In Deutschland ist der SPD-Politiker und Gesundheitsökonom aus der Corona-Berichterstattung nicht mehr wegzudenken. Wenn es um die Gefahren von COVID-19 geht, ist seine Präsenz seit gut anderthalb Jahren fester Bestandteil in sämtlichen Polit-Talkshows des Landes. Hinzu kommt die Unermüdlichkeit, mit der er das Kurznachrichtenmedium Twitter nutzt, um als ambitionierter Mahner und Warner in Sachen Corona seine Botschaften unters Volk zu bringen.
Kein Wunder also, dass längst auch das Ausland auf das "Phänomen" Lauterbach aufmerksam geworden ist – zumindest das deutschsprachige. So etwa die Schweizer, denen man, um ein charmantes Vorurteil zu bedienen, eine eher gelassene, aber nicht minder rationale Sicht auf die Irrungen und Wirrungen des Lebens nachsagt.
Am Montag widmete sich dann die Online-Publikation dieostschweiz.ch dem "Phänomen Lauterbach", einem demzufolge als Politiker getarnten "Hysteriker". Damit ist der Ton für den Außenblick auf den SPD-Politiker gesetzt.
Was für Deutschland gilt, gilt ebenso für die Schweiz: Seit über einem Jahr drehen sich gefühlt sämtliche Polit-Talkshows um das Thema "Corona"; und da ist Lauterbach nach Ansicht des Autors Stefan Millius geradezu eine Idealbesetzung, denn Lauterbach, so ist sich der Chefredakteur von Die Ostschweiz sicher:
"Lauterbach ist der fleischgewordene Unfall auf der Autobahn."
Den Zuschauer gruselt es, und doch fühlt er sich angezogen von dem, was sich vor den eigenen Augen abspielt, so die mutmaßliche Logik hinter der Talkshow-Präsenz des 58-Jährigen. Und noch eine weitere Logik der quotenhungrigen Medien wird von Lauterbach demnach allzu virtuos bedient: die offenkundig unstillbare Faszination, die von Tragik und Apokalypse ausgeht. Die von Millius diagnostizierte Corona-Hysterie sei hierfür ein aktuelles Beispiel.
Lauterbach wiederum ist nach dieser Lesart "das Sinnbild der laufenden Hysterie", denn "es ist völlig egal, wie stark die Panik sonst bereits herbeigeschrieben" werde, "Lauterbach setzt immer noch einen drauf".
"Bei ihm ist alles immer einige Runden schlimmer, verhängnisvoller, dramatischer. So etwas wie Entspannung kennt er nicht, mehr noch: Sie versetzt ihn in Aufregung."
Besorgniserregend sei dabei, dass Lauterbach seine "innere Paranoia" nicht mit sich ausmache, sondern, aus nicht minder pathologischen Gründen, geradezu gezwungen sei, sie anderen aufzudrängen – "wie in einem Fieberrausch".
Aus dieser Perspektive betrachtet, sei "Corona" für das SPD-Mitglied, dem bislang keine höheren politischen Weihen zuteilwurden, geradezu ein Geschenk des Himmels und ebenso selbstverständlich wie zwingend "eine Mischung aus Ebola, spanischer Grippe und der Pest. Von Anfang an".
"Jede bloße Idee einer Mutation, die das Ganze steigern könnte, ist sein Lebenselixier. Er fasst es gar nicht, dass sich immer noch Menschen an der freien Luft bewegen, und wenn sie es ohne Maske tun, sind sie für ihn eine Art Serienmörder."
Dabei macht Lauterbach nach Ansicht des Autors kein großes Federlesen um die Substanz seiner Einlassungen und Mutmaßungen. Das muss er auch nicht, denn zu kurz ist das Gedächtnis des modernen Medienrezipienten und zu flink der Berufspolitiker, wenn es um das Streuen neuer Interpretationen und einseitiger Informationen geht. Lauterbach "hüpft einfach zum nächsten Schauplatz des sicheren Untergangs der Menschheit" und bleibt so Herr über das eigene Corona-Narrativ.
"Lauterbach wartet gar nicht erst darauf, bis er und seine apokalyptischen Weissagungen widerlegt werden. Er ist dann bereits wieder einen Kilometer weiter."
Das Universum des fünffachen Vaters gleiche dabei einer Mischung aus dem apokalyptischen Serienhit "The Walking Dead" und dem Filmklassiker "Planet der Affen". "Zerstörung, Verwüstung und der allgegenwärtige Tod sind das Markenzeichen unserer Zeit für ihn." Auch wenn dabei die Sorge vor dem immer unmittelbar bevorstehenden Untergang der Menschheit und dem Schicksal der Kinder mutmaßlich stets die Grundlage seines inneren Antriebes bilden.
Chefredakteur Millius argumentiert:
"Würde ein impfkritischer Mensch ein einziges Mal mit dem verbalen Instrumentarium von Lauterbach um sich schlagen, würde es umgehend heißen: Da spricht ein Verrückter."
Nachdenklich stimmt es den Autor des Ostschweiz-Artikels, dass Lauterbach trotz seiner zur Expertise stilisierten Hysterie – oder womöglich vielmehr aufgrund dessen – "bei einem großen Teil der Deutschen einen seltsam anmutenden Artenschutz" genieße und gar als "Experte" gehandelt werde.
"Denn nichts verkauft sich besser als die Verkündigung größten Unheils. Und keiner verkündet dieses so entschieden wie Lauterbach."
Vor allem in den sozialen Medien ließe man Lauterbach nicht alles durchgehen, "gleichzeitig huldigen ihm aber auch Massen von Menschen als eine Art Messias, der sie vor dem Jüngsten Gericht bewahrt".
Eine ganz andere Frage sei es, ob Lauterbach von Politik und Medien tatsächlich als Fachmann ernst genommen werde, doch das sei eben kein Widerspruch zu seiner flächendeckenden Präsenz in Funk und Fernsehen.
"So gut wie nichts von dem, was er mit beschwörend-irrem Blick von sich gibt, tritt dann auch ein. Das müsste inzwischen jedem aufgefallen sein, seinem Marktwert tut es aber keinen Abbruch."
Im weiteren Verlauf des Artikels nimmt Millius Bezug auf einen offenen Brief, den 37 Ärzte Ende März an die Adresse Lauterbachs formulierten und in dem sie dessen fehlende Trennung seines politischen Mandats und seiner Berufszulassung als Arzt kritisierten.
In dem offenen Brief heißt es:
"Immer wieder treten Sie mit extremen Meinungsbekundungen im Zusammenhang mit SARS-CoV2-Infektionen auf. Dabei nehmen Sie zumindest billigend in Kauf, in der Bevölkerung den Irrtum auszulösen, Ihre Äußerungen gründeten auf Ihrer ärztlichen Kompetenz oder auf ärztlicher Verpflichtung gegenüber dem Allgemeinwohl."
"Der Mann verbreitet kein Wissen, sondern nackte Angst", lautet die Zusammenfassung im Meinungsartikel der Online-Publikation Ostschweiz. Das Medien-Phänomen Lauterbach lasse sich letztendlich dadurch erklären, dass er Emotionen auslöse. Hinzu käme, dass er vermutlich sogar selbst glaube, was er sagt, und zwar "selbst wenn eine gehörige Portion Selbstzweck dabei ist".
Anfang Juli gab Lauterbach zu Protokoll, dass das Amt des Gesundheitsministers "nach wie vor sehr reizvoll" sei. Er sei zudem "recht zuversichtlich, dass mich diese Aufgabe nicht überfordern würde". Der Logik des Autors folgend, stellt sich jedoch die Frage, ob nicht umgekehrt die Bevölkerung überfordert wäre.
"Er sieht sich selbst als nächsten Gesundheitsminister, aber auch das vermutlich nur, weil er als Kanzler nun wirklich selbst dem größten Fan ein bisschen zu viel wäre."
Doch auch ob der Politiker tatsächlich mit einem Ministeramt für seine schon über anderthalb Jahre währenden Einlassungen zur COVID-19-Pandemie belohnt wird, steht aufgrund des Phänomens Lauterbach folglich auf einem völlig anderen Blatt.
Dass Lauterbach seine "Expertise" nicht als Landsmann in der Schweiz unters Volk bringt, lässt den Autor zumindest etwas aufatmen. So wirke die eigene Corona-Taskforce "neben Lauterbach wie ein Hort der reinen Vernunft und Zurückhaltung".
"Nicht, dass es das besser macht. Aber manchmal muss man ja die Hoffnung auch aus kleinen Dingen schöpfen."
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