In einer Videoansprache auf ihrem Youtube-Kanal kündigte Tichanowskaja am Donnerstag den Start einer landesweiten Abstimmung auf der Online-Plattform "Golos" ("Stimme") an. Darin sagte sie:
"Jeder von Ihnen weiß, dass es eine Krise im Land gibt, die wir nur durch Verhandlungen mit internationaler Vermittlung auf friedlichem Wege lösen können."
Die Ex-Präsidentschaftskandidatin betonte, dass das Votum die für Frühling geplante neue Runde der Straßenproteste nicht ersetzen, sondern ergänzen soll. Die Gegner der Regierung wählten "nicht die Waffen, sondern einen gewaltfreien Protest und eine ehrliche Stimme". Die Abstimmung solle außerdem die Verhandlungen mit jenen Vertretern der weißrussischen Staatsführung ermöglichen, die "bereit sind, an die Zukunft zu denken und reife Entscheidungen zu treffen, anstatt die Krise zu einer totalen Katastrophe hinzuziehen", erklärte Tichanowskaja. Das langfristige Ziel der Kampagne sei allerdings die Durchführung von Neuwahlen, sagte sie.
Die Oppositionsführerin behauptete, seit sieben Monaten mit ausländischen Politikern und Organisationen zusammenzuarbeiten. In dieser Zeit habe sie diese über die Situation in Weißrussland aufgeklärt und dabei ihre Unterstützung gewonnen. Laut Tichanowskaja würden die Stimmen ihrer Landsleute internationale Institute wie die OSZE und die UNO zu "entschiedenen Schritten" sowie die Regierung in Minsk dazu bewegen, Verhandlungen anzutreten.
Noch vor der Aufnahme von Gesprächen mit der weißrussischen Regierung wolle die Opposition ihre Verhandlungsposition "durch Proteste und Kampagnen des zivilen Ungehorsams" stärken, sagte Tichanowskaja. Die ersten Ergebnisse der Abstimmung sollen am 25. März bekannt gegeben werden.
Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission in Minsk gewann der amtierende weißrussische Staatschef Alexander Lukaschenko seine sechste Wahl am 9. August 2020 mit 80,1 Prozent der Stimmen. Seine wichtigste Rivalin Tichanowskaja konnte demnach 10,12 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Die weißrussische Opposition erkannte das Wahlergebnis nicht an. Seitdem kommt es immer wieder zu landesweiten Protestzügen, an denen sich Zehntausende Menschen beteiligten. Die Polizei ging mit Tränengas, Gummigeschossen und Blendgranaten gegen Demonstranten vor. Allein in den ersten Tagen wurden nach Angaben des Innenministeriums fast 7.000 Teilnehmer der nicht genehmigten Protestaktionen festgenommen. Hunderte Menschen, darunter Polizisten, erlitten Verletzungen.
Die EU erkannte die Wahlen nicht an und verhängte gegen Lukaschenko und andere hochrangige Beamte Sanktionen. Nachdem sich Tichanowskaja angeblich aus Sicherheitsgründen nach Litauen ins Exil abgesetzt hatte, schrieben die weißrussischen Behörden sie wegen öffentlicher Aufrufe zur Machtergreifung zur internationalen Fahndung aus.
Tichanowskaja ist derzeit die führende Stimme im Exil gegen Präsident Lukaschenko. Die 38-Jährige trifft immer wieder auf ausländische Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
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