Nicht nur eine erstklassige Küche, sondern auch feine Sitten und gepflegte Umgangsformen in allen Lebenslagen gehören zum ebenso hartnäckigen wie romantischen Bild, das die Vorstellung vieler Menschen von Frankreich prägt. Und doch ist das deutsche Nachbarland auch von einer lebhaften politischen Kultur geprägt, die oftmals nicht zimperlich ist, wenn es um den Gebrauch einer deftigen Sprache geht – auch wenn diese für deutsche Ohren dennoch oftmals wie der Austausch von Höflichkeiten klingen mag.
Zuletzt war es der französische Präsident Emmanuel Macron, der sich wenige Monate vor den Präsidentenwahlen verbal sehr weit aus dem Fenster lehnte und sich damit einen wohl kalkulierten Affront leistete. Gegenüber Le Parisien erklärte Macron in etwa: "Die Ungeimpften, ich habe große Lust, sie 'zu nerven'. Und deshalb werden wir das auch weiterhin tun, bis zum bitteren Ende. Das ist die Strategie."
Dabei nutzte der französische Präsident das schwer zu übersetzende Verb "emmerder", das mit "auf die Nerven gehen" nur unzureichend übersetzt ist.
Die Zeit verweist auf die Übersetzung der Académie Francaise, wonach der Terminus dem Wunsch entspricht, jemandem im übertragenen Sinne "mit Exkrementen zu bedecken". "Ein grobes Schimpfwort also, dem im Deutschen am nächsten vielleicht der Begriff "ankacken" kommt, britische Medien übersetzten ihn mit 'piss off'."
Die Frage der angemessensten Übersetzung wird sich nicht abschließend und für alle Seiten befriedigend klären lassen. Unbestritten ist jedoch, dass sich Macron gegenüber den eigenen und nicht gegen COVID-19 geimpften Bürgern eines rustikalen Kraftausdrucks bediente. Die Welt übersetzte die Begrifflichkeit mit "in die Scheiße reiten".
Zudem erhitzt die Gemüter nicht nur der Ungeimpften, sondern auch der Opposition, dass Macron die ungeimpften Franzosen zu Verantwortungslosen und prompt zu Nicht-Bürgern erklärte.
"Wenn meine Freiheit die Freiheit anderer bedroht, werde ich zu einem verantwortungslosen Menschen. Ein Unverantwortlicher ist kein Bürger mehr."
Anschließend rechtfertigte Macron seine Ausdrucksweise. Es sei seine "Verantwortung" gewesen, die "Alarmglocken" zu läuten.
Auch in diesem Zusammenhang ist beachtlich, dass am Samstag in Frankreich mehr als 100.000 Franzosen auf die Straßen strömten, um gegen die Corona-Politik ihrer Regierung und ihren konservativ-wirtschaftsliberalen Präsidenten zu protestieren.
Damit kamen viermal so viele Menschen zusammen wie zu den Protesten am 18. Dezember. An diesem Tag versammelten sich auf den Straßen und Plätzen des Landes etwa 25.000 Menschen, um gegen die Maßnahmen-Politik der Regierung Macron zu protestieren.
Allein in Paris sollen auf insgesamt drei Veranstaltungen am Samstag mindestens 18.000 Menschen auf die Straße gegangen sein, berichtete der Sender France Info mit Verweis auf das Innenministerium.
Landesweit kam es in zahlreichen Städten zu Protestzügen, die wieder auf deutlich mehr Unterstützung stießen als in den vergangenen Wochen. Vereinzelt musste die Polizei gegen Ausschreitungen vorgehen. Neben Rufen nach "Freiheit!" skandierten die Menschen an Macron gerichtet: "Wir werden dir auf die Nerven gehen".
Im Fokus der Proteste stehen von der Regierung geplante, weitere drastische Einschränkungen für Ungeimpfte. Sie sollen schon bald keinen Zugang mehr zu Kinos, Bars oder Fernzügen haben.
Das Gesetzesvorhaben wurde noch nicht vom Parlament abgesegnet. Im Unterhaus hatte es zuvor teils hitzige Debatten darüber gegeben. Man werde "die Ungeimpften unter Druck" setzen, "indem wir für sie den Zugang zu Aktivitäten des gesellschaftlichen Lebens so weit wie möglich einschränken", lautete die Ansage des französischen Präsidenten.
Derweil werfen die Demonstranten Macron vor, die Pandemie im Vorfeld der Wahlen zu politisieren. Ein 55-jähriger Demonstrant erklärte nach Reuters-Angaben:
"Ich will, dass er Drogenhändler und Kriminelle nervt, nicht den Durchschnittsbürger."
Nach Angaben des französischen Innenministeriums soll es zu insgesamt 24 Festnahmen gekommen sein. Sieben Polizeibeamte wurden demzufolge leicht verletzt. In Montpellier setzte die Polizei Tränengas ein.
Überall dort, wo der "pass sanitaire" verpflichtend ist, müssen Personen einen Impf-, Test- oder Genesungsnachweis vorzeigen, um etwa Restaurants, Cafés, Museen und andere öffentliche Einrichtungen besuchen zu dürfen. Die Regierung versucht, die Bedingungen für Ungeimpfte weiter zu verschärfen. Ab dem 15. Januar sollen Nichtgeimpfte dann vom größten Teil des öffentlichen Lebens ausgeschlossen werden. Dazu Macron: "Vom 15. Januar an können sie (die Ungeimpften) nicht mehr ins Restaurant gehen, kein Gläschen (Wein) mehr zu sich nehmen, keinen Kaffee trinken, nicht ins Theater und ins Kino gehen."
Auch Fernreisen und Besuche von Sportveranstaltungen oder Konzerten soll für den nicht gegen COVID-19 geimpften Teil der Bevölkerung dann nicht mehr möglich sein.
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