Im jüngsten Entwurf für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels ist lediglich davon die Rede, dass wegen der Erdgasbohrtätigkeiten der Türkei vor Zypern "zusätzliche Leistungen" vorgenommen werden sollen. Damit sind Strafmaßnahmen gegen beteiligte Einzelpersonen und Unternehmen gemeint. Sie umfassen EU-Einreiseverbote, Vermögenssperren und das Verbot, mit den Betroffenen Geschäfte zu machen.
Die Türkei steht vor allem wegen umstrittener Erdgaserkundungen in Seegebieten vor Zypern und in der Nähe von griechischen Inseln in der Kritik. Als nicht akzeptabel gelten zum Beispiel aber auch Provokationen im Konflikt um die Teilung Zyperns sowie Verstöße gegen das UN-Waffenembargo gegen Libyen.
In der Türkei-Politik soll zudem eine enge Abstimmung mit der neuen US-Regierung erfolgen.
Stoltenberg: "Türkei Teil der NATO und der westlichen Familie"
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte die EU vor einem Bruch mit dem Bündnispartner Türkei. Es gebe Differenzen mit der Türkei, die man angehen müsse, sagte Stoltenberg am Donnerstag wenige Stunden vor Beratungen der Staats- und Regierungschefs der EU über mögliche Sanktionen gegen das Land. Gleichzeitig müsse man aber erkennen, welche Bedeutung die Türkei als Teil der NATO und auch als Teil der "westlichen Familie" habe.
So sei das Land ein wichtiger Alliierter im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Zudem beherberge die Türkei von allen NATO-Verbündeten die meisten Flüchtlinge und habe die meisten Terrorangriffe erlitten, sagte Stoltenberg nach einem Gespräch mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten António Costa.
Vor dem Beginn des EU-Gipfels rief Stoltenberg die EU-Länder auf, die Bedeutung der Türkei für die Allianz und den Westen nicht zu vergessen und "positive Ansätze" zu wählen.
"Aber gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass wir uns der Bedeutung der Türkei als ein Teil der NATO und als ein Teil der westlichen Familie bewusst sind."
Stoltenberg beschrieb die NATO als eine Plattform, in deren Rahmen offen über Differenzen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Verbündeten diskutiert werden könne, wie das auch am Beispiel des östlichen Mittelmeeres zu sehen sei.
Die Spannungen am östlichen Mittelmeer waren bereits in der letzten Woche auf dem NATO-Außenministertreffen besprochen worden. Natürlich hätten die Verbündeten auch dort ihre Bedenken äußern können, sagte der NATO-Generalsekretär. Doch zur selben Zeit hätten alle verbündeten Länder gesehen, wie wichtig die Türkei als Nachbarstaat des Irak und Syriens sei.
Todenhöfer: Sanktionen gegen die Türkei "Unsinn"
Auch Jürgen Todenhöfer, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU, sprach sich gegen EU-Sanktionen gegen die Türkei aus. Der Türkei Sanktionen zu diktieren, sei völlig unfair, so Todenhöfer zur türkischen staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı.
Die Bemühungen bestimmter EU-Staaten, der Türkei Sanktionen aufzudrücken, seien nichts weiter als "Unsinn", sagte Todenhöfer mit Blick auf den EU-Gipfel.
"Ich denke, das ist Unsinn. Ich denke, die Art und Weise, wie wir die Türkei wie strenge Lehrer behandeln, ist völlig unfair."
Todenhöfer verwies auf die doppelten Standards, die an die Türkei angelegt würden, und fügte hinzu, dass Sanktionen eigentlich den USA und den europäischen Staaten auferlegt werden sollten, und zwar wegen der rechtswidrigen Kriege, die sie angefangen hätten.
"Ich glaube, wir übersehen die dramatische Situation, in der sich die Türkei nach dem Putschversuch 2016 fand." Er nahm damit Bezug auf den missglückten Putschversuch, für den der türkische Prediger Fethullah Gülen verantwortlich gemacht wird. Gülen lebt seit 1999 im US-Bundesstaat Pennsylvania. In der Türkei sei ein Putsch vereitelt worden, und die EU habe dies überhaupt nicht zu würdigen gewusst.
Todenhöfer mahnte die türkische wie die deutsche Seite, eine sanftere Sprache zu benutzen und ihre Rhetorik zu mäßigen.
"Angesichts der Probleme in der arabischen Welt und im Mittleren Osten müssen wir endlich erkennen, trotz all der Meinungsdifferenzen, die wir mit der Türkei haben, dass sie unser wichtigster strategischer Partner ist", so Todenhöfer.
"Beide Seiten sollten sich näherkommen. Ich denke, Europa ist in einer stärkeren Position, also sollte auch Europa die ersten Schritte machen" sagte Todenhöfer und fügte hinzu: "Wir sollten nicht vergessen, dass wir vor 40 Jahren der Türkei eine Mitgliedschaft in der EU versprochen haben. Aber wir haben unser Versprechen nicht eingehalten und die Türkei wieder und wieder betrogen. All das spielt eine Rolle in den aktuellen Spannungen."
Sanktionen in der Abschlusserklärung
Im Text der Abschlusserklärung des Gipfels heißt es schließlich: "Der Europäische Rat bekräftigt das strategische Interesse der EU an der Entwicklung einer kooperativen und für beide Seiten vorteilhaften Beziehung zur Türkei." Das Angebot einer positiven EU-Türkei-Agenda bleibe auf dem Tisch – Voraussetzung dafür sei aber, dass die Türkei bereit sei, "Differenzen im Dialog und im Einklang mit dem Völkerrecht" zu lösen.
Eine solche positive Agenda könnte sich unter anderem auf die Bereiche Wirtschaft und Handel und die weitere Zusammenarbeit in Migrationsfragen erstrecken. Die EU ist dem Text zufolge auch weiterhin bereit, syrische Flüchtlinge und sie aufnehmende Gemeinden in der Türkei finanziell zu unterstützen.
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