"Zeigen, dass wir beißen können" – EU-Thinktank fordert härtere Gangart gegen US-Sanktionspolitik

Das Jacques-Delors-Institut überrascht mit einem nahezu übermütigen Strategiepapier gegen die US-Sanktionspolitik. In Bezugnahme auf den Atomdeal mit Iran und Nord Stream 2 fordert das Institut ein robusteres Vorgehen der EU gegen extraterritoriale US-Sanktionen.

Die Sanktionspolitik der USA, die auch unter der neuen Administration von Präsident Joe Biden nur unwesentlich entschärft scheint, stößt zunehmend auf Widerstand in der EU. Nun preschte das Jacques-Delors-Institut mit einem sechsseitigen Strategiepapier vor, in dem gefordert wird, dass sich die EU in die Lage bringen müsse, ihre Souveränität stärker und besser zu verteidigen – auch wenn dies zu einer Konfrontation mit Washington führen könnte.

Verantwortlich für das Strategiepapier zeichnen das Jacques-Delors-Institut, die Hertie School/Jacques-Delors-Center sowie namentlich unter anderem Pierre Vimont, Geschäftsführender Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes, und Pascal Lamy, von 1999 bis 2004 EU-Kommissar für Außenhandel und von September 2005 bis August 2013 Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO).

Das Strategiepapier schlägt im Hinblick auf extraterritorial verhängte Sanktionen eine Reihe von Vergeltungsmaßnahmen vor, sollten vorherige Abschreckungsmaßnahmen versagt haben. Die Vergeltungsmaßnahmen sollen individualisiert und zeitlich begrenzt sein. Sie sollen nur so lange andauern, wie die extraterritorial verhängten Sanktionen Bestand haben.

Als mögliche Vergeltungsmaßnahmen schlägt das Strategiepapier unter anderem vor, den Verantwortlichen von extraterritorialen Sanktionen den Zugang zu europäischem Territorium zu verwehren. Auch wird vorgeschlagen, dass Banken aus Ländern, die extraterritoriale Sanktionen verhängen, bei Krediten von der Europäischen Zentralbank oder nationalen europäischen Banken nicht mehr berücksichtigt werden.

Das Gleiche soll für die Teilnahme an bestimmten öffentlichen Ausschreibungen in Europa gelten. Man könne auch den sogenannten EU-Finanzpass aussetzen, eine Regelung, nach der Banken mit einer Zulassung in einem EU-Land ihre Geschäfte auch mit anderen EU-Ländern abwickeln können, sei es die Ausgabe von Anleihen oder der Verkauf von Zertifikaten.

Zudem könne man die Vermögenswerte bestimmter öffentlicher Einrichtungen von Ländern, die Sanktionen verhängen, auf europäischem Territorium einfrieren, so das Strategiepapier weiter. "Wir müssen zeigen können, dass wir beißen können, damit unser Gesprächspartner dem, was wir sagen, mehr Aufmerksamkeit schenkt", zitiert die französische Zeitung Les Échos (leider Bezahlschranke) die Verantwortlichen des Papiers. Die vorgeschlagenen Maßnahmen müssten als Gesetzgebung umgesetzt werden, damit die Europäische Kommission vorankommen könne. Aber die EU müsse auch den Mut aufbringen, dies zu tun. Sollten irgendwelche Mitgliedsstaaten dagegen sein, soll es eine qualifizierte Mehrheit geben.

Man habe mit den extraterritorialen Sanktionen gegen Iran, die auf jede Person oder Firma abzielten, die mit Teheran zusammenarbeite, deutlich gesehen, dass in erster Linie das Bankensystem lahmgelegt werde. Die Europäer hätten versucht, dem entgegenzuwirken, indem sie den Instex-Mechanismus einrichteten, doch das habe nicht funktioniert. Nicht nur müsse sich die EU stärker vom US-Dollar abkoppeln und dem Euro mehr internationales Gewicht verleihen, das Papier schlägt außerdem vor, "den deutschen Vorschlag auf(zu)greifen, der darauf abzielt, ein für Europa spezifisches Finanznachrichtensystem einzuführen, das ähnliche Dienste anbieten würde wie SWIFT, um Behinderungen durch amerikanische Betreiber zu verhindern".

Man müsse zudem das EU-Finanzsystem mit einer europäischen Außenhandelsbank stärken, die eine Vermittlerrolle zwischen europäischen Unternehmen und dem amerikanischen System übernehme könne. Man habe bei den Kontroversen um den Atomdeal mit Iran und bei der Pipeline Nord Stream 2 gesehen, dass innerhalb der EU nicht immer Einigkeit herrsche. Doch man müsse es allmählich schaffen, "die Europäer davon zu überzeugen, dass wir, wenn wir mit der politischen Linie Washingtons nicht einverstanden sind, in der Lage sein müssen, nein zu sagen und einen politischen Dialog mit ihnen fortzusetzen", wie Les Échos berichtet.

Man lehne das Prinzip der Sanktionen nicht grundsätzlich ab, wie das Beispiel Russland belege, doch man wolle nicht, dass der EU eine politische Linie von einer Autorität aufgezwungen werde, mit der Europa vielleicht nicht einverstanden sei.

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