Der ukrainische Botschafter Andrei Melnyk hatte Anfang Mai das vorläufige Nein von Scholz zu einer Kiew-Reise mit den Worten kritisiert: "Eine beleidigte Leberwurst zu spielen klingt nicht sehr staatsmännisch." Daraufhin hatte Scholz parteiübergreifend Rückendeckung bekommen. Dieser Ton sei für einen Diplomaten unangemessen und indiskutabel, hieß es damals.
Der Bundeskanzler selbst reagierte jedoch gelassen. In einem Interview mit dem zum Werbekonzern Ströer gehörenden Medium t-online sagte er am Sonntag, es sei nicht notwendig, auf jedes Wort ukrainischer Beamter übermäßig empfindlich zu reagieren. "Die Ukraine befindet sich seit Wochen im Krieg. Da muss man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen." Gleichzeitig bestätigte Scholz, dass er noch immer keine konkreten Pläne habe, Kiew zu besuchen. Wichtiger sei es, sich "auf das Wesentliche zu konzentrieren".
"Ein politisch Verantwortlicher sollte vor allem nach Kiew fahren, wenn es konkrete Dinge gibt, die unbedingt vor Ort besprochen werden müssen".
Deutschland und seine Partner versuchten nach wie vor, Kiew zu helfen und Moskau dazu zu bringen, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen, so der SPD-Politiker. Die gegen Russland eingeführten Sanktionen hätten erhebliche Folgen für die russische Wirtschaft, die darunter massiv leide. Eine Beendigung der Maßnahmen komme nur in Frage, falls eine Verständigung zwischen Moskau und Kiew erzielt werde, so Scholz. Es könne sich dabei keinesfalls um einen "Diktatfrieden" handeln.
Der Bundeskanzler erwähnte zudem sein Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vergangenen Freitag. Beide hätten Klartext geredet, so Scholz. Details zu dem Telefonat nannte er aber nicht.
Am Montag teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit, dass Scholz seine Vermittlungsversuche im Ukraine-Krieg mit Russlands Präsident Wladimir Putin fortsetzen wolle.
Russland habe keines seiner Ziele in der Ukraine erreicht, resümierte Scholz in dem Interview. Ein Beispiel dafür sei, dass die NATO keine Truppen von der Ostflanke abgezogen habe, sondern dort ihre Kräfte weiter aufbaue. Sobald Finnland und Schweden dem Bündnis beigetreten seien, werde es noch stärker. Gleichzeitig betonte Scholz, dass Deutschland und seine Partner niemals eine "Entscheidung treffen, die zu einer direkten Konfrontation zwischen der NATO und Russland führen könnte".
Moskau hatte seinerseits vor entsprechenden Reaktionen gewarnt, falls Finnland und Schweden dem Bündnis beitreten. Der stellvertretende russische Außenminister Alexander Gruschko sagte, dass Russland keine feindlichen Absichten gegenüber Finnland oder Schweden habe. Gleichzeitig stellte er fest, dass jene Länder, die der NATO in der Vergangenheit beigetreten seien, einen aggressivsten Kurs gegenüber Moskau verfolgten.
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