Der Hadrianswall folgte einer kulturellen Grenze

Schottland, so glaubte man lange, sei schlicht jener Teil Britanniens gewesen, den die Römer nicht besetzen konnten. Neuere Erkenntnisse der Archäologie legen aber nahe, dass sich die Gebiete nördlich und südlich des Hadrianswalls bereits davor deutlich unterschieden.

Die bisher übliche Erklärung für die lange getrennte Entwicklung Englands und Schottlands war der Hadrianswall, den die Römer zwischen 122 und 128 u.Z. errichteten. Dieser trennte das spätere Schottland vom römisch kontrollierten Britannien, ähnlich wie es der Limes in Deutschland tat. Eine genauere Untersuchung typischer Bauwerke hat jetzt ergeben, dass sich Schottland und Nordengland bereits vor Ankunft der Römer deutlich voneinander unterschieden.

Mehrere Arten von Bauwerken sind südlich des Hadrianswalls nicht zu finden. Es handelt sich um die Crannogs, runde, aus Holzpfählen und Sand errichtete künstliche Inseln; die Souterrains, Wohnbauten, die in die Erde gegraben wurden und vermutlich mit Stroh, teils aber auch mit Steinplatten bedeckt waren; Brochs, kreisrunde, fensterlose Türme, und Duns, ebenfalls steinerne runde Festungsbauten. Einige dieser Typen finden sich auch in Irland, aber nicht in Nordengland.

Der Archäologe Ronan Toolis, der die Untersuchung dieser Bauwerke in der Zeitschrift der Gesellschaft der schottischen Altertumsforscher veröffentlicht hat, sagte, die Verteilung dieser Bauwerke sei "das Ergebnis kultureller Entscheidungen, die von Haushalten und Gemeinden getroffen wurden, nicht von Einschränkungen durch die Umwelt. Dies legt nahe, dass die eisenzeitlichen Gesellschaften nördlich und südlich der Zone Tweed-Solway sich wahrnehmbar unterschieden."

Crannogs und Souterrains wurden bereits im vierten bis zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung errichtet, also vor dem ersten römischen Feldzug auf den Britischen Inseln unter Cäsar im Jahr 55 v.u.Z. Die Grenze zwischen den unterschiedlichen Kulturen sei nicht identisch mit dem Verlauf des Hadrianswalls, so der Forscher: "Der Wall folgte stattdessen der besten strategischen Linie durch eine breitere Zone kultureller Unterschiede."

Die archäologischen Befunde legen nahe, dass die Gesellschaft im eisenzeitlichen Schottland nicht zentralisiert war und aus einer Vielzahl unabhängiger Gemeinden bestand. Weiter im Süden bestanden Stammeskönigreiche, die leichter in die politischen Strukturen der Römer integriert werden konnten.

Erst lange nachdem die Römer Britannien verlassen hatten, im fünften Jahrhundert unserer Zeit, finden sich in Südschottland zusammen mit Anzeichen der Christianisierung Indizien für eine Übernahme römischer Schrift und lateinischer Bezeichnungen. "Das passierte erst, als die eisenzeitliche Gesellschaft in Schottland hierarchisch geworden war," erklärte Dr. Toolis.

Im frühen Mittelalter entwickelten sich Hügelfestungen, in denen sich die örtliche Aristokratie sammelte. In diesen Festungen fand, wie Ausgrabungen belegen, länderübergreifender Handel und die Produktion von Luxusgütern wie Gold- und Silberschmuck statt. "Diese Zusammenballungen von Siedlungen der frühmittelalterlichen Eliten spiegeln wider, wie die Gesellschaft in Schottland einen Prozess nachvollzog, in dem Haushalte Macht und Status ansammeln. Ein Prozess, dessen Entwicklung während der ersten Jahrhunderte unserer Zeit unterbrochen worden war, entweder infolge der römischen Aggression oder durch innere soziale Unruhen", so Dr. Toolis.

Auch wenn die Menschen, die im späteren Schottland lebten, sich als Briten, Schotten oder Pikten gesehen haben mögen, teilten sie miteinander doch kulturelle Merkmale, die sie deutlich von ihren südlichen Nachbarn unterschieden. Es war also nicht erst der Hadrianswall, der zur Bildung eines Schottlands führte, welches sich von England unterschied.

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