"Belebung der verlorenen Kunst" – Forscher und KI rekonstruieren das verborgene Gemälde van Goghs

Britische Forscher haben mit Hilfe moderner Technologie und künstlicher Intelligenz ein Gemälde von Vincent van Gogh wiederhergestellt. Vor 135 Jahren hatte der Künstler das Werk mit einem anderen Bild übermalt.

Vincent van Goghs "verstecktes" Porträt zweier halbnackter männlicher Ringer wurde von britischen Wissenschaftlern wieder zum Leben erweckt, meldete die Zeitung The Telegraph am 30. August. Der Künstler übermalte die Darstellung vor gut 135 Jahren mit einem anderen Motiv, das als "Stillleben mit Wiesenblumen und Rosen" bekannt ist. Nun weiß man, was sich hinter dem prächtigen Blumenstrauß versteckt. The Telegraph berichtet:

"Eine Röntgenaufnahme eines von van Goghs Blumengemälden in einem niederländischen Museum bestätigt die Existenz des Kunstwerks, auf das sich der niederländische Meister am 22. Januar 1886 als Student gegenüber seinem Bruder Theo bezog, als er ihm mitteilte: "Diese Woche habe ich ein großes Ding mit zwei nackten Torsi gemalt – zwei Ringer."

"Jetzt, 135 Jahre nach dem Übermalen der Leinwand, haben zwei britische Wissenschaftler in einem fünfmonatigen Projekt die frühere Komposition in Farbe und mit strukturierten 3D-Pinselstrichen nachgebildet."

An dem Projekt waren der Neurowissenschaftler Anthony Bourached, der Physiker George Cann sowie der Mathematiker Jesper Eriksson beteiligt. Sie brachten Röntgenstrahlen, künstliche Intelligenz und 3D-Druck zum Einsatz, so The Telegraph. Bourached, ein Spezialist für hochdimensionale Neurowissenschaften, der daran forscht, menschliches Verhalten durch KI zu modellieren, erklärte der Zeitung, dass die Forscher "einen Algorithmus geschaffen haben, um zu simulieren, wie das Originalgemälde ausgesehen haben könnte, indem sie van Goghs Pinselstriche in Hunderten von Gemälden analysierten". "Inwieweit es dem Originalgemälde ähnelt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, da die Informationen darüber nicht vorhanden sind", erklärte der Forscher allerdings.

Warum van Gogh seine Ringer übermalte, ist laut der Zeitung nicht bekannt. Entweder konnte er sich keine neue Leinwand leisten oder er war mit der Komposition unzufrieden.

Der Zeitung zufolge war der Maler im Jahr 1885 in Antwerpen angekommen und hatte sich im folgenden Jahr an der Kunstakademie eingeschrieben. Ein Teil des Kurses an der Akademie habe darin bestehen, Ringer zu malen, so die Zeitung.

Das Experiment der britischen Forscher sei der erste Versuch, einen "versteckten" van Gogh nachzubilden. Es wurde im Rahmen des Projekts "NeoMasters" durchgeführt. Wie The Telegraph berichtet, gehöre zu den früheren Experimenten der Briten ein übermaltes Picasso-Gemälde, das ebenfalls rekonstruiert wurde. "Mit potenziell Tausenden von Kunstwerken, die unter bestehenden Gemälden verborgen sind, hat die Wiederbelebung der verlorenen Kunst der Welt gerade erst begonnen'", zitiert die Zeitung aus einer Veröffentlichung auf der Webseite der Wisschenschaftler.

Erst vor Kurzem wurde ein weiteres unbekanntes Gemälde van Goghs entdeckt: Ein verstecktes Selbstporträt des Künstlers auf der Rückseite des Bildes "Kopf einer Bäuerin mit weißer Haube" wurde von Mitarbeitern der National Gallery of Scotland aufgestöbert.

Wie die Zeitung im Juli berichtete, wurde das Gemälde zufällig bei der Vorbereitung einer Ausstellung in Edinburgh gesichtet, als ein Röntgenbild der Leinwand gemacht wurde. Das Werk war unter Schichten von Klebstoff und Pappe versteckt. Auf seiner Webseite erklärt das Museum:

"Das verborgene Gemälde ist später entstanden als 'Kopf einer Bäuerin' und wurde wahrscheinlich während eines Schlüsselmoments in van Goghs Karriere gemalt, als er nach seinem Umzug nach Paris mit den Werken der französischen Impressionisten in Berührung kam. Diese Erfahrung hatte eine tiefgreifende Wirkung und war ein wesentlicher Grund dafür, dass er einen farbenfrohen und ausdrucksstarken Malstil annahm, der heute so sehr bewundert wird."

"Momente wie dieser sind unglaublich selten", sagte damals Professorin Frances Fowle, leitende Kuratorin für französische Kunst an den National Galleries of Scotland.

Die Mitarbeiter des Museums halten den Fund für eines von fünf experimentellen Selbstporträts, die van Gogh in den Jahren 1883 bis 1885 malte. Es zeigt den Künstler mit einem breitkrempigen Hut und einem Halstuch, seine rechte Gesichtshälfte liegt im Schatten.

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