Bei der Umstellung auf saubere Energie spiele Gas eine bedeutende Rolle. Und das sollte sich nach Ansicht von Bundestagsmitglied Bernd Westphal (SPD) "natürlich in der Taxonomie widerspiegeln". Der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der SPD äußerte sich zu diesem Thema bei einer Veranstaltung der Denkfabrik Agora Energiewende in Berlin, und bezog sich dabei auf die sogenannte Grüne Taxonomie – ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen der EU-Kommission.
Während sich der Klimaplan 2030 der Europäischen Kommission zu Recht auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien fokussiere, müsse die Rolle von Erdgas als letztem fossilen Brennstoff und als "Brücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien" seitens der EU bei den Regeln für grüne Finanzierungen anerkannt werden.
So könne Erdgas beispielsweise zur Reduzierung von Eisenerz in der Stahlindustrie verwendet werden, zitiert EURACTIV den Angeordneten, der auch in themennahen Beiräten wie der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz e.V. (DENEFF) oder der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) tätig ist bzw. war.
Westphal erklärte, dass "Erdgas um die Hälfte sauberer ist als die Stahlproduktion mit Kokskohle in einem Hochofen."
"Dies gilt auch für die Nutzung von Erdgas zur Strom- und Wärmeerzeugung. Dies erfordert eine sinnvoll gestaltete EU-Taxonomie, auch im Hinblick auf die Rolle des Erdgases. Für die Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähige Preise ist es unerlässlich, Erdgas als letzten fossilen Rohstoff als Brücke in das erneuerbare Zeitalter zu nutzen", sagte der Politiker.
Laut dem Vorstandsvorsitzenden des deutschen Energiekonzerns RWE auf derselben Veranstaltung zur Energiewende am 7. September 2021 sei der Bedarf an Erdgas hierzulande groß:
"Wir brauchen in Deutschland ungefähr 20 bis 30 Gigawatt neue Gaskraftwerke."
Die grüne Finanztaxonomie der EU ist ein geplantes Kennzeichnungssystem für Investitionen, anhand dessen Industrien und Unternehmen Milliarden von Euro zukommen sollen, die für alle oder einen Teil ihrer Aktivitäten ein "nachhaltiges" Label erhalten. Dieses grüne Investitionslabel umfasst bisher dreizehn Sektoren. Es lässt jedoch die Bereiche Kernkraft und Gas aus, für die in den kommenden Monaten ein separater Vorschlag erwartet wird. Berlin ist abgeneigt, die Atomkraft aufzunehmen, bei Gas aber offen. Weil die Taxonomie Erdgas nicht aufführt, haben zehn EU-Länder gedroht, ein Veto dagegen einzulegen.
Dass Gas wohl unabdingbar ist, betont auch der Kommissar für Klimaschutz der EU-Kommission, Frans Timmermans: "Erdgas wird wahrscheinlich notwendig sein, um von Kohle auf nachhaltige Energie umzusteigen."
Der Vorsitzende des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments, Pascal Canfin, betont die Rolle von Gas als Ersatz für Kohle:
"Die Frage, die wir uns stellen sollten, ist folgende: Unter welchen Bedingungen kann Gas als Hilfe für den Übergang angesehen werden, wenn es Kohle ersetzt und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleistet?"
Während die Bundesregierung betont, dass in Deutschland die Versorgungssicherheit hoch sei, befürchten die Verbraucher zunehmend Engpässe beim Gas im anstehenden Winter. Der Essener Energiekonzern E.ON, einer der zehn größten Gasversorger in Deutschland, nimmt wegen der stark gestiegenen Preise vorerst keine Neukunden mehr auf. "Leider können wir Ihnen derzeit keine Erdgas-Produkte anbieten", heißt es auf der Internetseite des Unternehmens.
Auch der baden-württembergische Energiekonzern EnBW hat seine Angebote von den Vergleichsportalen Verivox und CHECK24 entfernt, biete aber nach eigenen Angaben weiterhin Gas auch für Neukunden an. Einen Lieferstopp dürften hingegen Stromkunden der Rheinischen Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft fürchten. Denn sie haben in mehreren Bundesländern Kündigungsschreiben erhalten. Neben Öl ist auch der Preis für Gas in den vergangenen Monaten drastisch angestiegen. Nach Angaben des Vergleichsportals CHECK24 verteuerte sich die Megawattstunde Gas binnen Jahresfrist um 451 Prozent auf 44,03 Euro.
Die Konjunkturerholung nach dem Einbruch in der Corona-Krise und der damit erhöhte Energiebedarf wird als ein Grund dafür angegeben. Aber auch die Umleitung von Flüssigerdgas (LNG) aus den USA nach Asien, wo höhere Preise erzielt werden, trägt wohl zu der Verteuerung des hiesigen Gases bei.
Weiterhin sind in Deutschland seit Jahresbeginn 25 Euro je Tonne Kohlendioxid fällig, das beim Verbrennen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas entsteht. Hinzu kommen Sondereffekte wie die Rücknahme der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung des zweiten Halbjahres 2020, die inzwischen voll auf die Teuerung durchschlägt.
Einige Stimmen sehen Russland in der Verantwortung. Allerdings zählen dazu "Experten" von nicht gerade neutralen Denkfabriken. Die Bundesregierung hat ebenso wie Moskau betont, dass Russland alle Verträge einhält.
EU-Energiekommissarin Kadri Simson stellte am Mittwoch eine sogenannte "Toolbox" mit Werkzeugen vor, die EU-Länder anwenden können, ohne gegen die europäischen Wettbewerbsregeln zu verstoßen. Unter anderem schlägt die Kommission direkte Zahlungen, Steuererleichterungen und Subventionen für kleine Unternehmen vor. Sie erwägt aber auch mittelfristige Reformen, um den europäischen Energiemarkt auf lange Sicht robuster zu machen. Die Brüsseler Behörde will sich auch einen Vorschlag für gemeinsame Gaseinkäufe und Gasreserven genauer anschauen. Die Bundesregierung ist da zurückhaltend. In Deutschland werde Gas nicht vom Staat eingekauft, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
Mehrere EU-Mitgliedsstaaten haben kurzfristig eingegriffen, um Privathaushalte vor hohen Strom- und Heizungsrechnungen zu schützen. Die amtierende Bundesregierung jedoch plane keine zusätzlichen staatlichen Maßnahmen gegen die steigenden Energiepreise, so Seibert. Maßnahmen, die die nächste Regierung betreffen würden, könne er nicht ankündigen. Der Deutsche Mieterbund und der Bundesverband Verbraucherzentrale (VZBV) forderten indes ein Gegensteuern der neuen Bundesregierung. Ansonsten drohe in den kommenden Jahren eine "Nebenkostenexplosion", warnten die beiden Verbände.
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