Kiew erlebt in diesen Tagen eine Welle von Repressionen gegen oppositionelle Politiker, Journalisten und Intellektuelle, wobei vorerst ungeklärt bleibt, ob es sich um staatliche Repression oder um Lynchakte rechtsextremer Banden handelt.
Von Unbekannten verschleppt und spurlos verschwunden sind nach Stand vom Dienstagabend:
- der Politologe und Journalist Juri Dudkin;
- der ehemalige Offizier des Geheimdienstes SBU (bis 2014) Wlad Mulyk;
- die Mitglieder der Kommunistischen Partei der Ukraine, Alexander und Michael Kononowitsch;
- der Politiker und Geschäftsmann Wassilij Wolga;
- der Politologe Dmitrij Dschangirow.
Ebenfalls seit vier Tagen gibt es keinerlei Lebenszeichen von der ehemaligen Abgeordneten der Regionenpartei, Journalistin und Bürgerrechtsaktivistin Olena Bondarenko.
Dmitrij Dschangirow verschwand am Dienstag gegen 16 Uhr Ortszeit. Er hatte sich 2013 scharf gegen den Abschluss des Assoziierungsabkommens mit der EU ausgesprochen, ist aber in den letzten Jahren in seinen nahezu täglichen Sendungen auf der von ihm betriebenen Plattform Kapital TV auf geopolitische und intellektuelle Themen ausgewichen.
Seine Ehefrau, die im Gegensatz zu dem Politologen Kiew verlassen hatte, berichtete, das letzte Mal um 15.00 Uhr Ortszeit mit ihm telefoniert zu haben. Gegen 17.00 Uhr Kiewer Ortszeit erschien auf seiner Facebook-Seite ein Video, das den 55-Jährigen in häuslicher Kleidung zeigt. In diesem verurteilt er "den russischen Angriffskrieg" und äußert auch sonst Thesen, die nicht zu seinen Überzeugungen passen.
Viele Leser des Intellektuellen haben anhand der ungewöhnlichen Inhalte und der für Dschangirow unüblichen grammatikalischen Fehler sofort gemutmaßt, dass er die Aussagen unter Druck tätigt. Zudem sind in dem Video Geräusche und Schreie zu hören, die auf die Anwesenheit Fremder und eine angespannte Stimmung schließen lassen.
Der Verdacht der Leser bestätigte sich, als die Ehefrau von Dschangirow in den Kommentaren berichtete, dass ihr Mann nicht an das Telefon geht. Sie bat um Hilfe bei der Befreiung ihres Mannes.
Seitdem gibt es von Dschangirow kein Lebenszeichen. Seine Accounts in den sozialen Netzwerken und der Youtube-Kanal werden seitdem ununterbrochen für ukrainische Kriegspropaganda missbraucht.
Zudem ist die Kontonummer für Spenden ausgewechselt worden: Das eingehende Geld wird nun auf das Konto des Propagandisten Prityla geleitet.
Anhänger des Politologen befürchten, dass er von bewaffneten rechtsradikalen Banden entführt wurde und nicht mehr am Leben ist. Wenn es sich um eine Verhaftung durch den Sicherheitsdienst gehandelt hätte, wären der Ehefrau Telefonate ermöglicht und der Verhaftete wäre am heutigen Tag einem Gericht vorgeführt worden. Nichts davon ist geschehen.
Unter ähnlichen Umständen ist am Montag der Politologe Juri Dudkin verschwunden.
Sein Vertrauter schreibt auf Facebook dazu:
"WARNUNG!!! Das Konto von Juri Dudkin wurde vom SBU gehackt! Der Feed wird mit Fake News gefüttert. Juri wurde in Kiew entführt und von ukrainischen Nationalisten als Geisel genommen! Seine Familie darf ihn nicht kontaktieren! Fallen Sie nicht auf die Provokationen herein! Informieren Sie internationale Menschenrechtsorganisationen im Ausland!!! Bringen Sie die Informationen an alle besorgten Bürger Ihres Landes!!! Juri ist Offizier, Politikwissenschaftler und ein wahrer Patriot der Ukraine!"
Wie im Fall von Dmitrij Dschangirow werden indes auch im Fall von Dudkin weder Kontakte seiner Angehörigen mit ihm ermöglicht, noch ist er einem Richter vorgeführt worden. Anwälte haben keinen Zutritt und bekommen vom Sicherheitsdienst keine Informationen zu seinem Aufenthaltsort. All das spricht dafür, dass der Politologe von irregulären Verbänden entführt wurde.
Am Mittwoch erschien auf der Facebook-Seite von Dudkin ein Video, das ihn auf einer menschenleeren Straße zeigt. Er erklärt darin, es gehe ihm gut und er sei nicht erreichbar, weil er "humanitäre Hilfe" leiste. Wann und wo das Video aufgenommen wurde, lässt sich nicht erkennen.
Von internationalen Organisationen gibt es noch keinerlei Reaktionen auf diese besorgniserregenden Vorfälle.
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