"Schlächter vom Balkan": UN-Tribunal entscheidet über Berufung von Ratko Mladić

Für die einen ist der bosnisch-serbische Ex-General Ratko Mladić ein Nationalheld, für die Opfer des Krieges und Hinterbliebenen des Srebrenica-Massakers ist er hingegen der "Schlächter vom Balkan". Am Dienstag entscheidet ein UN-Berufungsgericht über den Antrag des Verurteilten auf Freilassung.

Das Bild ist vielen ins Gedächtnis gebrannt: Der bullige serbische General Ratko Mladić verteilt Süßigkeiten an Kinder in der bosnischen Enklave Srebrenica. Es ist Juli 1995. Chefankläger Serge Brammertz sieht die Szene vor sich: "Mladić spricht beruhigend zu den Gefangenen. Die lässt er wenig später ermorden."

Schlimmste Verbrechen im Bosnien-Krieg (1992–1995) mit Zehntausenden Toten sind der Grund, weshalb Mladić der "Schlächter vom Balkan" genannt wird. Dazu gehört das Massaker von Srebrenica, das als Völkermord eingestuft wird. Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verurteilte den Ex-General 2017 in erster Instanz zu lebenslanger Haft. Nun haben am Dienstag (8. Juni) die Berufungsrichter das letzte Wort. Chefankläger Brammertz zweifelt nicht daran, dass es bei der lebenslangen Haftstrafe bleibt.

Es ist auch der letzte große Prozess des Tribunals und der letzte internationale Prozess zum Massenmord von Srebrenica, dem ersten Völkermord in Europa nach 1945. Serbische Truppen hatten unter dem Befehl von Mladić im Juli 1995 die UN-Schutzzone überrannt. Die niederländischen Blauhelme und die NATO-Luftwaffe widersetzten sich nicht. Die serbischen Soldaten ermordeten nach UN-Angaben rund 8.000 bosnisch muslimische Männer und Jungen. Im März 2019 war der politische Gefährte von Mladić und Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadžić (75), dafür bereits endgültig zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Mladić war erst 2011, also 16 Jahre nach Ende des Krieges, gefasst und dem Tribunal übergeben worden. Er ist auch angeklagt für die jahrelange Belagerung Sarajevos mit mehr als 10.000 Toten und die sogenannten "ethnischen Säuberungen" auch in anderen Kommunen mit Ermordungen und Vertreibungen. Die Anklage sieht es als erwiesen an, dass er gemeinsam mit anderen einen "ethnisch reinen serbischen Staat" als Ziel hatte. Die Mittel dazu waren demnach Mord, Vertreibung und Völkermord der nicht-serbischen Bevölkerung. Die Anklage hofft, dass nun auch Verbrechen in anderen Kommunen als Völkermord anerkannt werden.

Der Angeklagte selbst aber, heute 78 Jahre alt, erwartet nichts anderes als einen glatten Freispruch. Er habe nur seine Pflicht getan, beteuert er stets. "Ich bin kein Heiliger, ich bin nur ein einfacher Mann", sagte er in seinem Schlusswort im vergangenen Jahr. "Das Schicksal hat mich in die Lage versetzt, mein Land zu verteidigen, das von westlichen Mächten zerstört wurde." Dazu zählte er auch den Vatikan, die USA und Deutschland. Und das UN-Gericht ist für ihn sowieso nur ein Sprachrohr des Westens.

"Der Prozess gegen Mladić hat große Bedeutung – vor allem für die Opfer und Überlebenden wie die 'Mütter von Srebrenica'", sagt Chefankläger Brammertz im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Sie sagten mir von Anfang an: Wir wollen Karadžić und Mladić vor Gericht, das ist das Einzige, das uns etwas Genugtuung geben kann."

Aber auch Brammertz weiß: Ein Schuldspruch kann nur Teil der Aufarbeitung sein. Noch immer sind wohl mehr als eintausend Opfer von Srebrenica vermisst und viele Täter nicht vor Gericht gestellt. "Die Verherrlichung der Täter und die Leugnung von Verbrechen ist das größte Problem", kritisiert der belgische Jurist. "Politiker schämen sich nicht, verurteilte Kriegsverbrecher zu loben und zu preisen, ein Studentenwohnheim wurde nach Karadžić benannt." In Montenegro hätten Regierungsmitglieder den Völkermord von Srebrenica öffentlich bezweifelt. "Die internationale Gemeinschaft müsste hierauf viel stärker reagieren."

Das UN-Tribunal in Den Haag hat Rechtsgeschichte geschrieben, es war das erste internationale Gericht zu Kriegsverbrechen in Europa nach den Nürnberger Prozessen zu den Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg. Der UN-Sicherheitsrat hatte bereits 1993 die Errichtung des Tribunals beschlossen.

Der Völkermord von Srebrenica wurde dadurch zwar nicht verhindert. Doch nicht zuletzt die Srebrenica-Verfahren legten die Basis dafür, dass für Völkermord nicht nur die militärisch, sondern auch die politisch Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden können.

Das Verfahren gegen den bosnisch-serbischen Ex-General war ein Mammutprozess mit fast Zehntausenden Dokumenten und 377 Zeugen. Nach dem Urteil der ersten Instanz verzögerten Krankheiten und am Ende auch die Corona-Maßnahmen die Fortsetzung. Doch die größte Sorge vieler, dass Mladić das Ende des Prozesses nicht erleben würde, bewahrheitete sich nicht. Nun ist der letzte Tag da.

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(rt/dpa)