"Wir durften kein Russisch sprechen": Wie Polizisten in Mariupol nach der Befreiung arbeiten

Sie leisten nun Dienst für einen anderen Staat – die Polizisten der Stadt Mariupol in der Donezker Volksrepublik. Wie ihnen das gelingt und welche Erinnerung sie an die Ukraine haben, davon erzählen RT-Korrespondenten, die die Polizei bei deren Arbeit begleitet haben.

Die Menschen im befreiten Mariupol kehren ins zivile Leben zurück: Beschädigte Häuser werden repariert; Krankenhäuser, Schulen und kommunale Einrichtungen – einschließlich der Polizei-Dienststellen – werden wiedereröffnet. Auch viele ukrainische Polizisten sind unter der Leitung des Innenministeriums der Donezker Volksrepublik (DVR) an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt. RT sprach mit mehreren Mitgliedern der Polizeibehörde des Bezirks Primorskij von Mariupol, um herauszufinden, was sich seit der Befreiung der Stadt in deren Arbeit verändert hat.

Neben anderen Dienststellen hat auch die Polizei von Primorskij ihre Arbeit wiederaufgenommen. Die Beamten haben noch nicht einmal ein eigenes Gebäude, weil das alte während des Beschusses schwer beschädigt wurde. Es gibt keine Computer mehr. Die Polizeibeamten befinden sich in der Lobby eines nahe gelegenen Hotels und direkt auf der Veranda, wo sie die Beschwerden von Bürgern entgegennehmen.

Tatjana Klus, die 20 Jahre lang in der Polizeistation von Mariupol gearbeitet hat, zeigt das beschädigte Gebäude: zerbrochene Fenster und klaffende Löcher in den Wänden.

Polizeistation Mariupol

"Seit März war das Asow-Bataillon in dem Gebäude stationiert, sodass dieses Gebäude gestürmt und mit Granaten beschossen wurde. Jetzt kann es kaum wiederhergestellt werden", seufzt die RT-Gesprächspartnerin.

Neben der Polizeiwache befand sich das Hauptquartier des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU, aus dem jedoch alle Mitarbeiter evakuiert wurden, als die militärische Sonderoperation begann, und das bis vor Kurzem leer stand. Jetzt hat sich hier ein Krankenhaus des Innenministeriums der Donezker Volksrepublik einquartiert.

Tatjana erinnert sich, wie die ukrainischen Behörden ihr und anderen Polizeibeamten noch vor der Befreiung von Mariupol rieten, die Stadt zu verlassen, und sie einschüchterten. Doch die Frau und ihr Mann wollten ihre Heimatstadt nicht verlassen. Sie sagt:

"Uns wurde gesagt, dass wir als Strafverfolgungsbeamte in eine Art Datenbank aufgenommen würden und dass wir angeblich alle verhaftet werden könnten, weil wir die Donezker Volksrepublik nicht unterstützen. Oder sie würden uns die Kehle durchschneiden – so lauteten die Gerüchte."

Die Zweifel wurden zerstreut, als Fachleute des DVR-Innenministeriums, die in der Stadt eingetroffen waren, die ehemaligen ukrainischen Polizisten zu einem Treffen einluden. Tatjana zufolge wurden sie sehr gut aufgenommen und es wurde ihnen angeboten, wieder beim Polizeidienst einzusteigen. Die Frau stimmte zu.

"All die Schreckensmythen, mit denen sie uns jahrelang Angst eingejagt hatten – über das Gefängnis, über das Aufschlitzen unserer Kehlen –, all das wurde sofort zerstreut. Wir wurden weder strafrechtlich belangt noch in irgendeiner Weise gefoltert. Wir sind freiwillig hierhergekommen. Ich möchte hier weiterarbeiten, um den Einwohnern von Mariupol bei der Verbrechensbekämpfung zu helfen", erklärt Tatjana.

"Die russische Sprache wurde verboten"

Tatjana Klus sagt gegenüber RT, dass die Situation in der Stadt in den letzten acht Jahren angespannt gewesen sei – die Menschen, einschließlich der Angestellten der städtischen Einrichtungen, seien beispielsweise gezwungen gewesen, nur Ukrainisch zu sprechen. Alle Unterlagen seien auf Ukrainisch erstellt worden, was den russischsprachigen Einwohnern von Mariupol große Schwierigkeiten bereitet habe, beklagt sie.

"Uns wurde verboten, Russisch zu sprechen, obwohl wir eine russischsprachige Region sind", sagt Tatjana empört.

"Unsere Mütter haben mit uns Russisch gesprochen. Aber wir mussten auch mit den Bürgern auf Ukrainisch kommunizieren, Sitzungen abhalten und Interviews geben – ausschließlich auf Ukrainisch. Es war sehr hart."

Ein ehemaliger Mitarbeiter derselben Abteilung in Primorskij, Alexei Turbin, beschwerte sich gegenüber RT ebenfalls über die Zwangsukrainisierung. Aufgrund der Situation in der Ukraine und insbesondere des Verbots der russischen Sprache verließ er 2017 nach fast 20 Dienstjahren den Polizeidienst. Nach der Befreiung der Stadt wollte Alexei zu seinem alten Posten zurückkehren.

Ihm zufolge haben viele ukrainische Polizeibeamten dasselbe getan. Jetzt ist etwa die Hälfte der Polizeibeamten in seiner Abteilung aus Donezk und Makejewka abgeordnet, der Rest sind Alexeis ehemalige Kollegen aus Mariupol.

"Ich habe acht Jahre lang nicht mehr bei der Polizei gearbeitet, und es mag zwar lächerlich klingen, aber ich habe mich am 23. Februar dieses Jahres entschlossen zurückzukehren (ein Tag vor Beginn der russischen Militäroperation – Anm. der Red.). Viele Rentner kommen jetzt zurück, am 15. Mai gab es eine Aufstellung – es gab eine nicht enden wollende Umarmung, die eine halbe Stunde gedauert hat, weil man Leute trifft, die man seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen und mit denen man früher gearbeitet hat. Es war schön zu sehen, dass alle am Leben sind und es ihnen gut geht."

"Verstehen Sie, im Herzen sind wir alle Polizisten (der Gesprächspartner nutzt das früher übliche Wort 'Milizionäre' – Anm. der Red.), es ist die gleiche Schule. Wenn man sich umschaut, sind wir alle Bekannte und Freunde. Da die Welt der Polizisten sehr klein ist, kennen sich alle untereinander. Acht Jahre lang waren wir getrennt. Und jetzt wird alles wiederhergestellt", freut sich Turbin.

Plünderer und die Suche nach den Vermissten

Alexei Turbin berichtet gegenüber RT, man werde jetzt hauptsächlich von Menschen um Hilfe gebeten, deren Wohnungen von Plünderern ausgeraubt wurden – viele Häuser in der Stadt seien während des Beschusses beschädigt worden. Fenster und Türen seien zerbrochen, sodass es freien Zugang zu den Räumlichkeiten gegeben habe.

"Soweit möglich, sammeln wir Dokumente für die nummerierten Gegenstände und suchen nach ihnen. Wir suchen auch nach gestohlenen Autos", sagt der RT-Gesprächspartner. "Auch Verwandte, Freunde und Bekannte von vermissten Personen melden sich bei uns. Im Ganzen befasst sich das Katastrophenministerium mit dieser Aufgabe, aber wir leisten den Bürgern Rechtshilfe."

Der Korrespondent von RT begleitete Polizeibeamte bei einem dieser Ausflüge. Auf dem Weg dorthin kommen wir an vielen beschädigten Häusern vorbei. Die Wände des Gebäudes, aus dem der Anruf kam, sind mit Einschusslöchern übersät. Spuren des Granateneinschlags sind ebenfalls sichtbar – an einigen Stellen gibt es große Löcher, die in den Trennwänden klaffen.

Die Frau, die die Polizei gerufen hatte, kehrte vor Kurzem in ihre Wohnung zurück und musste feststellen, dass weder Fenster noch Türen vorhanden waren und ihr Hab und Gut fehlte.

"Als wir zurückkamen, war (in der Wohnung – RT) nichts mehr da: keine Rahmen, keine Türen. Und der Sohn war weg", erklärte die Anwohnerin der Polizei.

Nach Beginn der Kampfhandlungen verließen viele Bewohner das Haus – überall hingen Zettel mit Telefonnummern an den Türen –, sodass Menschen, die aus ihren Häusern geflohen waren, versuchten, Verwandte und Bekannte zu informieren, dass sie noch am Leben waren.

Sergei Golowatjuk, der im Bezirk Primorskij operativen Dienst leistete und nach der Befreiung der Stadt ebenfalls in den Dienst zurückkehrte, erklärte gegenüber RT, dass die Einwohner von Mariupol jetzt hauptsächlich Rat suchen würden – Fernsehen und Radio funktionieren nicht, sodass die Menschen einfach keine Möglichkeit haben, sich rechtlich zu informieren.

"Tagsüber werden wir jetzt von 50 bis 60 Personen angesprochen. Wir erklären den Menschen, wie sie Hilfe bekommen können. Um zum Beispiel humanitäre Hilfe zu erhalten, muss man wissen, wann und wo man sie bekommen kann. Außerdem wissen die Menschen nicht, welche Bescheinigungen sie benötigen, um Renten und andere Zahlungen zu erhalten."

"Als ich die Arbeit meiner Kollegen der Donezker Volksrepublik sah, schien es mir, als könnten sie von der Hilfe der Leute profitieren, die die lokale Mentalität kennen, die wissen, wie die Menschen hier leben. Wir haben die Menschen damals unterstützt und wir unterstützen sie auch heute. Dies ist unsere Stadt, wir kümmern uns um sie", schloss Golowatjuk.

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