Eine Analyse von Scott Ritter
Der Direktor der CIA, William Burns, machte kürzlich Schlagzeilen, als er Fragen von Journalisten zur Bedrohung durch russische Atomwaffen im Zusammenhang mit dem anhaltenden Konflikt in der Ukraine beantwortete. "Angesichts der potenziellen Verzweiflung von Präsident Putin und der russischen Führung, angesichts der Rückschläge, denen sie bisher militärisch ausgesetzt waren, kann keiner von uns die Bedrohung auf die leichte Schulter nehmen, die von einem möglichen Rückgriff auf taktische Atomwaffen oder Atomwaffen mit geringer Sprengkraft ausgeht", sagte Burns.
Die Aussagen von Burns entstammen einer "Sammlung von Fakten", die von der Ukraine, den USA und den westlichen Medien verbreitet wird und die besagt, dass Russland in der Ukraine schwere Rückschläge erlitt und verzweifelt versucht, die militärische Situation vor Ort zu retten. Russland bestreitet diese Einschätzung und ist der Ansicht, dass die militärische Spezialoperation in der Ukraine planmäßig voranschreitet, nachdem sie in ihre zweite Phase übergeging, und sich jetzt auf die Vernichtung der ukrainischen Streitkräfte in und um die Donbass-Region konzentriert.
Burns konnte keine konkreten Beweise für seine Behauptungen über einen möglichen russischen Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine liefern. "Obwohl wir ein rhetorisches Muskelspiel des Kremls gesehen haben, indem man den Übergang auf eine höhere nukleare Alarmstufen angekündigt hat, haben wir bisher nicht viele faktische Beweise für diese Art von Einsätzen oder gar militärische Dispositionen dafür gesehen, die Grund für eine Besorgnis wären" sagte Burns. "Aber wir beobachten das sehr genau, das ist eine unserer wichtigsten Aufgaben bei der CIA."
Burns' übertriebene und unbegründete Bedenken wurden vom ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij auf der internationalen Bühne ins Rampenlicht gezerrt, als er die Frage eines Journalisten von CNN über das Risiko eines Einsatzes von russischen Atomwaffen in der Ukraine beantwortete. "Wir sollten nicht auf den Moment warten, an dem Russland beschließt, Atomwaffen einzusetzen", antwortete Selenskij. "Darauf müssen wir uns vorbereiten."
Der russische Außenminister Sergei Lawrow seinerseits merkte an, dass die USA und Russland beim Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Juni 2021 das Verständnis aus der Zeit des Kalten Krieges bekräftigt hätten, dass es "in einem Atomkrieg keine Gewinner geben" könne – eine Erklärung, die auch von den ständigen fünf Mitgliedern des Sicherheitsrates (Russland, USA, China, Frankreich und Großbritannien) im Januar 2022 angenommen wurde. Lawrow betonte, dass diese Erklärung weiterhin ihre volle Gültigkeit habe und dass Russland in der Ukraine nur konventionelle Waffen einsetzen werde.
Die Äußerungen von Burns und Selenskij, die von westlichen Medien weitergetragen wurden, die mehr daran interessiert sind, sensationelle Schlagzeilen zu produzieren, als die Realität der Situation in Bezug auf die Haltung Russlands in nuklearen Fragen zu verstehen, sind Teil einer umfassenden PR-Strategie. Diese zielt darauf ab, Russland und seine Atomwaffen als existenzielle Bedrohung des Weltfriedens zu porträtieren.
Russland und insbesondere Präsident Putin ließen keinen Zweifel an der Realität der nuklearen Abschreckungsfähigkeit Russlands. Tatsächlich hatte Putin bei der Ankündigung des Beginns der militärischen Sonderoperation das Schreckgespenst der russischen Atommacht heraufbeschworen, als er die USA, die NATO und die EU davor gewarnt hatte, direkt in der Ukraine einzugreifen. "Wer auch immer versucht, sich einzumischen oder sogar Bedrohungen für unser Land und unser Volk schafft, sollte wissen, dass Russlands Reaktion umgehend erfolgen wird und sie wird zu Konsequenzen führen, die man in der Geschichte noch nie erlebt hat."
Putin hatte seine Aussage mit einer deutlicheren Antwort auf das untermauert, was er als "unfreundliche Aktionen westlicher Länder" als Reaktion auf die ukrainische Sonderoperation bezeichnet hatte. "Westliche Länder ergreifen nicht nur im wirtschaftlichen Bereich unfreundliche Maßnahmen gegen unser Land. Auch Offizielle führender NATO-Mitglieder haben aggressive Äußerungen in Richtung unserer Nation abgegeben", hatte Putin bei einem Treffen mit seinen Spitzenbeamten gesagt. Anschließend wies er den russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und den Chef des Generalstabs Waleri Gerassimow an, Russlands nukleare Abschreckungskräfte in ein "erhöhtes Regime des Kampfeinsatzes" zu versetzen.
Während antirussische Experten im Westen sich sofort auf Putins Direktive zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft von Russlands Nukleararsenal stürzten, sieht die Realität ganz anders aus. Putins Befehl erhöhte höchstwahrscheinlich einfach die Kommunikationsfähigkeit der verschiedenen Befehls- und Kontrollebenen in Bezug auf Russland strategische Nuklearstreitkräfte, ohne Änderung der Einsatzbereitschaft einzelner Nukleareinheiten.
Der Hang des Westens zur Hyperventilation bei allem, was in Zusammenhang mit Russlands Nukleararsenal steht, zeigt einen tief sitzenden Mangel an Verständnis für Russlands Haltung in dieser Frage und dafür, unter welchen Umständen Moskau bereit wäre, seine Atomwaffen einzusetzen. Während ein solcher Mangel an Verständnis in der Vergangenheit aus offensichtlichen Gründen nachvollziehbar gewesen war, veröffentlichte Russland am 2. Juni 2022 – zum ersten Mal in seiner 30-jährigen Geschichte – ein Dokument mit dem Titel "Grundprinzipien der staatlichen Politik der Russischen Föderation zur nuklearen Abschreckung", in dem das Land seine Doktrin für den Einsatz von Atomwaffen erklärt.
Die russischen "Grundprinzipien" stellen fest, dass Atomwaffen "ausschließlich als Mittel der Abschreckung" betrachtet werden, deren Einsatz nur als "extreme und erzwungene Maßnahme" erfolgen könne. Russlands strategische Nuklearstreitkräfte sind so organisiert, dass im Falle eines nuklearen Angriffs auf Russland "die Unvermeidlichkeit von Vergeltungsmaßnahmen" besteht und dass diese Streitkräfte so organisiert sind, dass sie jedem potenziellen Gegner "einen garantiert inakzeptabel hohen Schaden" zufügen würden. Oder anders ausgedrückt: Jede Nation, die sich am anderen Ende eines russischen Nuklearschlags wiederfindet, wird aufhören, als moderner Staat mit einer funktionierender Gesellschaft zu existieren.
Das Dokument zur nuklearen Doktrin beschreibt auch Russlands Haltung des "Nuklearschlags unter den Bedingungen von Bedrohungen" und stellt fest, dass Russland seine Atomwaffen einsetzen würde, wenn "zuverlässig Daten über den Start ballistischer Raketen vorliegen, die das Territorium Russlands und/oder seiner Verbündeten angreifen". Sollten Atomwaffen gegen Russland und/oder seine Verbündeten eingesetzt werden, dann wird Russland mit einem Gegenschlag darauf antworten.
Das Dokument skizziert auch zwei nicht nukleare Szenarien, in denen Russland atomare Vergeltung verüben würde. Das erste Szenario beinhaltet einen Angriff eines Gegners auf kritische Standorte der Regierung oder des Militärs, durch den die russischen nukleare Abwehrmaßnahmen untergraben werden – das heißt, ein sogenannter "Enthauptungsschlag" gegen die politische und militärische Führung –, während das zweite Szenario jegliche Aggression gegen Russland unter Einsatz konventioneller Waffen beschreibt, durch den die Existenz des Staates auf dem Spiel steht. Wie Lawrow in seiner Erklärung gegenüber der indischen Presse betonte, trifft die aktuelle Situation in der Ukraine auf keine der im Dokument der "Grundprinzipien" festgelegten Bedingungen zu.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Ukraine-Konflikt nicht zu einer Erhöhung des atomaren Fiebers in Europa geführt hat – weit gefehlt. In Schweden wächst die Unterstützung für einen NATO-Beitritt, und Finnland könnte innerhalb weniger Wochen einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Wenn sich die US-geführte Allianz auf diese beiden Länder ausdehnt, könnte dies ein Fall für eine militärische Reaktion Russlands sein – oder zumindest für eine zusätzliche Aufstockung russischer Streitkräfte entlang der Nordwestgrenze. Laut Dmitri Medwedew, dem ehemaligen Präsidenten und Ministerpräsidenten, der Präsident Putin derzeit in Fragen der nationalen Sicherheit berät, wird es, wenn Schweden oder Finnland der NATO beitreten, "nicht länger möglich sein, über einen atomwaffenfreien Status der Ostsee zu sprechen – das Gleichgewicht muss wiederhergestellt werden".
Medwedew merkte an, dass "Russland solche Maßnahmen bisher nicht ergriffen hat und auch nicht vorhat", fügte aber hinzu: "Wenn unsere Hand gezwungen wird, nun, dann nehme man zur Kenntnis, dass nicht wir es waren, die den ersten Schritt auf diesem Weg gemacht haben."
Die Rede von einem NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands folgt einer konzertierten Anstrengung der Allianz, atomwaffenfähige F-35A-Kampfflugzeuge einzusetzen. "Wir bewegen uns schnell und energisch auf die Modernisierung der F-35 zu und beziehen diese in unsere Planung und in unseren Übungen ein, sobald diese Modernisierungen verfügbar sind", erklärte kürzlich Jessica Cox, die Direktorin der NATO-Referatsstelle für nukleare Politik in Brüssel. "Bis zum Ende des Jahrzehnts werden die meisten – wenn nicht alle unserer Verbündeten – auf die F-35 umgestiegen sein", sagte Cox.
Die F-35A wurde im Oktober 2021 als atomwaffenfähiges Flugzeug zertifiziert, nachdem sie mit B-61-Atombomben getestet worden war. Die USA unterhalten in verschiedenen Depots in ganz Europa einen Vorrat von etwa 150 B-61-Atombomben. Diese Waffen sollen sowohl von den USA als auch von sogenannten "nicht nuklearen" NATO-Mitgliedern im Rahmen der sogenannten "nuklearen Teilhabe" eingesetzt werden können.
Tatsächlich hatte Cox ausdrücklich darauf hingewiesen, dass andere NATO-Verbündete, die derzeit die F-35 betreiben, wie etwa Polen, Dänemark und Norwegen, aufgefordert werden könnten, NATO-Missionen mit nuklearer Teilhabe in Zukunft zu unterstützen. Finnland kündigte kürzlich an, dass es beabsichtigt, 60 F-35A-Kampfflugzeuge zu kaufen – ein Schritt, der angesichts des erklärten Wunsches Finnlands, der NATO beizutreten, in Russland nur Besorgnis auslösen kann.
Der umfangreiche Einsatz der F-35A durch die USA und andere NATO-Luftstreitkräfte zur Unterstützung der sogenannten Operation "Baltic Air Policing" (Baltischer Luftpolizeidienst), die über dem Himmel von Lettland, Estland und Litauen stattfindet, wird von Russland als ernsthafte Bedrohung angesehen, da jede sich in der Luft befindliche F-35A als potenziell nuklear bewaffnete Bedrohung betrachtet werden muss.
Cox und die anderen Befürworter des F-35A – einschließlich Finnlands – täten gut daran, darüber nachzudenken, dass in den russischen "Grundprinzipien", die "Stationierung von Atomwaffen und deren Träger in Gebieten nicht nuklearer Staaten" als eines der Szenarien erwähnt wird, "das durch die Anwendung nuklearer Abschreckung neutralisiert werden soll".
Russland bereitet sich möglicherweise nicht darauf vor, Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen. Das unverantwortliche Gehabe der NATO kann jedoch dazu führen, dass die Gefahr für den Einsatz russischer Atomwaffen in Europa steigt.
Übersetzt aus dem Englischen.
Scott Ritter ist ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des US Marine Corps. Er diente in der Sowjetunion als Inspektor bei der Umsetzung des INF-Vertrags, im Stab von General Schwarzkopf während des Golfkriegs und von 1991-1998 als UN-Waffeninspektor. Man kann ihm auf Telegram folgen.
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