Ukrainischer Botschafter in London: Würden Aufgabe des NATO-Beitritts in Betracht ziehen

Der ukrainische Botschafter in Großbritannien hat eingeräumt, dass Kiew die angestrebte NATO-Mitgliedschaft aufgeben könnte. Außerdem fordert die Ukraine eine umgehende Sitzung der Mitgliedsstaaten des Wiener Dokuments.

Wadim Pristaiko, der Botschafter der Ukraine im Vereinigten Königreich, hat erklärt, dass die Ukraine möglicherweise ihren Wunsch nach einem NATO-Beitritt aufgeben könnte, um "einen Krieg zu vermeiden". Dies gab er bei einem Interview für BBC Radio am Sonntag bekannt. Auf die Frage des Moderators, ob die Kiewer Regierungs- und Sicherheitsbehörden erwägen würden, das Ziel des immerhin in der ukrainischen Verfassung verankerten NATO-Beitritts aufzugeben, antwortete er:

"Wir sind flexibel bei unserem Versuch, den besten Weg zur Lösung des Problems zu finden. Wenn wir ernsthafte Zugeständnisse machen müssen, dann könnten wir auch das tun."

Etwas später im Interview fühlte der Botschafter allerdings die Notwendigkeit, seine Aussage etwas zu präzisieren – um genauer zu sein, deutlich zurückzurudern. Auf die Frage, ob ein Angebot gemäß dieser Aussage nicht am besten noch vor Mittwoch, den 16. Februar 2022, zu unterbreiten sei – dieses Datum hat der kollektive Westen jüngst für einen, wie es seit Monaten heißt, unmittelbar bevorstehenden  Einfall Russlands in die Ukraine jüngst aktualisiert – antwortete Pristaiko:

"Nein, dass wir es tun werden, glaube ich nicht. Sie haben ja gefragt, ob wir die Möglichkeit in Betracht ziehen. Ich glaube nicht, dass wir das tun werden. Nicht weil wir dumm und stur sind. Der Unterschied liegt darin, was ich ihnen sagte: Wir wissen nicht, was wir werden opfern müssen."

Ebenfalls am 13. Februar hat Kiew ein Treffen der Unterzeichnerstaaten des Wiener Dokuments von 2011 über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen gefordert, zu denen auch Russland gehört. Dies gab der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba bekannt, nachdem die zweitägige Frist des Ultimatums der Ukraine an Russland, gemäß dem Wiener Dokument der OSZE vom Jahr 2011 Klarstellungen zu Russlands militärischen Aktivitäten in den, wie es hieß, "Grenzzonen" zur Ukraine zu machen, verstrichen war: "Russland hat auf unsere Anfrage gemäß dem Wiener Dokument nicht geantwortet. Wir gehen jetzt den nächsten Schritt. Die Ukraine beruft innerhalb der nächsten 48 Stunden ein Treffen mit der Russischen Föderation und allen teilnehmenden Staaten ein, um die Verstärkung und Bewegung der Truppen der Russischen Föderation entlang unserer Grenze und auf der vorübergehend besetzten Krim zu erörtern. Wenn Russland es mit seinen Worten über die Unteilbarkeit der Sicherheit im OSZE-Raum ernst meint, muss es seine Verpflichtungen zur militärischen Transparenz einhalten."

Laut der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, die auf eine anonyme Quelle im russischen Außenministerium verweist, habe man dort am 11. Februar über OSZE-Kanäle ein Ersuchen Kiews an Moskau erhalten, Informationen über militärische Aktivitäten in den betroffenen Gebieten und die Anzahl der russischen Militärangehörigen dort innerhalb von 48 Stunden bereitzustellen.

Allerdings betonte der Gesprächspartner der Agentur, dass Moskau dieses Ersuchen Kiews nicht für gerechtfertigt halte. Vielmehr sei das Ersuchen ein Manöver, um von den eigenen "ungewöhnlichen militärischen Aktivitäten" abzulenken und nicht zuletzt auch vom Beschuss der im Donezbecken gelegenen Volksrepubliken Donezk und Lugansk.

Das Wiener OSZE-Dokument von 2011 zielt auf die Stärkung der Sicherheit und des Vertrauens zwischen den Ländern ab. Im Rahmen dieser Abkommen tauschen die Staaten jährlich Informationen über ihre Streitkräfte und wichtigsten Waffensysteme, Verteidigungsplanung und Militärhaushalte aus. Das Dokument sieht Konsultationen über "ungewöhnliche militärische Aktivitäten" und gefährliche Zwischenfälle vor.

In den vergangenen Monaten beschuldigten die USA und weitere NATO-Staaten Moskau wiederholt, eine "Invasion" in die Ukraine vorzubereiten. Nicht zuletzt soll US-Präsident Joe Biden Medienberichten zufolge den europäischen Staats- und Regierungschefs mitgeteilt haben, dass Russland den Nachbarstaat am 16. Februar "angreifen" werde.

Der Kreml und das Außenministerium wiesen und weisen alle derartigen Beschuldigungen zurück und betonen, dass Russland nicht in den innerukrainischen Konflikt verwickelt ist und im Gegensatz zu Kiew, das sich nicht an die Minsker Vereinbarungen hält, keinerlei Vereinbarungen verletzt.

Die ukrainischen Behörden haben etwa die Hälfte der Streitkräfte des Landes an der Grenze zu den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk zusammengezogen. Noch vor dieser Entwicklung beschoss die ukrainische Armee die Milizen sowie Wohngebiete der Republiken regelmäßig und setzt dies auch jetzt fort. Unter anderem mit Waffensystemen, deren Dislozierung und Einsatz im Konfliktgebiet verboten wurde, darunter auch von westlichen Ländern gelieferte.

Kanada, die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Polen, die Türkei, Litauen, die Tschechische Republik sowie Bulgarien, Rumänien und Estland sind an entgeltlichen und unentgeltlichen Waffenlieferungen im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar beteiligt. Darüber hinaus treffen weiterhin immer mehr ausländische Militärausbilder in der Ukraine ein.

Moskau hat den Westen wiederholt aufgefordert, keine Waffen mehr an die Ukraine zu liefern, da dies Kiew zu militärischen Abenteuern anstacheln könnte.

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