Trotz hoher Inzidenz: Tschechisches Verfassungsgericht kritisiert Corona-Schutzmaßnahmen

Tschechien hat derzeit einen der höchsten Corona-Inzidenzwerte innerhalb der EU. Viele Geschäfte mussten infolge der Schutzmaßnahmen schließen, aber nicht alle. Gegen diese Ungleichbehandlung klagte eine Gruppe von Senatoren. Das Verfassungsgericht gab ihr nun recht.

Das tschechische Verfassungsgericht hat einen Teil der Corona-Schutzmaßnahmen der Regierung rückblickend für nichtig erklärt. Konkret ging es um die Geschäftsschließungen in der Zeit vom 28. Januar bis zum 14. Februar.

Das Gericht bemängelte, dass die Maßnahmen ebenso wie eine lange Liste von Ausnahmen unzureichend begründet gewesen seien. Ohne eine überzeugende Erklärung komme es Willkür gleich, wenn zum Beispiel Blumenläden und Waffengeschäfte geöffnet sein dürften, andere Läden aber nicht.

Die Kläger, eine Gruppe von 63 Senatoren, hatten die Ungleichbehandlung von Unternehmern nach Art der verkauften Waren kritisiert und das erlassene Verbot der Ausübung eines Gewerbes als unverhältnismäßig bezeichnet.

In seinem Urteil betonte das Gericht, dass es die Existenz eines legitimen Ziels, das mit der angefochtenen Regierungsmaßnahme verfolgt wurde, nicht in Frage stellt. Die Frage sei jedoch, ob die eingeführte "unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Unternehmergruppen hinreichend gerechtfertigt und verhältnismäßig" sei. Insbesondere, ob es "hinreichend starke Gründe für eine solche unterschiedliche Behandlung gibt".

Das Verfassungsgericht sei sich "voll und ganz bewusst", dass die Regierung mit Problemen im Zusammenhang mit der Pandemie konfrontiert war und ist, die durch gesetzliche Regelungen äußerst schwer zu lösen seien. Behörden im In- und Ausland hätten keine Erfahrung bei der Lösung einer Krise ähnlichen Ausmaßes, die epidemische Situation sei "sehr dynamisch" und es bestehe unter Experten "kein vollständiger Konsens darüber", welche Maßnahmen zur Bewältigung der Krise nötig seien.

Jede Krisenmaßnahme sei "eine politische Entscheidung", die auf Expertenwissen beruhen müsse, aber letztlich in der Verantwortung der Regierung und nicht ihrer Expertenberater liege. Daher müsse die Regierung nicht nur das ihr zur Verfügung stehende Wissen von Sachverständigen berücksichtigen, sondern auch "den Gesamtzusammenhang und die kurz- und langfristigen Auswirkungen ihrer Maßnahmen auf andere Bereiche des sozialen Lebens", so das Gericht.

Mit den aktuell geltenden Schutzmaßnahmen befasste sich das Verfassungsgericht jedoch nicht, obwohl diese sich kaum von den früheren unterscheiden. Die Geschäfte des nicht-alltäglichen Bedarfs bleiben damit in Tschechien weiter geschlossen. Die Opposition begrüßte das Urteil dennoch. Es zeige auf, dass die Regierung nicht einfach "Verbote wie Hasen aus dem Hut zaubern" dürfe, schrieb der Christdemokrat Marian Jurečka bei Twitter. 

Mit rund 968 Corona-Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von 14 Tagen hat Tschechien derzeit einen der höchsten Inzidenzwerte innerhalb der EU. Am Montag meldete das Gesundheitsministerium in Prag 4.002 neue Fälle binnen 24 Stunden. Seit Beginn der Pandemie wurden mehr als 1,1 Millionen Tschechen positiv auf das Coronavirus getestet, es gab 19.330 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Der EU-Mitgliedsstaat hat rund 10,7 Millionen Einwohner.

Mehr zum Thema - "Mutationsgebiete": Deutschland kündigt Grenzkontrollen zu Tschechien und Tirol an

(rt/dpa)