Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat am Montag die Auffassung geäußert, dass es falsch sei, von einer in allen Fragen einheitlichen Wertegemeinschaft unter den Ländern der Europäischen Union (EU) auszugehen. Orbán sagte:
"Es gibt keine Einheit der Werte, und deshalb gibt es auch keine politische Einheit."
Der Ministerpräsident reagierte damit auf Äußerungen seines niederländischen Amtskollegen Mark Rutte auf dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche. Rutte hatte gesagt, dass Ungarn die EU verlassen müsse oder das kürzlich verabschiedete LGBTQ-Gesetz zurücknehmen solle. Zwar könne die EU ein Land nicht zum Austritt zwingen, jedoch könnte ein "schrittweises Vorgehen" den beabsichtigten Effekt erzielen, so Rutte gegenüber Journalisten. Sein Ziel sei es, "Ungarn in dieser Frage in die Knie zu zwingen". Und weiter:
"Sie müssen erkennen, dass sie entweder Teil der Europäischen Union und dieser Wertegemeinschaft sind, was bedeutet, dass in Ungarn (...) niemand diskriminiert werden kann (...) aufgrund von sexueller Orientierung, Hautfarbe, Geschlecht und was auch immer."
Das ungarische Gesetz, das Rutte zum Anlass für seine Äußerungen nahm, untersagt die Darstellung von Homosexualität und Geschlechtsumwandlung in Text, Bild, Film und Werbung gegenüber Minderjährigen. Somit dürfen etwa in Filmen zwar Pärchen vorkommen, aber keine homosexuellen Pärchen – auch dann nicht, wenn es keine Sexszenen gibt. Orbán sieht das Gesetz im Einklang mit den EU-Regularien und beruft sich dabei auf Artikel 14 der EU-Grundrechtecharta. Darin heißt es unter anderem, dass "das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen", nach "den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet" werde. Orbán führte aus:
"Die Migration ist kein Menschenrecht, und die Art und Weise der sexuellen Erziehung des Kindes ist auch kein Menschenrecht des Kindes. So ein Menschenrecht gibt es nicht. Stattdessen gibt es Artikel 14 der Charta der Grundrechte über das Recht der Eltern, ihren Kindern die entsprechende Erziehung zu sichern."
Wenn man die EU zusammenhalten wolle, so müssten die Liberalen die Rechte der Nichtliberalen respektieren, so das Fazit des ungarischen Ministerpräsidenten. Ungarns Justizministerin Judit Varga hatte bereits am Donnerstag in einem Twitter-Beitrag auf Rutte reagiert. Darin bezeichnete sie Ruttes Äußerungen als "eine weitere Episode aus der Reihe politischer Erpressungsversuche". Ungarn wolle die EU nicht verlassen. "Im Gegenteil: Wir wollen sie vor Heuchlern schützen", so Varga.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte die Angelegenheit am Freitag während einer Pressekonferenz als eine "existenzielle Frage für die Europäer" bezeichnet. Einen Austritt Ungarns aus der EU unterstütze er jedoch nicht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach mit Blick auf das ungarische Gesetz indes von einer "Schande". Es diskriminiere eindeutig Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Und weiter:
"Es geht gegen alle Werte, die Grundwerte der Europäischen Union, und das ist die Menschenwürde, das ist die Gleichheit, und das sind die menschlichen Grundrechte."
Von der Leyen kündigte zunächst harte Maßnahmen an. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer brachte die Kürzung von EU-Fördergeldern für Ungarn ins Spiel. Für ein Rechtsstaatsverfahren fehle jedoch die juristische Grundlage, wie die zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová am Montag auf Nachfrage von Journalisten mitteilte. Der sogenannte Rechtsstaats-Mechanismus ist auf das EU-Budget und den Corona-Aufbaufonds zugeschnitten. Sanktionen können dann erfolgen, wenn die korrekte Verwendung von EU-Geldern gefährdet ist. Brüssel sei somit nicht in der Lage, für Ungarn vorgesehene Fördergelder zu kürzen, so Jourová.
Mehr zum Thema - Tschechiens Präsident Zeman: "Ich bin total genervt von der MeToo-Bewegung und Pride Festivals"