19-Pandemie nicht durchschaut habe – im Gegensatz zu den Lügen bezüglich der Enteignungen der Bauern. Solche politischen Betrugsstrategien hätte Antonio Gramsci in den Dreißigerjahren in seinen Arbeiten über "Corruption and Fraud" (Korruption und Betrug) beschrieben.

Gegen die massenhaften Enteignungen der Bauern würde die niederländische Bevölkerung sich seiner Meinung nach jetzt wehren, weil sie den Betrug leichter erkennen könne. Gleichzeitig würden die Bauernproteste die anderen Bewegungen einsammeln und integrieren, weshalb sich der Widerstand zu einem Massenphänomen ausgeweitet hätte. Integriert worden seien hier auch die Protestbewegungen gegen die Coronamaßnahmen und gegen die Steigerung der Lebenshaltungskosten. Allerdings wäre die Bauernschaft eher konservativ und bürgerlich und stände linkem Aktivismus eher kritisch gegenüber.

Kees van der Pijl habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass sich die bürgerlichen Widerstandskreise für kapitalismuskritische Expertise öffneten, wenn es um fundierte Analysen und Beiträge linker Intellektueller zur politischen und gesellschaftlichen Gesamtsituation ginge.

Neben dem Versagen des größten Teils der traditionellen Linken in der aktuellen Situation bedauerte Kees van der Pijl während der Coronakrise ganz besonders die unerwartete Akzeptanz des gewalttätigen niederländischen Repressionsapparats und der Polizeibrutalität in seinem Heimatland. Bislang waren die Niederländer immer für ihren besonders entspannten und friedfertigen gesellschaftlichen Umgang bekannt gewesen, während der Coronakrise habe eine Aggressivität seitens der Behörden, aber auch innerhalb der Bevölkerung eine gesellschaftliche Zustimmung erfahren, mit der er niemals gerechnet habe.

Seiner Meinung nach hat die Regierung in einem Prozess in Richtung Faschismus mittels Coronamaßnahmen und verhängten Strafen ausprobiert, wieweit sie bei der Repression der Bevölkerung gehen kann.

Aktuell würde der Staat in niederländischen Städten, in denen sich Protestzentren gebildet hätten, ganz gezielt auch Migrationszentren aufbauen. Damit würde die Regierung eventuell versuchen, einen Zusammenstoß zwischen den eher konservativen Bauern und deren Unterstützern und den Migrationsbewegungen und deren Unterstützern zu provozieren.

Berichte und Diskussionspunkte aus Italien

Aus Italien berichteten Vertreter der "Assemblea Militante" (Militante Versammlung). Dieses Netzwerk habe seinen Ursprung zwar auch im Widerstand gegen die Coronamaßnahmen, der Widerstand würde aber inhaltlich weit darüber hinausgehen. Die italienischen Freien Linken schätzten die Politik ebenfalls so ein, dass es mitnichten um die Eindämmung eines mutmaßlich gefährlichen Virus geht. Stattdessen ginge es um soziale Kontrolle und Machtinteressen des Kapitals.

Mit dieser Intension hätten die Herrschenden den Notstand ausgerufen und versuchten, den "Green Pass" als zentrales Element digitaler Kontrolle einzuführen. Der Gesundheitspass diene in Wirklichkeit der Kontrolle des individuellen persönlichen Lebens, so ein Vertreter der "Asamblea Militante". Dabei würde en passant auch die persönliche Gesundheitsbehandlung durch ein digitales Behandlungssystem ersetzt werden. Insgesamt sei es die Meinung der Freien italienischen Linken, dass die Machtelite versuche, die seit der Finanzkrise ausgelöste Krise des Kapitalismus zu lösen, indem sie mittels IT- und Pharmaindustrie jeden Lebensbereich der kapitalistischen Verwertung unterordne.

Die Antwort auf die Frage, ob es diesen Kräften auch gelänge, ihre Agenda durchzusetzen, blieb offen. Denn obwohl der Widerstand weltweit in der Minderheit sei, konnte dennoch verhältnismäßig viel erreicht werden. Der italienische Aktivist bezog sich hier auch auf die Massenproteste in Kanada und Indien. Weltweit und auch in Europa seien einige Regierungen angesichts der Proteste hinsichtlich Impfpflicht und Impfpass bereits eingeknickt.

Für die herrschende Elite sei es zudem nicht so einfach, die Virusangst aufrechtzuerhalten. Inzwischen sei Putin als neues Feindbild installiert worden. Dabei würden die Sanktionsmaßnahmen gegenüber Russland ebenso der Machtverteidigung westlicher Finanzeliten dienen, wie die Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie weltweit. Verkürzt gesagt, ginge es im Ukrainekrieg auch um die Kontrolle der Produktionsmittel der BRICS-Staaten. Es handele sich bei dem Krieg um die Krisenreaktion des Kapitals, das jetzt nach allen Produktionsmitteln greife.

Die italienische Arbeiterschaft war im Vergleich zu anderen EU-Ländern ganz besonders von staatlicher Repression und Coronamaßnahmen betroffen. Ungeimpfte Menschen wurden vielfach nicht zur Arbeit gelassen, ihnen wurden monatelang keinerlei Einkommen ausgezahlt. Dagegen engagierten sich, auch einzigartig in Italien, die Gewerkschafter der italienischen Basisgewerkschaft SOL Cobas. Diese Gewerkschaft kämpfte im Gegensatz zu allen großen europäischen Gewerkschaften aufseiten der Maßnahmenkritiker für den Erhalt des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper und gegen die Diskriminierung Ungeimpfter. Als ausdrücklich linke, antikapitalistische Organisation, die die Regierungsmaßnahmen und die Motive der Pharmaindustrie anprangerte, gehört SOL Cobas zu den revolutionären Basisgewerkschaften, die das kapitalistische Wirtschaftssystem überwinden wollen.

Berichte und Diskussionspunkte aus Österreich

Österreichs Widerstand unterschied sich insofern, so ein Vertreter der Freien Linken aus dem Alpenland, als es dem Widerstand dort gelang, die im Januar 2022 eingeführte Impfpflicht für alle Erwachsenen wieder abzuschaffen. Zeitweilig beteiligten sich im vergangenen Winter in Wien an jedem Wochenende 100.000 Menschen an den Protestdemonstrationen gegen die Impfpflicht. In Graz und Linz und vielen anderen österreichischen Städten waren die Proteste entsprechend groß ausgefallen. Insgesamt handelte es sich um die größte Widerstandsbewegung, die Österreich je erlebt habe.

In dem Alpenland hätte es bei den Protestaktionen viel weniger polizeiliche Repressionen gegeben und es sei wesentlich friedlicher als in anderen europäischen Ländern zugegangen. Womöglich hat die FPÖ in der Opposition als parlamentarische Schutzmacht fungiert, merkte der österreichische Delegierte an. Zudem sei die österreichische Politikerkaste in den vergangenen Jahren sehr stark mit sich selbst beschäftigt gewesen.

Jedenfalls gebe es einen großen strategischen Vorteil für den Widerstand in Österreich: Immens viele Menschen aus einem zuvor eher unpolitischen kleinbürgerlichen Milieu hätten gleich bei ihrem ersten politischen Kampf einen so offensichtlichen Erfolg gehabt, das würde die außerparlamentarische Opposition ungemein stärken.

Andererseits gäbe es politische Entwicklungen, die die völlige Unberechenbarkeit der international herrschenden Klassen belegten. So würden die NATO-Waffentransporte durch ein theoretisch neutrales Österreich gelenkt, während das NATO-Mitgliedsland Ungarn die Waffentransporte in die Ukraine nicht durchließe.

Die Freie Linke hätte es in Österreich insofern schwer, weil alle relevanten kritischen Magazine in rechter Hand seien und sogar das Gerücht gestreut wurde, "COVID wäre ein kommunistisches Projekt". Dennoch versuchten die Freien Linken ihre Analysen und Strategie-Ideen in die Bewegung einzubringen. Um die zunehmend kritischeren Stimmen in der eigenen Wählerschaft nicht zu verlieren, hätte die österreichische Sozialdemokratie jetzt damit begonnen, eine Scheinopposition aufzubauen – allerdings ging es dabei nur um die Verteuerung der Lebenshaltungskosten. Aktuell ist die österreichische Freie Linke dabei, eine Partei zu gründen. Zudem soll es auch eine linke Partei geben, die sich gegen die Coronapolitik und gegen die Maßnahmen engagiert.

Berichte und Diskussionspunkte aus Luxemburg

Für die Freie Linke Luxemburg berichtete der langjährige Kommunist Jean Marie Jacoby. Vor seinem Engagement gegen die Coronamaßnahmen, war er gewählter Vorstand der Sektion Zentrum der Kommunistischen Partei Luxemburgs (KPL). Nachdem seine Mitwirkung in der "Corona-Widerstandsbewegung" publik wurde, entzog ihm die KPL das Amt und drängte ihn aus der Partei.

Dennoch sorgte er als in Luxemburg bekannter Linker mit seiner Präsenz in der Protestorganisation "Saturdays für Liberty" (Samstage für die Freiheit) dafür, dass der Protest in dem kleinen Land medial nicht so einfach als rechts abgewertet werden konnte. Nachdem er auf Demos in weißer Mütze mit rotem Stern aufgetreten war, der Kopfbedeckung der kubanischen Marine, habe in Luxemburg das "Rechts-Framing" aufgehört.

In Luxemburg habe der Widerstand in Spitzenzeiten 6000 Menschen während der Samstagsdemonstrationen in der Hauptstadt mobilisiert. Man sei von Anfang an systemkritisch aufgetreten. Die Protestbewegung habe sich unter dem Motto "Das internationale Finanzkapital, das die Macht an sich gerissen hat, muss weg" vereint. Aus dem Widerstand gegen die Coronapolitik werde gerade die Partei "Mir d'Vullek" (Wir, das Volk) gegründet. Auf die Frage nach der politischen Einordnung dieser Partei bezeichnete Jean Marie Jacoby sie als "Volksfront". Zentrale Forderung der Widerstandsbewegung und der neuen Partei sei die direkte Demokratie in Politik und Wirtschaft. Der Kommunist schätzte, dass in Luxemburg das Widerstandspotential inzwischen rund 20 Prozent der Bevölkerung umfasst. Die meisten würden bisher aus Angst, sich auf der Straße zu zeigen, nur die Faust in der Tasche ballen.

Berichte und Diskussionspunkte aus Deutschland

Aus Deutschland waren Freie Linke aus mehreren Städten angereist. Sie berichteten über die Coronapolitik und die Protestentwicklung gegen die Coronamaßnahmen hierzulande. Dabei erklärten sie auch, wie sich die Proteste von großen zentralen Demonstrationen hin zu dezentralen Montagsdemos in circa 2000 Städten entwickelt hatten. Einen Diskussionsschwerpunkt bildeten die politischen Unterschiede der Widerstandsbewegungen in den westlichen und östlichen Bundesländern.

Freie Linke aus Ostdeutschland konstatierten, dass es kaum Literatur gibt, in der das sozialistische System der DDR konstruktiv aufgearbeitet worden sei. Eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Sozialismus hätte nach Meinung einiger deutscher Teilnehmer eine entscheidende Bedeutung für die Ausrichtung des linken Engagements in Deutschland. Ein Freier Linker stellte diesbezüglich fest, dass in Sachsen schon vor der Wende von Geheimdiensten ein rechtes Netzwerk aufgebaut worden sei. Es sei beabsichtigt worden, politischen Aktivismus nach der Wende auf den Kampf gegen rechts zu konzentrieren.

Mittlerweile würde es auch den rechten Aktivsten im deutschen Corona-Widerstand deutlich, so ein Freier Linker, dass "sie nicht allein auf dem rechten Flügel schwimmen könnten". Außerdem müsse man zur Einordnung der Unterschiede zwischen den Protesten im Osten und im Westen berücksichtigen, dass die AfD in Ostdeutschland linker sei, als die AfD in Westdeutschland. Weiterhin sei es aber auch in Deutschland so, dass ein Großteil der Protestbewegung sich gegen eine politische Einordnung verwehre, man sähe sich als allgemeine APO-Bewegung (außerparlamentarische Opposition).

Nächste Konferenz der internationalen Freien Linken im Frühjahr 2023

Anhand der Berichte über die Proteste in den einzelnen Ländern und der jeweiligen Rolle der Freien Linken im Widerstand diskutierten die linken Aktivisten über die politische und wirtschaftliche Lage. Die Konzepte des internationalen Kapitals im Krieg gegen die Weltbevölkerung und Einschätzungen über die Erfolgsaussichten des Widerstands wurden analysiert.

Am Ende dieser ersten internationalen Konferenz beschlossen die Teilnehmer, eine weitere internationale Vernetzung linker Kräfte im Widerstand zu intensivieren. Für das kommende Frühjahr ist schon eine zweite Konferenz geplant. Bis dahin möchte man Freie Linke aus weiteren Ländern und Netzwerken dafür gewinnen, an der Konferenz teilzunehmen. Der Austausch und die Vernetzung über Strategien, Aufgaben und Rollen linker Kräfte in der wachsenden sozialen Protestbewegung soll international ausgeweitet werden.

Teil 1 finden Sie hier.

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