Die ukrainische Zeitschrift Serkalo nedeli veröffentlichte am Samstag ein großes Interview mit Anka Feldhusen, der Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland in Kiew. Die deutsche Diplomatin äußerte sich unter anderem über den langjährigen Donbass-Konflikt und über einen möglichen Beitritt der Ukraine zur NATO. Feldhusen brachte zum Ausdruck, sie spüre sieben Jahre nach den Maidan-Protesten eine Art Frustration im ukrainischen Volk. Die Probleme seien groß, und dem Land stehe noch ein langer Weg in Richtung EU bevor.
Die Botschafterin freute sich darüber, dass die Ukraine den Status eines NATO-Partners mit erweiterten Möglichkeiten erhalten hatte. Feldhusen sprach von "politischen Möglichkeitsfenstern" für einen NATO-Beitritt. Das Land solle alle Gelegenheiten nutzen, um sich der Allianz zu nähern, und sollte bereit sein, falls sich eine Beitrittsmöglichkeit bietet.
"In der NATO arbeiten 30 Staaten zusammen. Das ist eine Konsens-Organisation, und dieser Konsens muss gefunden werden. Ich glaube, die Ukraine hat sehr einflussreiche Partner, die den ukrainischen Anspruch auf eine NATO-Mitgliedschaft unterstützen."
Die Diplomatin meinte in diesem Zusammenhang, dass Kiew den Einfluss Berlins auf die Allianz überschätze. Dort gebe es andere große Akteure – wie die USA, Frankreich, Großbritannien und Kanada.
"Ich glaube, man sollte eben mit diesen Ländern sprechen, die die Ukraine sehr unterstützen, und auf den Einfluss dieser Länder in der Organisation rechnen."
Feldhusen räumte aber gleichzeitig ein, dass dies nicht morgen passieren werde. Dabei handele es sich um eine "politische" Entscheidung. Denn die NATO habe schon immer Probleme mit den Ländern gehabt, wo gerade ein Krieg geführt werde.
"Einer der NATO-Vorzüge ist der Artikel 5 des Nordatlantikvertrags von Washington. Und alle haben Angst vor einem direkten Krieg gegen Russland."
Die NATO arbeite mit der Ukraine buchstäblich jeden Tag zusammen und beobachte die Entwicklungen im Land sehr genau.
Die Diplomatin erläuterte außerdem die Entscheidung Deutschlands, im Unterschied zu anderen westlichen Ländern bislang keine Waffen an die Ukraine zu liefern.
"Von der Geschichte her ist Osteuropa für Deutschland ein besonderer Teil der Welt. Wir alle sind mit der Idee aufgewachsen, dass es hier nie wieder deutsche Soldaten und deutsche Waffen geben wird. Diese Idee ist sozusagen in der DNA der Deutschen."
Trotzdem schloss Feldhusen nicht aus, dass sich die Haltung Deutschlands zu dieser Frage irgendwann ändern könne. Denn die Zeiten und die Regierungen änderten sich auch.
Nach dem Interview der deutschen Botschafterin in Kiew kritisierte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa am Samstag auf Telegram die EU- und NATO-Politik gegenüber der Ukraine scharf. Sie wies darauf hin, dass die westlichen Länder mit der Hilfe ihrer Botschafter und Außenminister die Proteste in der Ukraine geschürt und das Land bis zum Verlust seiner Souveränität geführt hatten. Sie hätten sich damals an das Recht und die Ethik erinnern sollen, als sie die Maidan-Proteste in der Ukraine finanziert und Kämpfer ausgebildet hätten, betonte die russische Diplomatin.
"Heute ist eine weitere friedliche Einwohnerin von Gorlowka bei einem Beschuss durch die ukrainischen Streitkräfte verletzt worden. Werden Berlin und Paris das wieder unbemerkt lassen? Oder werden sie sich auf die NATO-Satzung berufen? Diese Position ist eben sehr bequem."
Dabei betonte Sacharowa, dass der russischen Außenpolitik nicht die Angst vor einem Krieg gegen jemanden zugrunde liege, sondern die Aufrechterhaltung des Friedens am Herzen liegt.
Am Sonntagmorgen hatten die Behörden der international nicht anerkannten Volksrepublik Donezk mitgeteilt, die ukrainische Armee habe die Stadt Gorlowka rund 40 Kilometer nördlich von Donezk unter Beschuss genommen. Dadurch sei eine Zivilistin zu Schaden gekommen. Danach habe die Volksmiliz die ukrainischen Gefechtsstände niedergeschlagen, von denen aus Gorlowka beschossen worden wäre. Die Behörden der nicht anerkannten Volksrepublik baten die Vertretungen der UNO und der OSZE, den Verstoß gegen das Völkerrecht seitens der Ukraine zu registrieren.
Nach dem Umsturz in Kiew im Februar 2014 und der Wiederangliederung der Schwarzmeer-Halbinsel Krim an Russland im Rahmen eines Referendums hatte die neue ukrainische Führung im April 2014 eine Militäroperation gegen die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk gestartet, die ebenfalls ihre Unabhängigkeit von der Ukraine erklärt hatten. Die Ukraine warf Russland daraufhin vor, die überwiegend russischsprachige Region Donbass angeblich "besetzt" zu haben und den Separatismus dort zu unterstützen. Im Januar 2015 erklärte das ukrainische Parlament die Russische Föderation zu einem "Aggressor-Staat".
Die Regierung in Moskau weist jede Beteiligung an dem innerukrainischen Konflikt zurück und ruft die Regierung in Kiew auf, das im Februar 2015 vereinbarte Minsker Abkommen zur Beilegung des Donbass-Konfliktes zu befolgen. Nach UN-Angaben soll der Konflikt im Osten der Ukraine mindestens 3.375 Zivilisten (Stand 31. Januar 2021) Opfer gefordert haben.
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