Der ehemalige Labour-Chef Jeremy Corbyn ist von britischen Politikern und der Presse wegen seiner erst kürzlich geäußerten Kritik an der Entscheidung Großbritanniens, Militärhilfe an die Ukraine zu schicken, anstatt friedliche Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu suchen, als "alter Gauner" sowie "Schande" bezeichnet worden. Hintergrund der in Großbritannien entbrannten Hexenjagd gegen Corbyn ist ein Interview mit dem libanesischen Fernsehsender Al Mayadeen, in dem der ehemalige Labour-Vorsitzende erklärte, dass die Bereitstellung von Militärhilfen den Konflikt nur "verlängert und verschlimmert".
"Waffenlieferungen führen nicht zu einer Lösung. Es wird diesen Krieg nur verlängern und verschlimmern", sagte Corbyn und gab damit die Haltung Moskaus zur westlichen Militärhilfe für die Ukraine wieder. Anstatt den Frieden zu suchen, so der Abgeordnete aus Nord-Islington weiter, seien die Staats- und Regierungschefs der Welt auf "noch mehr Krieg und noch mehr Kriegstreiberei" aus:
"Dieser Krieg ist eine Katastrophe für das ukrainische Volk, für das russische Volk und für die Sicherheit der ganzen Welt, und deshalb muss mehr, viel mehr für den Frieden getan werden."
In dem Interview beklagte Corbyn außerdem die Tatsache, dass "Ukrainer sterben" und "russische Soldaten sterben", während er die NATO-Erweiterung als "größere Belastung und größeren Stress" verurteilte. "Ukrainer sterben und Ukrainer sind ins Exil gegangen, Tausende und Abertausende. Und russische Soldaten sterben, eingezogene junge russische Soldaten sterben." Deshalb müsse von der Weltgemeinschaft auch "mehr, viel mehr für den Frieden" getan werden.
Der britische Politiker schlug in diesem Zusammenhang vor, dass internationale Organisationen wie die Afrikanische Union in die Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine einbezogen werden sollten. Wenn die UNO nicht helfen könne, so Corbyn, dann sollte die Afrikanische Union oder die Arabische Liga vermitteln, da sie "kein direktes wirtschaftliches Interesse haben, so oder so". Eine Beendigung des Krieges würde es auch ermöglichen, fuhr der ehemalige Labour-Chef abschließend fort, dass wieder mehr russisches Gas nach Europa strömt. Mit Blick auf den sich anbahnenden Gasmangel im Westen fügte er hinzu, dass Länder wie Deutschland ohne dieses Gas "nicht überleben" könnten.
Aussagen, die dem britischen Polit-Establishment offenbar bitter aufstießen. So bezeichnete der Tory-Abgeordnete Alexander Stafford die Haltung des ehemaligen Labour-Chefs unter anderem als schändlich. "Diese Äußerungen sind eine absolute Schande und zeugen von der schlimmsten Art der Beschwichtigung", sagte er der Daily Mail. Die Geschichte habe deutlich gezeigt, "dass der einzige Weg, Despoten davon abzuhalten, Unschuldige anzugreifen, darin besteht, Stärke zu zeigen", so Stafford.
Auch Tobias Ellwood, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und ehemaliger Verteidigungsminister des Vereinigten Königreichs, kritisierte die Ansichten Corbyns scharf. Gegenüber der britischen Zeitung The Telegraph erklärte er:
"Corbyn versteht nicht, dass die geopolitischen Folgen der Unterstützung der Demokratie gelegentlich den Einsatz harter Gewalt erfordern."
Der ehemalige Labour-Abgeordnete Mike Gapes bezichtigte Corbyn auf Twitter gar, ein Agent des "russischen Imperialismus" zu sein. "Genau richtig. Corbyn und seine Sekte wollen, dass Putin gewinnt. Sie sind in der Tat Agenten des russischen Imperialismus. "
An der Verleumdungs- und Hetzkampagne gegen den ehemaligen Labour-Chef sind allerdings nicht nur Vertreter des britischen Polit-Establishments beteiligt. Auch die englische Boulevard-Presse nutzte Corbyns Interview als Vorwand, um den bei der Bevölkerung laut Umfragen beliebten Politiker in ein schlechtes Licht zu rücken und zu diskreditieren. Corbyn habe das Interview einem libanesischen Fernsehsender gegeben, "der das prorussische Assad-Regime in Syrien und die von Iran unterstützte Terrorgruppe Hisbollah unterstützt", beginnt ein Artikel des Boulevard-Blatts Daily Mail:
"Das ist genau die Art von Sender, die der alte Gauner zu bevorzugen pflegt."
Angesichts Corbyns Ansicht, friedliche Verhandlungen mit Wladimir Putin zu suchen, statt "Waffen in die Ukraine zu liefern", sollte Großbritannien "dankbar sein", so die Daily Mail weiter, "dass Jeremy Corbyn vor fast drei Jahren von den Wählern abgewählt wurde. Wäre er in Nr. 10 (Verweis auf die Residenz des britischen Premierministers in der Downing Street Nr. 10 in London, Anm. d. Red.) gewesen, würde Wladimir Putin vielleicht nicht nur die gesamte Ukraine besetzen, sondern auch Osteuropa bedrohen."
Zwar würde in den Aussagen des "alten Marxisten" auch ein "Fünkchen Sinn" stecken, schreibt der Autor des Daily Mail-Artikels weiter. Allerdings müsse man "tief graben, um diesen zu finden, und sich dabei durch eine Menge antiwestlichen Unsinn, prorussische Sympathien und feuchtes Denken wühlen". Auch die COVID-19-Pandemie brachte das Boulevardblatt ins Spiel:
"Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass eine Corbyn-Regierung aus der Pandemie ein Schweineohr gemacht hätte. Ich bezweifle sehr, dass wir mit Jeremys zittriger Hand am Ruder den Impfstoff eingeführt hätten, bevor die EU die Kurve gekriegt hätte. Dann wären wir wahrscheinlich immer noch in der Abriegelung gefangen."
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