Der ehemalige ukrainische Präsident und Vorsitzende der Europäischen Solidaritätspartei, Petro Poroschenko, ist am Montag Mittag vor dem Kiewer Bezirksgericht Petschorsk eingetroffen, meldet die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti mit Verweis auf eigene Korrespondenten. Auf das ehemalige Staatsoberhaupt der Ukraine wartet ein Prozess mit mehreren schweren Anklagepunkten: Hochverrat, Finanzierung von Terroristen und sogar Mittäterschaft an der Gründung einer terroristischen Organisation. Daran erinnert das ukrainische Nachrichtenportal strana.today.
Konkret soll Poroschenko laut den Ermittlern in den Jahren 2014 und 2015 im Komplott mit den Regierungen Russlands und der Volksrepubliken Donezk und Lugansk die Lieferung von Kraftwerk-Heizkohle in die Ukraine aus Südafrika verhindert haben – zugunsten von Kohlelieferungen aus dem Donez-Becken. Hierfür seien russische Lieferungen angehalten worden, um die ukrainischen Wärmekraftwerke in Brennstoffdefizite zu bringen. Poroschenko habe gleichzeitig auf einer eigens dafür einberufenen Sitzung des ukrainischen Rates zur Nationalen Sicherheit und Verteidigung (SNBO) die Eignung der afrikanischen Kohle für die ukrainischen Wärmekraftwerke angezweifelt, was schließlich zum Storno der Bestellung durch den südafrikanischen Lieferanten Steel Mont Trading Ltd. geführt habe.
Daraufhin sei Heizkohle aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk im Wert von umgerechnet mindestens 46 Millionen Euro in die Ukraine eingefahren worden, schreibt das russische Nachrichtenportal RBK – die Gelder seien logischerweise in die Budgets der als terroristische Gebilde verschrienen Volksrepubliken gewandert. Der letztgenannte angebliche Umstand, nebst der angeblichen Absprache mit Akteuren auf russischer Seite, waren der ukrainischen Staatsanwaltschaft schließlich der Anlass zur Wertung der Korruptionsschemen, die Poroschenko vorgeworfen werden, als Finanzierung des Terrorismus, Hochverrat und dergleichen mehr.
Ebenso künstlich wie die Wertung der skizzierten Vorwürfe wirkt das Drumherum um die Einbestellung des Ex-Präsidenten – dieses jedoch wiederum von ihm selber beziehungsweise von den Anhängern seiner Partei inszeniert.
So begab sich Poroschenko genau am selben Tag auf seine, wie es hieß, politische Geschäftsreise in die Türkei und Polen, als versucht wurde, ihm die Gerichtsvorladung zuzustellen – deren Annahme er verweigerte, schreibt unian.net mit Verweis auf das ukrainische Staatliche Ermittlungsbüro.
Obwohl Poroschenkos Partei "Europäische Solidarität" erklärte, diese Reise Poroschenkos sei von langer Hand geplant worden, schrieb das ukrainische online-Nachrichtenportal Strana.ua mit Verweis auf Quellen im Ermittlungsapparat, er habe die Flugkarte ebenfalls am selben Tag, dem 17. Dezember, gekauft.
Tatsächlich von langer Hand hat sich Poroschenko hingegen auf eine mögliche Konfiszierung seiner Mittel vorbereitet: Seine wichtigsten Aktiva, vor allem den umgerechnet knapp eine Milliarde Euro schweren Süßwarenkonzern Roshen, aber auch 50 weitere Firmen im Gesamtwert von umgerechnet gut 400 Millionen Euro (Werte zitiert von Unian mit Verweis auf Forbes Ukraine), soll der Konfiserie-Oligarch seinem ältesten Sohn Alexei überschrieben haben, schreibt das ukrainische enthüllungsjournalistische Nachrichtenportal slidstvo.info. Somit konnte die ukrainische Justiz Anfang Januar lediglich einige wenige Immobilien und Aktien aus Poroschenkos Besitz beschlagnahmen, schrieb die ukrainische Presseagentur Unian.
Seine Rückreise aus Warschau trat der ukrainische Ex-Präsident mit der Economy-Fluggesellschaft WizzAir mit Hauptsitz in Ungarn an. Dass Poroschenko damit auf den im Westen als Gewissensgefangenen hochstilisierten Alexei Nawalny verweisen wollte, dessen Heimflug aus Deutschland ebenfalls per Budget-Airline (in diesem Fall Pobeda) stattfand, dürfte nicht nur Strana.today aufgefallen sein – zumal er bei seiner Pressekonferenz am Vorabend auf das Datum seines Rückfluges verwies, das mit dem von Nawalny zusammenfiel. Doch obwohl sich der ukrainische Schokolademogul so volksnah gab, ließ er die vorderen sieben Sitzreihen in der Maschine für sich und die ihn und seine Frau begleitenden Abgeordneten seiner Partei buchen. Auf dem Flug blockierten diese dann nicht nur den Zugang zu Poroschenko, sondern auch die Toilette im Bug der Maschine für alle anderen Passagiere. Auch ließen die Abgeordneten von allen an Bord anwesenden Journalisten nur die Chefredakteurin der Ukrainskaja Prawda, Sewgil Musajewa, zum Gespräch mit ihrem Schutzobjekt durch.
Nach Landung im Kiewer Flughafen Schuljany hielten Mitarbeiter des Staatlichen Ermittlungsbüros der Ukraine Poroschenko an und nahmen ihm seinen Reisepass ab – da sie ihn ungewöhnlich lange behielten (um sicherzustellen, dass der Besitzer wirklich Petro Poroschenko sei), äußerte er sich nach schließlich erfolgter Rückgabe in improvisierter Ansprache an anwesende Journalisten und Unterstützer: "Ein Teil der Staatsermittlungsbüro-Mitarbeiter versuchte, mich nicht ins Staatsgebiet der Ukraine zu lassen. [...] So sehr fürchtet man uns."
Als besagte Mitarbeiter ihm im Flughafengebäude erneut die Gerichtsvorladung übergeben wollten, verweigerte das ehemalige ukrainische Staatsoberhaupt erneut deren Annahme. Die Sprecherin des Staatsermittlungsbüros Tatjana Sapjan erklärte dazu bei einem Pressebriefing (hier zitiert von der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti): "Heute haben Beamte des Staatssicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) am Flughafen Schuljany versucht, Petro Poroschenko Verfahrensdokumente auszuhändigen, nämlich eine Vorladung um 11.00 Uhr (12.00 Uhr Moskauer Zeit) am 17. Januar zum Bezirksgericht Petschorsk – um einen Antrag auf vorbeugende Maßnahmen zu prüfen und Poroschenko die Möglichkeit zu geben, freiwillig vor Gericht zu erscheinen. Aber Petro Poroschenko weigerte sich, die Verfahrensdokumente anzunehmen und ignorierte die rechtmäßigen Forderungen des Ermittlers. Gleichzeitig leisteten diejenigen, die bei ihm waren, körperlichen Widerstand."
Poroschenkos Anwälte hätten ihr versichert, dass sie alle Verfahrensdokumente annehmen würden, aber nach der Grenzkontrolle seien sie "geflohen".
An Unterstützern hatten sich dem Flughafengebäude mehrere Hundert eingefunden, denen vom Ex-Rada-Vorsitzenden und Ex-SNBO-Sekretär Andrei Parubij sowie Alexander Turtschinow, kommissarischer Präsident in der Übergangszeit nach dem Maidan-Putsch, eingeheizt wurde. Anschließend hielt auch der eingetroffene Poroschenko eine Rede vor derselben Menge.
Die Polizei war am Flughafen derweil massiv vertreten, aber lediglich als Ordnungskraft aktiv.
Dass beim Verlassen des Kiewer Flughafens Schuljany Poroschenkos Fahrzeugkorso gegen zwei Verkehrsregeln verstieß, vor allem durch Befahren eines dem öffentlichen Verkehr vorbehaltenen Straßenstreifens, dürfte ebenso der Selbstdarstellung des Süßwarensultans geschuldet sein.
Am Kiewer Petschorsk-Bezirksgericht versammelten sich ebenfalls zahlreiche Anhänger des ehemaligen Präsidenten, die Losungen für ihn und gegen den amtierenden Wladimir Selenskij skandierten und auf Plakaten hochhielten. Auch vor ihnen hielt Poroschenko nochmals eine Rede.
Die Menschenmenge war in der Lage, von außen die im Gerichtsgebäude laufende Sitzung zu überschreien, so Strana.today.
Bereits in den Minuten der Landung der WizzAir-Maschine in Schuljany twitterte die britische Botschafterin in der Ukraine Melinda Simmons, dass die politische Führungsriege der Ukraine sich angesichts der "russischen Aggression" zu vereinen habe, statt sich bei der Polarisierung der Innenpolitik zu verausgaben.
Im Laufe der Sitzung wurden von der Verteidigung mehrere Argumente zum Aspekt der Prozessführung bereits ab dem Ermittlungsstadium angebracht.
Am 17. Dezember 2021 verließ Poroschenko, der des Landesverrats verdächtigt wird, das Land und begab sich auf eine diplomatische Reise, die auch Besuche in der Türkei und in Polen umfasste. Er verkündete später, am 17. Januar nach Hause zurückzukehren. Poroschenkos Verteidiger und Unterstützer erklärten wiederholt, der Auslandsbesuch des Ex-Präsidenten sei im Voraus geplant worden. Zuvor hatte der Pressedienst der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft ein Gericht ersuchen werde, Poroschenko in der Hochverratssache zu verhaften, wobei eine Kaution in Höhe von etwa 37 Millionen Dollar möglich sei. Die Partei des ehemaligen Präsidenten, die Europäische Solidarität, betrachtet dies als politische Unterdrückung. Wie mehrere ukrainische Medien berichten, hat das Kiewer Petschorsk-Bezirksgericht die Festnahme Poroschenkos genehmigt, um ihn vor Gericht zu bringen und eine Präventivmaßnahme zu verhängen.
Dies ist das erste Mal, dass Poroschenko in dem Verfahren wegen Hochverrats und Beihilfe zum Terrorismus im Zusammenhang mit Kohlelieferungen aus dem Donbass unter Verdacht steht. Zuvor hatte der ehemalige Präsident erklärt, dass 130 Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wurden, von denen jedoch etwa 40 eingestellt wurden. In der Sache der Ernennung von Sergei Semotschko zum stellvertretenden Leiter des ukrainischen Auslandsgeheimdienstes ist Poroschenko Verdächtiger – er wird in diesem Fall des Machtmissbrauchs angeklagt. Poroschenko ist ferner Zeuge bei Fällen, die die Ernennung von Richtern, die Verbringung von Gemälden über die Staatsgrenze, den Zwischenfall mit ukrainischen Schiffen in der Meerenge von Kertsch und die Übertragung eines Grundstücks betreffen.
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