Der russische RT-Reporter Konstantin Pridybaylo ist weiterhin vor Ort im improvisierten Flüchtlingslager an der weißrussisch-polnischen Grenze und berichtet von der Stimmungslage bei den Migranten. Am Abend teilte er ein Video auf Telegram, das eine jubelnde Menschenmenge zeigt, und kommentierte:
"Im Lager geht die Information um, dass Deuschand Polen irgendwie doch zur Öffnung der Grenze gedrängt hat, um die Flüchtlinge auf sein Territorium zu lassen, damit sie nach Deutschland weiterreisen können. Diese Information wird per Mundpropaganda und in Chats geteilt."
Diese Nachricht sei von den Flüchtlingen mit großer Freude aufgenommen worden. Inwieweit sie wahr ist, sei unbekannt, "aber sie freuen sich und singen". Pridybaylo resümierte:
"Sie glauben daran, dass Deutschland sie aufnimmt."
Die Meldung des RT-Reporters wurde rege geteilt und kommentiert. Die ukrainische Internetzeitung strana.ua schätzt die Situation als explosiv ein:
"Wenn sich diese Nachricht als falsch erweist und die Hoffnungen nicht erfüllt werden, kann der Jubel durch Verzweiflung und dann durch Wut ersetzt werden. Danach könnten die Migranten mit neuem Elan die polnische Grenze stürmen."
Ein Twitter-Kanal, der den überwiegend kurdischen Flüchtlingen nahe steht, schrieb, dass die Nachricht ein Fake sei. Es wurde behauptet, dass am Montag hunderte von Bussen ankommen werden, um sie alle nach Deutschland zu bringen.
"Viele glauben daran, schreien vor Freude, rennen zu den Zäunen an der polnischen Grenze und schreien 'Polen, Polen'.''
Pridybaylo berichtete am Samstag mehrmals von der Situation an der Grenze. So zeigte er Menschen, die in einem engen Korridor zwischen dem Stacheldraht und einem leichteren Drahtzaun in der sogenannten "Pufferzone" verweilen.
"Etwa 60 Personen sind schon seit zwölf Stunden hier. Sie kochen Nudeln am Feuer und versuchen, sich aufzuwärmen. Jemand kocht etwas, der Müll wird in einem separaten Sack gesammelt, die Menschen versuchen hier, zu überleben." In einem weiteren Video ist zu sehen, wie militärisch uniformierte Weißrussen wärmere Kleidung an die Migranten verteilen.
"Auf der polnischen Seite sehen wir eine absolut unmenschliche Haltung: Die Menschen werden in einen engen Raum getrieben, der auf der einen Seite durch Stacheldraht und auf der anderen Seite durch ein Gitter begrenzt ist", sagte der RT-Reporter.
Wie der RT-Reporter zuletzt (um 21:19 am Samstag) berichtete, seien in der Puffer-Zone Personen inzwischen von den Polen abgeholt worden.
Die polnische Seite behauptet, dass Migranten durch weißrussisches Militär zur Überquerung der Grenze angetrieben werden. So versuchte in der Nacht zu Samstag, eine Gruppe von hundert Migranten bei Wolka Terechowska vergeblich, die Grenze zu durchbrechen. Die Gruppe sei von belarussischer Seite mit Tränengas ausgestattet worden und habe dieses gegen polnische Sicherheitskräfte eingesetzt, teilte Polens Grenzschutz per Twitter mit. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Warschau schickt Weißrussland immer mehr bewaffnete Sicherheitskräfte an die Grenze.
Auf einem auf Twitter verbreiteten Video, zeigen Migranten selbst, wie sie zwischen den Grenzern von beiden Seiten eingepfercht sind. "Wir können weder zurück noch nach vorne. Soldaten blockieren uns", sagte der Autor des Videos auf Kurdisch und flehte mehrmals um Hilfe.
In einem weiteren Video wurde beklagt, dass in der Nacht die polnische Seite Scheinwerfer, Laser und Sirenen einschaltet, um den Menschen Schlaf zu rauben.
Die Vorwürfe gegen den weißrussischen Präsidenten als mutmaßlicher Drahtzieher der Unruhen sind im Westen nach wie vor laut. Mehrere Politiker in Polen und der EU sehen nicht nur weißrussische Behörden hinter der Migrantenkrise, sondern auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Russland weist die Vorwürfe entschieden zurück. In einem Interview sagte Putin, dass sich westliche Sicherheitsorgane und Geheimdienste um Schleusernetzwerke kümmern sollten, die in Europa agierten.
Zugleich warf er dem polnischen Grenzschutz "inhumanes Handeln" vor. Nach Angaben von Putin kommt es jetzt dazu, dass "polnische Grenzschützer und Vertreter der Streitkräfte diese potenziellen Migranten schlagen, über ihren Köpfen aus Kampfwaffen in die Luft schießen, nachts an den Aufenthaltspunkten Sirenen und Licht anschalten, wo Kinder und hochschwangere Frauen sind".
Diese Angaben, wie auch die der polnischen und weißrussischen Sicherheitskräfte, lassen sich nicht unabhängig überprüfen, da Polen in der Grenzregion den Ausnahmezustand verhängt hat. Journalisten und Helfer dürfen nicht hinein.
Inzwischen sind im Grenzgebiet schon mehrere Menschen gestorben. Zuletzt fand die Polizei im polnischen Grenzgebiet eine weitere Leiche. Bei dem Toten handele es sich um einen 20 Jahre alten Mann aus Syrien, sagte ein Sprecher der Polizei in der Woiwodschaft Podlachien am Samstag der Nachrichtenagentur PAP. Demnach wurde die Leiche von einem Forstarbeiter in einem Waldstück nahe des Dorfes Wolka Terechowska entdeckt.
Lukaschenko ordnete humanitäre Hilfe vor allem für die Kinder der gestrandeten Migranten an. Es sollten etwa Essenszelte aufgestellt werden, meldete die belarussische staatliche Nachrichtenagentur Belta am Samstag. Später veröffentlichte Belta Fotos von Stromgeneratoren, die ins Grenzgebiet gebracht worden sein sollen.
Nach Sanktionsdrohungen der EU hatte zuvor die Türkei entschieden, Staatsbürger mehrerer arabischer Länder nicht mehr von ihrem Staatsgebiet aus nach Weißrussland fliegen zu lassen. Am Abend teilte die syrische Airline Cham Wings auf Twitter mit, Flüge in die weißrussische Hauptstadt Minsk einzustellen. Es sei zu schwierig, zwischen Passagieren zu unterscheiden, die tatsächlich nach Belarus wollten und solchen, die von dort weiterziehen wollten, hieß es.
Update: Die 60 Migranten, die am 13. November in der ,"Puffer-Zone" der polnischen Grenzschutzvorrichtung verharrt hatten, sind inzwischen wieder auf weißrussischem Territorium aufgetaucht. Laut RT-Reporter Konstantin Pridybaylo sind sie von der polnischen Grenzpolizei 3 Kilometer vom provisorischen Lager entfernt weggebracht und in einem menschenleeren Grenzabschnitt zurück auf weißrussisches Gebiet abgeschoben worden.
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