Energiekrise trifft Österreich: Immer mehr Menschen rutschen in Armut und Obdachlosigkeit

Österreichs Sozialverbände rechnen angesichts der hohen Inflation mit einem Anstieg der Wohnungs- und Obdachlosenzahlen. Betroffen seien auch immer mehr Familien mit Kindern. Staatliche Hilfsprogramme sollen Abhilfe schaffen.

In Österreich gibt es derzeit rund 23.000 Obdachlose. Ein Problem, das sich durch die hohen Energiepreise und steigenden Mieten allerdings weiter vergrößern könnte. Das betont Elisabeth Hammer, Obfrau der BAWO – der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe – und zugleich Geschäftsführerin der Wiener Sozialorganisation "neunerhaus", die obdachlose und armutsgefährdete Menschen unterstützt, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur APA: "Die Dynamik dieser Teuerungswelle hat auch mich überrascht." Diese träfe nun auf ein weiteres Problem, die bereits zuvor schon nicht einfache Situation am Wohnungsmarkt.

Laut Hammer sei das Segment der günstigeren Wohnungen in Österreich zu klein. Genau dies werde durch die Inflation aber für zunehmend mehr Menschen relevant, da nun auch große Teile der "Mittelschicht" Probleme bekämen, ihre Mieten und ihre Energierechnungen zu bezahlen. "Es ist die Kombination aus steigenden Wohnkosten und stagnierenden Einkommen, die dazu führt, dass Menschen ihre Wohnungen verlieren oder keine leistbare Wohnung finden", erklärte Hammer. Daneben wächst bei vielen die Sorge, den Lebensmitteleinkauf nicht mehr bezahlen zu können. "Das setzt die Menschen unter Druck. Bereits während der Pandemie litten Armutsbetroffene unter besonderer psychischer Belastung, diese wird durch die Teuerung weiter befeuert."

"Die gestiegenen Preise nehmen den Menschen ein Stück ihrer Selbstbestimmung und das Gefühl, das eigene Leben im Griff zu haben. Und da sprechen wir noch gar nicht davon, dass die Teuerung im Fall des Falles existenziell bedrohlich sein kann." Dieser Punkt sei oftmals spätestens dann erreicht – so Hammer weiter –, wenn die Energie-Jahresabrechnung kommt. "Derzeit ist das der Punkt, wo es für viele Menschen nicht mehr weitergeht." Dann versuche das "neunerhaus" zu helfen. Den Fokus lege die Sozialorganisation dabei sowohl auf mittel- als auch längerfristige Unterstützung. Manchmal reiche eine Ratenzahlung, manchmal führe aber auch nichts am Umzug in eine günstigere Wohnung vorbei.

Noch verzeichneten die Sozialverbände laut Hammer lediglich eine geringe Steigerung der Obdachlosenzahlen. Das dürfte sich angesichts der Teuerungen in Zukunft aber bald ändern, weshalb Hilfsorganisationen mit steigenden Obdachlosenzahlen rechnen. "Wir wissen, die Welle kommt, aber sie ist noch nicht da." So habe bereits die Finanzkrise im Jahr 2008 dazu geführt, dass die Zahl der Obdachlosen in den darauffolgenden fünf Jahren um ein Drittel anstieg. Somit gäbe es keinen Grund, in der aktuellen Situation etwas anderes zu erwarten, mahnt Hammer. 

Der Umstand beunruhigt auch Alexander Maier, Leiter der Obdachlosenhilfe beim österreichischen Verein MUT: "In der Lebensmittelausgabe haben wir in den vergangenen Monaten ein Plus von 50 bis 60 Prozent verzeichnet. Im Bereich unserer Wohnhilfe, wo wir Notquartiere betreiben, haben wir 2022 bereits (nur bis August) 20 Prozent mehr Anfragen gegenüber 2021", sagte Maier der Kronen Zeitung. Vor allem einkommensschwachen Familien drohe im Winter der Verlust der Wohnung: "Wir merken, dass durch die Teuerung die Delogierungsrate steigt. Bedrückend ist, dass immer mehr Familien mit Kindern von Wohnungslosigkeit betroffen sind", erklärte Martin Einfalt, Leiter des "Haus Gunoldstraße" der Johanniter, einer Einrichtung für Wohnungslose.

Österreich erweitert Hilfspaket für Betroffene 

Angesichts der anhaltenden Teuerungen hat das österreichische Sozialministerium im März das Projekt "Wohnschirm" ins Leben gerufen. Das Projekt soll Menschen dabei unterstützen, ihre Wohnkosten bei Mietrückständen zu decken. Seit Programmstart sollen so 1.059 Haushalte vor einer drohenden Delogierung und Wohnungslosigkeit bewahrt worden sein. 934 Wohnungen konnten dabei gesichert werden, bei 125 Haushalten wurden Umzüge in eine leichter bezahlbare Wohnung ermöglicht und unterstützt. Bei 154 Familien konnte das Projekt sogar einen bereits feststehenden Räumungstermin verhindern. Nach Angaben Sozialminister Johannes Rauch hat der "Wohnschirm" bereits 2.408 Menschen unterstützt: 

"Obdachlosigkeit ist eine der schlimmsten Formen von Armut: Das Projekt 'Wohnschirm' sichert Wohnraum für die Betroffenen und ist somit ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen Armut und die starken Teuerungen derzeit. Wir konnten bisher schon über 2.400 Menschen mit dem 'Wohnschirm' schützen und beim Decken ihrer Wohnkosten unterstützen. Das Projekt greift also voll."

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