Polen: "Zimmer zum Weinen" statt Abtreibungsrecht für Mütter von Kindern mit Fehlbildungen

Frauen dürfen in Polen auch dann nicht mehr abtreiben, wenn der Fötus Missbildungen oder gar tödliche Defekte aufweist, worauf 98 Prozent der bisherigen Abtreibungen gründeten. Die Regierungskoalition hat vergangene Woche Vorschläge unterbreitet, wie betroffene Frauen unterstützt werden könnten.

In der vergangenen Woche haben wieder zahlreiche Menschen in mehreren polnischen Städten gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts protestiert. In Warschau versammelten sich am vergangenen Freitagabend mehrere Hundert Demonstranten an einem zentralen Verkehrskreisel. Sie trugen Plakate mit den Aufschriften "Ihr habt Blut an den Händen" und "Es tut mir weh, dass Polen mich ans Kreuz hängt" und skandierten in Sprechchören: "Ihr habt euch mit den Frauen angelegt."

Die Polizei setzte Tränengas ein, unter anderem gegen Marta Lempart von der Organisation Allpolnischer Frauenstreik, die federführend bei den Protesten ist. Auch in Krakau, Danzig, Breslau und Kattowitz gab es Demonstrationen.

Im Oktober hatte das polnische Verfassungsgericht entschieden, dass Frauen auch dann keine Abtreibung vornehmen dürfen, wenn das ungeborene Kind schwere Fehlbildungen aufweist. Danach gab es wochenlange Proteste. Die Entscheidung bedeutet eine Verschärfung des polnischen Abtreibungsrechts, das ohnehin zu den strengsten in Europa gehört. Bislang war ein Abbruch in Polen legal, wenn die Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährdet, Ergebnis einer Vergewaltigung ist oder wenn das Ungeborene schwere Fehlbildungen aufweist.

Letzteres war bislang der häufigste Grund für eine Abtreibung, wie die Statistik des Gesundheitsministeriums zeigt. So wurden von den 1.110 Abtreibungen, die 2019 in polnischen Kliniken vorgenommen wurden, 1.074 mit Fehlbildungen des ungeborenen Kindes begründet.

Nachdem die Bekanntgabe des Urteils im Herbst großen gesellschaftlichen Widerstand ausgelöst hatte, war die richterliche Begründung erst Ende Januar, also mit monatelanger Verzögerung im amtlichen Anzeiger veröffentlicht worden. Damit ist sie rechtskräftig. Dadurch flammten die Proteste wieder auf.

Selbst im katholisch geprägten Polen ist die Entscheidung konträr zu dem, was laut Umfragen eine Mehrheit in der Bevölkerung für richtig hält. So fanden Meinungsforscher des Instituts Ibris 2019 heraus, dass 50 Prozent der Befragten das bisherige Abtreibungsrecht befürworteten, während sich 30 Prozent für eine liberalere Regelung aussprachen. Nur 15 Prozent wollten eine restriktivere Gesetzgebung. In anderen Umfragen sprach sich sogar mehr als die Hälfte der Befragten dafür aus, eine Abtreibung auf Wunsch bis zur zwölften Schwangerschaftswoche möglich zu machen.

Polens Menschenrechtsbeauftragter Adam Bodnar rügte, die jüngst veröffentlichte Begründung des Urteils zeige, dass der Staat und die Regierung die Frauen ihrer Selbstbestimmungsrechte beraubten und sie "wiederholt der Folter aussetzten".

"Unterstützung" für die Mütter

Das Urteil hat zudem eine Diskussion über neue Gesetze ausgelöst. Auch im Parlament wurden Forderungen laut, Mütter nun besser zu unterstützen. Zu den Vorschlägen gehört ein Gesetzesentwurf, der letzte Woche von der Partei Vereinigtes Polen (Solidarna Polska), einem der beiden Juniorpartner in einer Regierungskoalition mit der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), angekündigt wurde und die Einrichtung von Hospizen zur Unterstützung von Müttern vorsieht, die einen nicht lebensfähigen Fötus zur Welt bringen.

Als die Sprecherin des Justizministeriums – das von Zbigniew Ziobro, dem Vorsitzenden der Partei Vereinigtes Polen, geleitet wird – vom Fernsehsender TVN24 nach Details gefragt wurde, welche konkreten Unterstützungsmaßnahmen das Gesetz für eine Frau vorsieht, die einen Fötus mit tödlichen Defekten zur Welt bringt, erklärte sie: "Sie wird zum Beispiel in einem separaten Raum die Möglichkeit haben, zu weinen."

Darüber hinaus würde solchen Frauen eine "besondere Betreuung" angeboten, einschließlich psychologischer Behandlung und "Beratung, was als Nächstes zu tun ist".

Die Erläuterungen und Kommentare zogen schnell Kritik von einer Vielzahl von Kommentatoren auf sich. Michał Kolanko, ein politischer Reporter für die Mitte-Rechts-Zeitung Rzeczpospolita, schrieb, dass die Bemerkungen ihn an "The Handmaid's Tale" erinnerten, "Taliban", schrieb Joanna Miziołek von der Wochenzeitung Wprost.

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(dpa/rt)